Nimmt das Land den Kampf gegen die Italienische Organisierte Kriminalität endlich auf?
Es muss überraschend gewesen sein, als österreichische Polizeibeamte am 6. Dezember 2022 mehrere gut besuchte Lokale in Oberösterreich stürmten, um diese zu durchsuchen. Der Verdacht laut Medien: Geldwäsche und Steuerhinterziehung mit mafiösem Hintergrund. Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht ein prominenter Linzer Unternehmer, der der ‘Ndrangheta zugerechnet wird und Verbindungen in ganz Österreich sowie Südbayern haben soll. Neben diversen Restaurants wurden auch Wohnungen, Büros und Geschäfte sowie ein Autohandel in Linz durchsucht. Koordiniert wurde die Aktion von den Staatsanwaltschaften in Linz und Steyr auf Initiative der Staatsanwaltschaft von Catanzaro.
Zu Festnahmen kam es hingegen nicht; der beschuldigte Unternehmer blieb in der Folge für Medienanfragen erreichbar. Im Gespräch mit dem österreichischen Bild-Pendant Kronen Zeitung dementierte er alle Vorwürfe. Ermittlungen wegen Drogenhandels vor zwei Jahren seien ein Justizirrtum gewesen, außerdem schwadronierte er von Krediten in Höhe von zehn Millionen Euro sowie einem geleasten Ferrari, die er sicher nicht nötig hätte, würde er tatsächlich Geldwäsche betreiben. Dass dies auch Bestandteil eines für die Mafia typischen Deckmantels sein könnte, die zunehmend in die legale Wirtschaft eindringt, blieb in dem Bericht unerwähnt.
Eine hohe Mafia-Präsenz im Alpenland ist trotz weniger Ermittlungserfolge anzunehmen
Während in Deutschland eine jahrzehntelange Präsenz der italienischen Mafia unstreitig ist, trifft das auf Österreich weniger zu. Im Gegensatz zu Deutschland, wo gerade Verfahren wie der Strafprozess gegen einen Drogenring unter maßgeblicher Ndrangheta-Beteiligung in NRW oder der parlamentarische Untersuchungsausschuss in Thüringen anhängig sind, hatte Österreich nie bedeutende Verfahren mit italienischem Mafia-Hintergrund. Wie in Deutschland agiert die Mafia im Verborgenen und hat sich – anders als die ‘Ndrangheta 2007 in Duisburg – nie zu medial bekannt gewordenen Gewalttaten hinreißen lassen. Das österreichische BKA erwähnt vorrangig Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe sowie Wettbüros als wirtschaftliche Betätigungsfelder. Einzelne Ermittlungen sind auch in den Medien gelandet, wie beispielsweise 2015 die Beschlagnahme einer pompösen Villa in Baden nahe Wien, die im Besitz des Ndrangheta-Clans Pesce gewesen sein soll. 2019 wurden diverse Wohnungen sowie insgesamt 37,3 Mio. Euro beschlagnahmt (mafianeindanke berichtete). 2022 folgte nun die vergleichsweise etwas weniger signifikante Aktion in Oberösterreich, die zu keinen Festnahmen führte und deren Resultate noch auf sich warten lassen.
Neben der dünnen Mafia-Historie stehen in Österreich andere kriminelle Vereinigungen im Vordergrund. Das Alpenland gilt auch wirtschaftlich als Tor zu Osteuropa, und entsprechend sind Gruppierungen aus Osteuropa bzw. den Balkanländern im Fokus. 2018 forderte ein von aus Montenegro stammenden Gruppierungen begangenes Schussattentat in der Wiener Innenstadt ein Todesopfer. Die Website des Bundesministeriums für Inneres zu Organisierter Kriminalität erwähnt lediglich Rockergruppierungen sowie syrische und afghanische Gruppierungen. Bei letzteren kann ein politisches Interesse der rechtsorientierten österreichischen Regierung nicht ausgeschlossen werden, die italienische Organisierte Kriminalität hingegen wird nicht erwähnt.
Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die italienische Mafia eine äußerst wichtige Rolle spielt. Die italienische Anti-Mafia-Behörde DIA warnte dieses Jahr vor der wachsenden Präsenz von kriminellen Organisationen in Österreich, die zur italienischen Mafia gehören oder Verbindungen mit dieser unterhalten. Der OK-Verantwortliche des BKA Österreich sagte in der Folge im Interview mit dem Kurier, dass die Entwicklung der Mafiaaktivitäten im Alpenland besorgniserregend wäre. Ebenfalls ist in dem Artikel die Rede von einem 2019 festgestellten locale, also einer permanenten, selbständig agierenden ‘Ndrangheta-Zelle, die sich auf Drogenhandel spezialisiert und gegen die bereits erfolgreich eingeschritten worden sei.
Österreich ist für die Mafia ähnlich attraktiv wie Deutschland
Verwunderlich ist das nicht, wenn man die wesentlichen Faktoren analysiert, die auch Deutschland für die Mafia attraktiv machen. Ihre Präsenz ist in Österreich vorrangig den OK-Ermittler*innen bekannt, während – ähnlich wie in Deutschland – in der breiten Bevölkerung Verklärung und Stereotype über dieses Phänomen vorherrschen.
Ebenso Fehlanzeige besteht bezüglich einer gesetzlichen Bargeldobergrenze – jede Transaktion kann unabhängig von ihrer Höhe in bar durchgeführt werden. Legale und illegale Geschäftsaktivitäten der Mafia weisen einen hohen Bargeldbezug auf.
Barzahler sind lediglich bei einer Transaktionshöhe von 10.000 € und mehr von den verpflichteten Berufen wie Banken oder Güterhändler zu identifizieren. Im Gegensatz zur Mehrzahl der EU-Staaten ist das Bezahlverhalten in Deutschland und Österreich auch bei Großzahlungen bargeldaffin..
Entsprechend war bisher auch der politische Gegenwind der österreichischen Regierung gegenüber den Bemühungen der Europäischen Union für eine einheitliche Bargeldobergrenze. Dass in Deutschland zwar aufgrund der Migrationsbewegungen des 20. Jahrhunderts eine deutlich größere italienische Minderheit in der Bevölkerung und damit mehr Rückzugsräume für die Mafia bestehen, könnte wiederum durch die bessere geographische Lage Österreichs zu Italien ausgeglichen werden.
Aus rechtlicher Sicht gibt es keine speziellen Bestimmungen für kriminelle Vereinigungen mafiösen Typs, anders als Italien. Paragraf 278 des österreichischen Strafgesetzbuchs regelt kriminelle Vereinigungen sehr ähnlich zu seinem deutschen Pendant §129 StGB – auch hier geht es um einen auf längere Zeit angelegten organisatorischen Zusammenschluss von mehr als zwei Personen. Ein Unterschied ist, dass der deutsche Paragraf lediglich von einem übergeordneten gemeinsamen Interesse als Zweck der Vereinigung spricht und im Prinzip die Begehung aller Straftaten umfasst. Der österreichische Gesetzgeber beschränkt die relevanten Straftaten hingegen auf einen bestimmten Katalog („dass von einem oder mehreren Mitgliedern der Vereinigung ein oder mehrere Verbrechen, andere erhebliche Gewalttaten gegen Leib und Leben, nicht nur geringfügige Sachbeschädigungen, Diebstähle oder Betrügereien, Vergehen nach den §§ 177b, 233 bis 239, 241a bis 241c, 241e, 241f, 283, 304 oder 307, in § 278d Abs. 1 genannte andere Vergehen oder Vergehen nach den §§ 114 Abs. 1 oder 116 des Fremdenpolizeigesetzes ausgeführt werden“). Während in Deutschland der Tatbestand der kriminellen Vereinigung beispielsweise auch auf alle Wirtschaftskriminellen angewendet werden könnte, scheint das in Österreich schwer möglich.
Welche Reformen mafianeindanke im Bezug auf den deutschen §129 StGB empfiehlt, können Sie übrigens in einer 2022 veröffentlichten Broschüre nachlesen.
Die österreichischen Ermittler*innen sollten aktiver gegen die Mafia vorgehen
Wer sich die jüngste Razzia in Oberösterreich sowie weitere vergangene Ermittlungen ansieht, stellt im Detail vor allem eins fest: meistens waren diese Maßnahmen nicht das Resultat systematischer verfahrensunabhängiger Ermittlungen der Kriminalpolizei, sondern durch Rechtshilfeersuchen von Staatsanwaltschaften in Süditalien veranlasst. Vor dem Hintergrund der Attraktivität der Alpenrepublik für die italienische organisierte Kriminalität und Hinweisen auf ihre Präsenz, wie das angebliche locale der ‘Ndrangheta, ist schnelles Handeln gefragt. Neben intensiver und kontinuierlicher Auseinandersetzung mit der italienischen OK und ihren Besonderheiten auf Seite der Ermittler*innen bedarf es auch einer besseren Sensibilisierung der Bevölkerung und einer größeren öffentlichen und medialen Auseinandersetzung.
Einmal mehr ist es die Aufgabe von NGOs wie mafianeindanke, vertiefende Informationen über die OK bereitzustellen und über ihr Gefahrenpotential aufzuklären. Was die Razzia in Oberösterreich angeht, haben sich die Expert*innen von mafianeindanke an einen etwas länger zurückliegenden Medienbericht des italienischen Onlineportals Zoom24 aus 2016 erinnert, demnach ein Kalabrier an Bord eines aus Österreich kommenden Porsches wegen illegalen Mitführens einer Pistole verhaftet wurde. Eine Randnotiz, wäre da nicht die Information, dass der Porsche nur geliehen war, und zwar vom Arbeitgeber des Mannes, einem Gastronomen, der mehrere Restaurants in Linz betreibt. Der Nachname des Gastronoms, der in dem italienischen Bericht mit Klarnamen zitiert wird, ist identisch mit dem einer Kette von italienischen Lokalen in Linz sowie den umliegenden Orten Leonding und Gallneukirchen – dieselben Orte, wo die Großrazzia am 6. Dezember stattgefunden hat.
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Auch Berührungspunkte zu Mafia und Österreich finden sich in dem mafianeindanke-Gutachten zu Geldwäsche im Online-Glücksspiel.