Operation „Pollino“: Trotz erfolgreicher Anti-Mafia-Razzia blamieren sich deutsche Behörden

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Die Vorgeschichte: Wie die ’ndranghetisti nach Deutschland kamen

Anfang Dezember wurden in den Niederlanden, Belgien, Italien und Deutschland rund 90 mutmaßliche Mitglieder der italienischen Mafia-Organisation ’ndrangheta festgenommen. Die bisher größte internationale Anti-Mafia-Operation wurde von den europäischen Strafverfolgungsbehörden Eurojust und Europol koordiniert. Sie nahm ihren Ausgang nicht wie so oft in Italien, sondern mit Ermittlungen wegen Geldwäsche in den Niederlanden. Und führten in Deutschland zu Durchsuchungen in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Bayern. Aufgrund der Nähe zu den Häfen von Amsterdam, Antwerpen und Rotterdam konzentrierten sich die Ermittlungen in Deutschland vor allem aber auf den westlichen Teil Nordrhein-Westfalens. Infolge der Operation wurde mit Lob(eshymnen) nicht gespart. Angesichts von Fehlern der deutschen Ermittlungsbehörden, bleibt jedoch nichts anderes übrig als Wasser in den Wein zu gießen. Im Jubel über den Erfolg der europäischen Zusammenarbeit ging unter, dass deutsche Behörden sich während der Ermittlungen gleich mehrfach blamierten.

In Italien wird ein Unternehmer wieder und wieder wegen Schutzgeld erpresst. Nicodemo Panetta ist 37 Jahre alt und lebt in Grotteria in Kalabrien. Er und seine Familie werden mehrmals beschossen, Bauwerkszeuge seines Unternehmens werden zerstört. Doch Panetta lässt sich nicht einschüchtern und zeigt seine Erpresser an. Im November 1986 werden Panetta und sein Freund Nicodemo Raschillà, ebenfalls Unternehmer, mit einer Maschinengewehrsalve erschossen. Die Ermittler finden die Kugeln eines ganzen Magazins, aber keine Zeugen. Das Ermittlungsverfahren gegen den Clan Ursini führt zu Verhaftungen einiger mutmaßlicher ’ndranghetisti und zeigt, dass Gelder aus den Erpressungen des Clans nach Deutschland flossen, um ihre Beschlagnahmung zu verhindern und ihre Herkunft zu verschleiern. Unter Aufsicht eines deutschen Notars in Duisburg wurden 80.000 Euro in die Bellavita GmbH in Hagen investiert, so die italienischen Ermittlungsunterlagen. Ein weiteres Investment floss in die La Piazza 3 Gastronomie GmbH, die im Fokus der Ermittlungen zur Operation „Pollino“ stand. Die ’ndranghetisti wählten immer den gleichen Notar in Duisburg für ihre Geschäfte. Offenbar machten Klaus B. die aus Mafia-Zusammenhängen bekannten Nachnamen der Herren nicht stutzig. Eine einfache Internetabfrage hätte genügt, um genug Material für eine Geldwäsche-Verdachtsmeldung abzugeben, zu der auch Notare angehalten sind, und für die sie über umfangreiche Prüfmöglichkeiten verfügen. Doch eine Meldung blieb aus. Die Ermittlungen im Rahmen der Operation „Pollino“ ergaben, dass die von diesen Unternehmen betriebenen Restaurants als Basen für Drogenhandel und Geldwäsche genutzt wurden.

Ermittlungspannen und Geheimnisverrat

Es ist beinahe peinlich, dass die vom BKA angebrachte Wanze im Wagen zweier mutmaßlicher ’ndranghetisti entdeckt wurde, nicht aber das GPS-System, das eine Gruppe mit türkischem Hintergrund in den Autos angebracht hatte, die sie der italienischen Gruppe zur Verfügung stellten. Just als es um einen größeren Kokaindeal von mehr als einer halben Tonne per Schiff und per Flugzeug ging, flog die Technik auf. 

Die türkischstämmige Gruppe mischte selbst im Drogengeschäft mit, lieferte aber auch Autos mit Geheimfächern (und eben GPS-Sendern) an die ’ndranghetisti. Diese Wagen wurden dann benutzt, um Kokain nach Italien zu transportieren. Der Fairness halber sei erwähnt, dass davon auch die deutsche Polizei Kenntnis erhielt und somit die Daten der türkischstämmigen Gruppe für sich nutzte. Interessanterweise bestand die Beziehung zwischen dieser, bei der ein Hintergrund in der Organisierten Kriminalität wahrscheinlich ist, und der italienischen Gruppe schon länger. Bereits vorher im Ruhrgebiet ansässige ’ndranghetisti nutzten ihre Dienste. Die italienischen Ermittlungsunterlagen verraten auch, dass deutsche verdeckte Ermittler im Sommer 2017 einen Wagen kauften, der ein Geheimfach im Kofferraum enthielt mit besonderer Sicherung: Es ließ sich nur öffnen, wenn man auf einen bestimmten Knopf im Fahrzeug drückte und gleichzeitig ein Ladegerät in die Zigarettenanzünder-Buchse eingestöpselt war. Später in den Akten heißt es dann, der Wagen sei beschlagnahmt worden.

Eine weitere schwere Panne unterlief Kripobeamten, die Überwachungskameras gegenüber der Pizzeria anbringen wollten, die der ’ndrangheta-Gruppe als Basis diente. Auch diese Kameras flogen auf. Anhand von Überwachungsprotokollen, die in den Ermittlungsunterlagen wiedergegeben sind, lässt sich nachvollziehen wie. Ein Mitglied der Bande wird darin zitiert: „Cousin, hier sind wir unter Beobachtung, sag es keinem, sie haben Überwachungskameras im Haus von Boris angebracht, die auf das Lokal zielen… Die Kripo hat mit dem Besitzer des Hauses gegenüber telefonieren wollen und versehentlich Boris angerufen.“

Offenbar gelang es den ‚Ndranghetisti auch, die Drogen in einem
Wagen so gut zu verstecken, dass sie nicht von der Polizei entdeckt wurden. Domenico P. berichtet, dass der damals in Moers lebende Francesco P. und ein Komplize von der deutschen Polizei kontrolliert worden seien, mit einem „Auto, das schier platzte“ vor Kokain. Die Beamten haben alles auseinander genommen, sogar eine Hand in die Batterie gesteckt, jedoch nichts gefunden. Die italienischen Ermittler fragten ungläubig bei den deutschen Kollegen nach, ob das stimme. Ja, sagen die, es handelte sich um eine Kontrolle im Oktober 2014 in Neuwied. Ein Kokainschnelltest ergab damals ein positives Ergebnis. „Sie haben ihn mitten auf der Straße in ein Behältnis pissen lassen“, beschreibt P. die Kontrolle. Die beiden ’ndranghetisti wie auch der Wagen wurden daraufhin im Polizeirevier untersucht, allerdings ohne Ergebnis. Am folgenden Tag kamen beide wieder frei. Und mit ihnen das Auto
inklusive der Drogenlieferung.

Nicht als Panne zu bezeichnen ist ein aktenkundig gewordener Geheimnisverrat im Zusammenhang mit diesem italienisch-türkischen Drogen-Joint-Venture. In Nordrhein-Westfalen laufen dazu Ermittlungen gegen insgesamt fünf Personen: drei bei der Polizei Beschäftigte, eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung von Wesseling und eine ehemalige Mitarbeiterin der Duisburger Stadtverwaltung. Nähere Informationen zum Stand dieses Ermittlungsverfahrens sind derzeit nicht zu bekommen. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Duisburg bestätigte aber, dass es sich um Dienstgeheimnisse handele, aber auch private Daten, die verraten worden sein sollen.

Was am Ende bleibt, sind zwar einige Festnahmen, aber auch die Erkenntnis, dass die deutschen Behörden in puncto Mafia-Bekämpfung noch
vieles lernen müssen, wollen sie international nicht unglaubwürdig erscheinen. Eine Lieferung von 550 Kilogramm Kokain, die möglicherweise wegen einer schlecht versteckte Wanzen nicht vereitelt worden ist; die Beobachtung des Haupttreffpunktes der Drogengruppe, die aufflog; gleich fünf Personen, die unabhängig voneinander geheime und sensible
Daten an Kriminelle weitergaben – das wirft viele Fragen auf. Und es zeigt, dass Behördenmitarbeiter*innen unzureichend für das Problem Organisierte Kriminalität sensibilisiert sind. Auf ähnliche Missgeschicke in anderen Ländern finden sich keine Hinweise in den Akten.

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