Der erste Maxiprozess in Deutschland: von Kronzeugen und Hochsicherheitsbunkern

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Es sei ein Mammutprozess, titelten diverse deutsche Tageszeitungen, als am 26. Oktober in Düsseldorf endlich das Gerichtsverfahren begann, Ergebnis einer weitreichenden internationalen Polizeiaktion gegen die italienische Mafia. Angeklagt sind 14 Männer, davon fünf Mitglieder der italienischen `Ndrangheta, die nicht etwa aus Italien, sondern tatsächlich aus Nordrhein-Westfalen stammen. Ihnen wird neben weiteren Delikten der Handel mit 680 Kilo Kokain vorgeworfen. Beeindruckende Zahlen, die den Begriff „Mammutprozess“ zum Teil schon rechtfertigen. Was in diesem Prozess allerdings besonders an den legendären Maxiprozess von Palermo, hierzulande Mammutprozess genannt, erinnert, sind drei Dinge: ein Hochsicherheitsbunker als Gerichtssaal, die Präsenz eines Kronzeugen und die Tatsache, dass alle Angeklagte entweder der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung oder deren Unterstützung beschuldigt werden. Ersteres ist für die Mafia nichts Besonders, zweiteres hingegen fürchtet die Mafia so sehr wie kaum etwas anderes, und dass mutmaßliche Mafiosi in Deutschland wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt werden, ist überraschenderweise ein Novum.

Der Hintergrund

Es ist knapp zwei Jahre her, als im Dezember 2018 eine internationale Razzia gegen die kalabrische `ndrangheta stattfand, die zu über 80 Festnahmen führte und „Operation Pollino“ getauft wurde. Die Ermittlungen wurden von der europäischen Justizbehörde Eurojust geleitet und auf operativer Ebene von einem internationalen Joint Investigation Team geleitet, zu dem deutsche, italienische und niederländische Ermittler gehörten. Die genauen Eckdaten der Aktion sind beeindruckend: allein in Deutschland waren hunderte Polizeibeamte an den Verhaftungen und Durchsuchungsaktionen beteiligt, die sich mit ihren internationalen Kollegen koordiniert hatten.

Die Aktion sorgte für mediales Aufsehen und wurde als großer Ermittlungserfolg gefeiert. Zur gleichen Zeit wurden leider auch einige Pannen vonseiten der deutschen Ermittler sowie Ermittlungen wegen der mutmaßlichen Weitergabe von Dienstgeheimnissen durch Beamte an Mafiosi bekannt. Insbesondere letztes war besorgniserregend, da in Deutschland weiterhin die breite Meinung vorherrscht, eine Unterwanderung von Wirtschaft und Staat sei im Gegensatz zu Italien nahezu ausgeschlossen.

In jedem Fall stellte die Aktion einen beeindruckenden Schlag gegen die `ndrangheta dar und unterstrich erneut ihre starke Präsenz außerhalb Italiens, wo sie als die am stärksten internationalisierte der vier großen Mafias anerkannt ist. Nach dem Blutbad von Duisburg mit sechs Toten im Jahr 2007, gemeinhin als medialer Weckruf in Deutschland betrachtet, hatte sich die `Ndrangheta mit ähnlichen Taten bedeckt gehalten und war lediglich durch Razzien und Festnahmen in die Berichterstattung geraten.

Was uns im Prozess erwartet

Nachdem der Prozessbeginn sich – wie es nun kommt in diesen Zeiten – wegen eines Angeklagten in Corona-Quarantäne verzögert hatte, wurde nun endlich am 26. Oktober die Anklageschrift verlesen. 91 Prozesstage sind angesetzt im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichtes Düsseldorf, der ansonsten vorrangig für Staatsschutzverfahren benützt wird. Es dürften aber viele mehr werden, auch weil die 14 Männer allesamt wegen Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung angeklagt sind und somit alle gleichzeitig verurteilt werden müssen. Einzelne Fälle abzuspalten, wird so nicht möglich sein. Weitere Punkte sind Geldwäsche, Betrug, Steuerhinterziehung und Verstöße gegen das Waffengesetz . Die Aushebung einer transeuropäischen Drogenroute steht aber im Vordergrund. Seit den neunziger Jahren sind die Häfen Belgiens und Hollands, darunter insbesondere Rotterdam und Antwerpen, ein Eingangstor für Kokainlieferungen aus Südamerika und aufgrund lascherer Kontrollen beliebter als beispielsweise Gioia Tauro in Kalabrien. Die Angeklagten sollen den Import und Weitertransport von tonnenweise Kokain in speziell umgebauten Fahrzeugen organisiert haben, die mit so gut verborgenen Geheimfächern ausgerüstet waren, dass einmal ein geladener Kurierwagen trotz dringlichen Verdachts eine Polizeikontrolle passierte, da die Behörden das Fach nicht finden konnten. Als Basis diente den Angeklagten dabei, wie von einer italienischen Tageszeitung ironisch bemerkt, die beliebteste unternehmerische Aktivität von italienischen Auswanderern, nämlich Pizzerien und Eisdielen, davon auch einige in Deutschland.

Das es bei diesem Prozess einen Kronzeugen gibt, ist besonders hervorzuheben, da die kalabrische `ndrangheta als die Mafia mit den wenigsten pentiti gilt, das lebenslange Schweigegelübde omertà ist also besonders verbreitet. In der Tat hat der Kronzeuge erklärt, dass er tatsächlich nie offiziell in die Vereinigung eingetreten ist, wenngleich es ihm mehrmals angeboten worden sei. Er soll eine Schlüsselfigur in der Organisation des weltweiten Drogenhandels durch die `Ndrangheta gewesen sein. Nachdem seine kolumbianischen Geschäftspartner an seiner Seriosität zweifelten, wurde das Pflaster sehr heiß für ihn. Er wurde schließlich schon vor der Operation Pollino festgenommen. In der Folge wechselte er die Seiten und arbeitete mit den italienischen Behörden zusammen.

Kronzeugen haben in der Vergangenheit einen essenziellen Beitrag dafür geleistet, dass Ermittler und Kriminologen mehr über die inneren Strukturen der Mafia und ihre tatsächliche Ausbreitung lernen konnten. Auch in diesem Verfahren ist der Beitrag des Kronzeugen von großer Bedeutung. Häufig ist es in Mafiaverfahren so, dass die Verteidiger der Angeklagten in dem Wissen, dass die Anklage auf den Aussagen eines Kronzeugen aufgebaut ist, versuchen, den Prozess zu kippen, indem sie die Glaubwürdigkeit dieser Person erschüttern. In der Tat wurde der pentito im Pollino-Prozess bereits kritisiert, da er anscheinend noch während der Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden Straftaten begangen hat, sich somit also nicht völlig dem Weg in die Legalität verschrieben hat. Auch aus diesem Grund musste er das italienische Zeugenschutzprogramm verlassen. Ein gefundenes Fressen für die Verteidiger oder ein unwichtiges Detail? Es bleibt spannend. In jedem Fall ist davon auszugehen, dass die Ermittler ihre Anklage gut untermauert haben. Selbst verschlüsselte Telefone konnten dechiffriert werden.

Es bleibt zu hoffen, dass dieser Prozess es schafft, die ’ndrangheta in Deutschland besser sichtbar zu  machen. Ein vergleichbares Verfahren in Konstanz konnte das nicht erreichen: der vorsitzende Richter interessierte sich nicht für Mafia-Bezüge der Angeklagten. Hier ist das nicht möglich, denn diese Bezüge sind Teil der Anklage.