Mafia-Aktivitäten in Deutschland (Juli-Dez 2022)

Dia

Im September 2023 hat das italienische Antimafia-Kriminalamt Direzione Investigativa Antimafia (DIA) seinen Bericht über das zweite Halbjahr 2022 veröffentlicht. Darin beschreibt und analysiert es seine Ermittlungen und deren Ergebnisse im Berichtszeitraum. Neben umfangreichen Kapiteln über die Aktivitäten der einzelnen Mafia-Organisationen in den italienischen Regionen gibt es auch Kapitel über deren Tätigkeiten im Ausland. Mit zweieinhalb Seiten teilt sich das Kapitel über Deutschland mit den Niederlanden den Platz für das drittlängste Länderkapitel in Europa, übertroffen nur von Spanien und Albanien. Der DIA-Halbjahresbericht ist über 500 Seiten lang, während das jährliche Lagebild „Organisierte Kriminalität“ des BKA für 2022 75 Seiten lang ist, von denen nur eine (!) der italienischen Organisierten Kriminalität gewidmet ist.

Mafianeindanke übersetzt die Kapitel über Deutschland, Österreich und die Schweiz und stellt sie somit der deutschsprachigen Öffentlichkeit zur Verfügung. Lesen Sie den Bericht zum ersten Halbjahr 2022 in unserer Übersetzung, oder den Bericht zum zweiten Halbjahr über Österreich und die Schweiz. Der 513 Seiten starke Originalbericht auf Italienisch ist auf der Webseite der DIA erhältlich.

Deutschland im DIA Report 2022/2

„Deutschland ist nach wie vor aus wirtschaftlichen und geografischen Gründen ein Anziehungspunkt für die italienische Organisierte Kriminalität, die überwiegend im Süden und Westen, insbesondere in den wohlhabenderen Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen ansässig ist.

Über ihre illegalen Aktivitäten hinaus, in erster Linie den Drogenhandel, haben die italienischen Gruppierungen im Laufe der Jahre zunehmend versucht, die legale Wirtschaft durch den Erwerb von Gaststätten und Pizzerien, die als Deckmantel für verschiedene illegale Aktivitäten genutzt werden, zu infiltrieren.

So haben die gemeinsamen Ermittlungen von italienischen und deutschen Behörden nach dem Massaker von Duisburg gezeigt, dass die Unternehmen der mutmaßlichen Mitglieder der italienischen Organisierten Kriminalität als logistische Basis für Gipfeltreffen und die Durchführung illegaler Aktivitäten dienten.

In Deutschland haben sich die verschiedenen italienischen Mafias hauptsächlich auf bestimmte Geschäftsfelder spezialisiert, wie der Drogenhandel für die ‘ndrangheta, das Baugewerbe für die Cosa Nostra und der Verkauf gefälschter Waren für die Camorra. Dennoch ist in Anbetracht der jüngsten juristischen und/oder präventiven Ermittlungsbefunde zu vermuten, dass die makrokriminelle Erscheinung, welche den Wirtschafts-, Finanz- und Handelsbeziehungen der verschiedenen Bundesländer den meisten Schaden zufügt, die ‘ndrangheta ist. Die in den letzten Jahren durchgeführten polizeiliche Ermittlungen haben es erlaubt, die kalabrischen kriminellen Präsenzen in Deutschland zu aktualisieren. So wurden die kriminellen Strukturen aus Kalabrien durch einfaches Klonen exportiert, was es ermöglicht hat, Strukturen nachzubilden, die den typischen Strukturen in Kalabrien ähneln, in offensichtlich enger Abhängigkeit von dem Führungsgremium, dem sogenannten „crimine“ in Kalabrien, von dem sie ohnehin abhängen.

Die Neigung krimineller kalabrischer Gruppierungen für die ehemalig ostdeutschen Bundesländer, insbesondere Thüringen und Sachsen, ist nicht zu unterschätzen; die mit der Wiedervereinigung einhergegangenen schwierigen sozio-ökonomischen Bedingungen haben weite kriminelle Betätigungsfelder ermöglicht, in die nicht nur die aggressiven kriminellen Organisationen aus Osteuropa eingedrungen sein sollen, sondern auch Vertreter der kalabrischen Mafia-Familien, welche seit den 90er Jahren beträchtliche Finanz- und Immobilienspekulationen betrieben haben sollen.

Die konsolidierte Zusammenarbeit mit den deutschen Ermittlungsbehörden hat es ermöglicht, eine genaue phänologische Analyse der in Deutschland ansässigen verbrecherischen Organisationen zu erstellen und daraus resultierend Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Diese effektive Zusammenarbeit ist das Ergebnis der besonderen Beziehungen zwischen der DIA (Direzione Antimafia) und dem Bundeskriminalamt, welche sich unlängst durch den Beitritt Deutschlands in die Vereinigung @ON noch verfestigt hat. So konnten in diesem Zusammenhang wichtige Operationen unterstützt werden, unter denen die Operation „Platinum Dia“ hervorzuheben ist, die 2021 die ‘ndrangheta-Gruppierung der Familie GIORGI, bekannt als BOVICIANI, aus San Luca (Provinz Reggio Calabria) zerschlagen konnte, welche sich dem internationalen Drogenhandel verschrieben hatte. Durch „Platinum Dia“ wurde die Existenz einer kriminellen Struktur aufgedeckt, die auf den illegalen Import und Vertrieb zahlreicher Autos aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland, abzielte. So erließ am 17. Oktober 2022 das Gericht von Turin (Ufficio GIP/GUP) insgesamt Haftstrafen in Höhe von 160 Jahren gegen 21 Angeklagte.

Am 9. November 2022 hat die Operation „Propaggine 2“ der DIA Rom, die logische Fortführung jener Ermittlungen, welche bereits im vergangenen Halbjahr die Präsenz einiger ‘ndrangheta-Familien aufgedeckt hatten, es der römischen Justiz erlaubt, Strafmaßnahmen gegen Mitglieder der Clans ALVARO und CARZO einzuleiten. Sie werden der Mitgliedschaft in einer locale (‘ndrangheta-Organisationseinheit, Anm.d.Ü) in der Hauptstadt verdächtigt. Auch operieren Ableger der ‘ndrangheta aus Crotone auf deutschem Staatsgebiet. So haben jüngste Ermittlungsbefunde bestätigt, dass die cosca (mafiöse Gruppierung, Anm.d.Ü) FARAO-MARINCOLA aus Ciró (Provinz Crotone) in den Weinhandel der Bundesländer Baden-Württemberg und Hessen eingedrungen ist.

Durch Einwanderer sizilianischen Ursprungs ist auch die Cosa Nostra auf den illegalen Märkten Deutschlands präsent, insbesondere mit kriminellen Zusammenschlüssen von Personen aus dem Raum Agrigento, die im Drogenhandel, bei Ausschreibungen und im Baugewerbe tätig sind.

In diesem Zusammenhang haben die jüngsten Ermittlungen die Niederlassung von Mafia-Mitglieder der RINZIVILLO-Gruppierung aus Gela ergeben, die sich dem Drogenhandel und der Geldwäsche widmete, sowie die Präsenz einiger Personen, die mit der Familie SANTAPAOLA-ERCOLANO verbunden sind und die die Erlöse aus dem Online-Glücksspiel durch den Erwerb von Grundstücken, Gebäuden und Unternehmen wuschen.

Die Clans kampanischen Ursprungs sind in Deutschland seit einigen Jahrzehnten aktiv und haben sich hauptsächlich auf Fälschungen im Bekleidungssektor spezialisiert (die sogenannten Magliari), während die Vereinigungen, die mit apulischer Kriminalität im Zusammenhang stehen, vor allem in den wohlhabenderen Bundesländern (Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hessen und Bayern) aktiv sind, wo sie Betrug im Lebensmittelsektor organisieren und darüber hinaus Drogenhandel betreiben.

Wiederholt festgestellt werden konnte im halbjährlichen Berichtszeitraum die Funktion des deutschen Staatsgebiets als Rückzugsraum für untergetauchte italienische Kriminelle, wie die Festnahme eines verurteilten Straftäters am 2. August 2022 zeigt, der eines Mordes im Zusammenhang mit der Camorra verdächtigt wird. Diese Person, bereits einen Tag zuvor durch den Haftbefehl aufgrund von dringendem Tatverdacht von der örtlichen Antimafia-Staatsanwaltschaft (DDA) belastet, hatte Torre Annunziata nach der Mordtat verlassen und wurde in Deutschland ausfindig gemacht und technisch überwacht, sodass festgestellt werden konnte, dass er vom Flughafen Köln wieder nach Italien einreisen würde. Einige jüngere Operationen haben aufgedeckt, dass das deutsche Staatsgebiet auch von der multiethnischen Kriminalität für den Drogenhandel genutzt wurde. So haben am 10. Oktober 2022 die ausführlichen Ermittlungen, welche bereits im Zuge der Operation „Ottobre Rosso“ (wie bereits im Absatz über die Lage in Frankreich beschrieben) getätigt wurden, dazu geführt, die Umrisse einer weitverzweigten albanesischen Gruppierung, die auf internationaler Ebene großräumig mit Drogen handelt, auszumachen. Dabei gelangten die Drogen von Albanien aus an die italienischen Küsten und wurden anschließend auch nach Deutschland verteilt.

In Zusammenarbeit mit den deutschen Polizeibehörden führte darüber hinaus die Drogenbekämpfungsoperation „Speed“ am 27. Oktober 2022 zu einem Untersuchungshaftbefehl aufgrund der verspäteten Beschlagnahme einer beträchtlichen Menge „Methamphetaminhydrochlorid“ (Crystal Meth) am Flughafen Leipzig im August letzten Jahres. Es handelte sich um einen Zusammenschluss chinesischer Staatsbürger, welcher sich dem Handel mit eben jenem Rauschmittel verschrieben hatte.

Letztlich wurde zwischen Oktober und Dezember 2022 (wie bereits im Bericht zur Lage in den Niederlanden beschrieben) eine multiethnische Gruppierung ausfindig gemacht, die den Drogenimport in die Lombardei, unter anderem auch aus Deutschland heraus, steuerte.  Während des Berichtshalbjahres konnte bestätigt werden, dass die Clans in Deutschland Finanzdelikte begehen. In der Tat haben die von der Justizbehörde Florenz koordinierten Ermittlungen es am 14. Juli 2022 erlaubt zu bestätigen, dass Gewinne von Steuerhinterziehungen, durch im Bekleidungs- und Schuhgroßhandel tätige Unternehmen, welche größtenteils auf chinesische Staatsbürger zurückzuführen sind, systematisch ins Ausland verschoben wurden, um deren kriminelle Herkunft zu verschleiern. Durch die internationale juristische Zusammenarbeit verschiedener Staaten (Deutschland, Litauen, Slowenien, Estland, Lichtenstein und Seychellen) konnte sichergestellt werden, dass die aus der Steuerhinterziehung stammenden Gelder zuerst in virtuelle Währungen umgewandelt und dann durch exchanger auf den Seychellen in wallets geparkt wurden, um letztlich wieder in geläufige Währungen eingetauscht zu werden.

Letztlich wurde am 25. November 2022 im Rahmen der koordinierten Ermittlungen der europäischen Staatsanwaltschaft Palermo unter anderem eine kriminelle Vereinigung entdeckt, welche, um die Verbrauchsteuer zu hinterziehen, beträchtliche Mengen an aus Deutschland, Österreich, der Tschechischen Republik, Rumänien und Slowenien stammenden Kraftstoffen illegal nach Italien einführte. Sie waren offiziell an zwei Lagerstätten in den Provinzen Verona und Catania adressiert, tatsächlich waren sie aber für andere, von den Verdächtigen verwaltete Speicher am Ätna bestimmt.“

Foto: Direzione Investigativa Antimafia