Duisburg, 15 Jahre danach

Da Bruno

15 Jahre nach dem 15. August 2007 geraten die Mafiamorde von Duisburg zunehmend in Vergessenheit. Wer sich in den Medien informiert erfährt, dass am ehemaligen Tatort – der Mülheimer Straße unweit des Duisburger Hauptbahnhofs – nichts mehr an die Tat erinnert. Doch werden sich die Menschen noch erinnern? Um das herauszufinden, mit Passant*innen zu sprechen und Eindrücke zu sammeln, ist die mafianeindanke-Gruppe Nordrhein-Westfalen am Abend des 15. August nach Duisburg gefahren.

Während wir im Regionalzug sitzen, fragen wir uns, was uns wohl erwartet. Werden die Menschen interessiert, gleichgültig oder vielleicht sogar abwesend sein? Wird man Verständnis zeigen oder – wie es schon passiert ist – uns vielleicht sogar abraten, unser Antimafia-Engagement fortzusetzen? Wir fangen in der Neudorfer Straße an, die vom Bahnhof in Duisburg zum Silberpalais führt, in dessen Nebengebäude sich das Edelrestaurant Da Bruno befand. Unser erster Gesprächspartner ist ein Kioskbetreiber, der viele Jahre nach den Mafiamorden nach Deutschland gekommen ist und nichts davon weiß. Als wir versuchen, sein Interesse abzutasten und ihm einen Flyer zu überlassen, ist er abweisend und tut so, als würde er uns nicht richtig verstehen. Mit dem seltsamen Gefühl, dass er uns durchaus verstanden hat, verlassen wir den Kiosk und laufen zu dem Lokal, in dem sich früher das Da Bruno befand. Die sechs Opfer hatten kurz nach zwei Uhr am Morgen des 15. August 2007 gerade das Lokal abgeschlossen und verlassen, als sie beim Einsteigen in ihre Autos erschossen wurden. Heute weiß man, dass es sich höchstwahrscheinlich um Mafiazugehörige handelte und der jüngste der sechs Männer an diesem Abend mit einer Zeremonie in die ‘ndrangheta aufgenommen worden war.

Das Lokal, in dem sich das Da Bruno befand.

Das Da Bruno ist seit Jahren geschlossen, man erkennt aber noch, dass es sich um ein edles Restaurant gehandelt hat, das angeblich auch gut besucht war. Heute ist das schwer vorstellbar: trotz der Lage am Hauptbahnhof kommen gegen 19 Uhr nur selten Passant*innen vorbei, und auch das danebengelegene Duisburger Silberpalais, ein Büroturm aus den 1970er Jahren, wirkt verlassen und ist wohl nur zu einem kleinen Teil vermietet. Auch wenn kein Schriftzug oder Ähnliches mehr auf das Da Bruno hinweist, lässt sich beim Abgleich mit einer schnellen Google-Bilder-Recherche schnell feststellen, dass es sich um dasselbe Lokal handelt. Auf dem Schild über dem Eingang kann man noch schwach die Inschrift des Freddy’s erkennen, des Nachfolgelokals nach der Schließung des Edelitalieners. Ein Ehepaar erzählt uns später, dass das Lokal wegen Erfolgslosigkeit schließen musste. Nachdem wir ein paar Fotos gemacht haben, betreten wir das Silberpalais durch den Haupteingang und finden unseren zweiten Gesprächspartner. Es ist ein eher jüngerer Wachmann der Sicherheitsfirma, der gerade auf dem Weg zu einer Zigarettenpause ist und sich Zeit nimmt, um mit uns zu sprechen. Natürlich wäre ihm das Thema bekannt, sagt er, schließlich sei es ein Kollege von ihm gewesen, der in der Tatnacht Dienst hatte und kurz nach den Schüssen auf die sechs blutüberströmten Leichen gestoßen ist, was ihn stark traumatisiert hätte. Allerdings würde er selbst heutzutage nie mehr darauf angesprochen, und die Aktivist*innen von mafianeindanke seien die ersten, die sich für das Thema interessieren. Auf unsere Frage, ob die Ereignisse von damals mittlerweile eher vergessen oder gezielt verdrängt würden, bejaht er Ersteres. Dennoch erwähnt er auch, dass man allgemein angehalten würde, nicht zu viel darüber zu sprechen, da es ja eine Sache aus der Vergangenheit ist. Auf diese Weise verschwinden die Mafiamorde langsam aus der kollektiven Erinnerung.

Wir bedanken uns bei dem Wachmann, verlassen das Gebäude und wechseln hinüber auf die Gebäudeseite, wo das Da Bruno liegt, in der Hoffnung, Passant*innen auf dem Nachhauseweg ansprechen zu können. Es sind nicht viele, die an uns vorbeikommen, aber sie sind interessiert. Obwohl wir in knallgrünen T-Shirts mit dem Logo von mafianeindanke ein wenig wie Fundraiser*innen aussehen, halten die Menschen bereitwillig an. Wir sprechen mit einem Ehepaar Anfang fünfzig, das ein paar Blocks weiter wohnt und sich auf dem Nachhauseweg befindet. Anfangs noch etwas zögerlich, bleiben sie länger stehen und berichten, dass sie schon 2007 in der Nähe des Tatorts wohnten. Sie stießen auf die großräumige Polizeiabsperrung, als sie auf dem Weg zur Arbeit waren. Das Da Bruno, das sie als sehr hochpreisig beschreiben, haben sie nie besucht. Was auffällt ist, dass die beiden die Tat sehr stark reflektiert haben. Sie haben keine Zweifel, dass die Organisierte Kriminalität in Duisburg damals wie heute sehr stark vertreten ist und erwähnen in diesem Kontext auch Rockerbanden.

Ein Stück weiter die Mülheimer Straße hinauf stoßen wir auf ein Paar Mitte dreißig, das vor sieben Jahren nach Duisburg gezogen ist und ebenfalls in der Nähe des Silberpalais lebt. Von der Bluttat vor 15 Jahren haben sie noch nie gehört, ebenfalls ist ihnen das verlassene Edellokal bisher nicht aufgefallen, sie sind allerdings ehrlich interessiert und nehmen unseren Flyer mit. Ebenso zeigen sie sich an einer möglichen mafianeindanke-Veranstaltung im Duisburg interessiert. Nachdem wir rund um das Silberpalais unsere Flyer und QR-Codes angebracht haben, damit noch mehr Passant*innen von den Ereignissen von damals erfahren, begeben wir uns wieder Richtung Bahnhof. In der Fußgängerunterführung unter der Mülheimer Straße treffen wir einen weiteren Wachmann, der sich auch noch gut an das Massaker erinnert, obwohl er damals noch in Neuss wohnte und nicht an seinem heutigen Dienstort arbeitete. Auch wenn er Verständnis zeigt, kann er uns leider trotzdem nicht erlauben, innerhalb der Unterführung unsere Flyer anzubringen, da wir schon im Vorfeld die Erlaubnis der städtischen Verkehrsbetriebe einholen hätten müssen. Wir begnügen uns mit der außerhalb gelegenen Bushaltestelle, an der es hingegen kein Problem ist.

Der Ausgang der Unterführung vom Duisburger Hauptbahnhof auf die Mülheimer Straße

Da die Sonne inzwischen untergegangen ist und immer weniger Menschen unterwegs sind, beenden wir unseren Lokalaugenschein und reflektieren beim Abendessen über unsere Erlebnisse. Auch wenn nichts mehr an die Mafiamorde erinnert, haben die Duisburger Bürger*innen keineswegs vergessen, was damals passiert ist, sondern die Ereignisse umfassend reflektiert. Allen teilen die Meinung, dass die Organisierte Kriminalität weiterhin stark in der Region präsent ist. Mit der Auffassung sind sie nicht alleine: Der Duisburger Staatsanwalt Uwe Mühlhoff stellte erst 2020 fest, dass auch die am Massaker von Duisburg beteiligten Familien noch immer in diesen Gebieten aktiv und präsent sind“. Insbesondere in Hinblick darauf wäre es angemessen, wenn eine Tafel in der Mülheimer Straße an die Tat erinnern würde. Denn auch wenn dabei keine Passant*innen ums Leben kamen und die Tat weithin als interne Fehde in der ‘ndrangheta bekannt ist, darf die Erinnerung daran nicht verblassen. Insofern täuscht der Eindruck, den man rund um den Tatort am Silberpalais bekommen kann. Nur weil der Tatort gereinigt sowie das Lokal geschlossen wurde und die Gegend mittlerweile viel weniger frequentiert ist, ist die Mafia keineswegs verschwunden. Sie hat aus ihrem Fehler gelernt und operiert seitdem im Verborgenen, was sie nicht daran hindert, ihre Aktivitäten in Deutschland weiter auszubauen. Das macht sie auch gefährlich, wie einer unserer Gesprächspartner erwähnt: man weiß nun nicht, ob hinter den Kulissen eines Lokals, sei es nun ein Italiener oder etwas anderes, nicht etwa in großem Stil Geld gewachsen wird. Auch aus diesem Grund fordert mafianeindanke vehement eine wirkungsvollere Geldwäschebekämpfung.  

Was wir ebenfalls oft beobachten und kritisieren, ist eine zunehmende Verklärung in der Bevölkerung hinsichtlich der Bedeutung der Mafia in Deutschland. Von dieser Mafia-Romantik, die die Mafia oft nicht als skrupellose Kriminelle, sondern edle Gangster darstellt, ist in Duisburg allerdings nichts zu spüren. Die Stadt hat hautnah erlebt, was in Teilen Italiens lange Alltag war, und es scheint eher unwahrscheinlich, dass die Organisierte Kriminalität falsch eingeschätzt wird. Was aber ist mit dem Rest Deutschlands? Ein Gast auf einer Veranstaltung von mafianeindanke sagte einmal provokant, es brauche ein neues Massaker, damit hierzulande mehr gegen die Mafia geschieht. Wir sind überzeugt, dass es nicht so weit kommen darf. Mit unserem Verein leisten wir täglich ehrenamtliche Informations- und Beratungsarbeit, um die Erinnerung an die Gefahr und die brutalen Taten der Mafia lebendig zu halten und die Menschen zu sensibilisieren. Wir wünschen uns lediglich, dass uns Behörden und Politik zukünftig besser dabei unterstützen. Ein paar Hoffnungsschimmer gibt es immerhin bereits.

Falls Sie mehr zu mafianeindanke erfahren möchten, finden Sie unser Kontaktformular hier. Unsere NRW-Gruppe, die die Aktion organisiert hat, erreichen Sie unter nrw[AT]mafianeindanke.de. Falls Sie unser Engagement unterstützen wollen, freuen wir uns über eine einmalige oder wiederkehrende Spende (Info hier).