Das Bundeskriminalamt hat am 5. September 2024 sein Bundeslagebild 2023 zur Organisierten Kriminalität veröffentlicht. Drei Aspekte darin sind für die italienische Organisierte Kriminalität von besonderer Relevanz. Zu beachten ist, dass das Bundeslagebild nur das Hellfeld widerspiegelt, also Daten zu laufenden und abgeschlossenen Verfahren und Tatverdächtigen. Über die Größe und Beschaffenheit des Dunkelfelds sagt dies nichts aus.
1. Erstmals Daten zur Einflussnahme durch Organisierte Kriminalität
Das Bundeslagebild 2023 erhebt erstmals Daten zu Einflussnahme und Unterwanderungspotenzial durch Gruppierungen der Organisierten Kriminalität (OK). Die Daten verdeutlichen die ernsthafte Bedrohung, die die OK für demokratische Strukturen darstellt. In 97 von insgesamt 642 OK-Verfahren konnten die ermittelnden Behörden Nachweise von Einflussnahmen erbringen. Die Liste der im Lagebild genannten Betroffenen ist lang und reicht von Vertreter:innen staatlicher Institutionen über andere Schlüsselpositionen in Gesellschaft und Wirtschaft: „Beispielhaft erfolgt diese durch OK-Gruppierungen in Deutschland und im Ausland auf Vertreterinnen und Vertretern staatlicher Institutionen wie der Justiz, der Polizei und der öffentlichen Verwaltung, u. a. auf Behördenmitarbeitende von Bau- und Ordnungsämtern oder Kfz-Zulassungsstellen. Ferner wurden auch Mitarbeitende an See- und Flughäfen, Angehörige von Medienanstalten und Wirtschaftsakteuren oder Personen im Bereich der Kommunalpolitik beeinflusst. Auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wurden dazu angehalten, relevante Informationen aus Strafverfahren zu beschaffen, um diese an Mitglieder der jeweiligen OK-Gruppierung weiterzugeben.“(s. S.24)
Insbesondere von der ‘ndrangheta ist bekannt, dass sie gezielt Kontakte in Politik und Verwaltung sucht, die sie für ihre kriminellen Geschäfte nutzen kann. Die gezielte Beeinflussung gefährdet somit die Funktionsfähigkeit demokratischer Prozesse und die Integrität staatlicher Strukturen. Das Lagebild hebt hervor, dass diese Einflussnahmen sowohl in Deutschland als auch im Ausland stattfinden und deutet auf ein erhebliches Dunkelfeld hin, was die tatsächliche Ausbreitung dieser Unterwanderung anbelangt: „Zu beachten ist, dass dabei nur polizeilich bekannt gewordene Handlungen dargestellt werden und auch hier von einem großen Dunkelfeld auszugehen ist.“ (s. S. 38)
Es ist gut und wichtig, dass diesem Thema erstmal mehr Platz eingeräumt und spezifische Daten erhoben werden. Korruption ist ein wichtiges Mittel für Mafia-Organisationen, um sich Einfluss und somit Macht zu erkaufen. Damit müssen wir uns in Deutschland ernsthaft auseinandersetzen. Statt Einflussnahme mit Begriffen wie „Vetternwirtschaft“ oder „Vitamin B“ zu verniedlichen, müssen wir sie so begreifen, wie sie ist: ungerecht und demokratieschädigend.
2. Geldwäsche ist einfach, Vermögensabschöpfung nicht
Die Ergebnisse des Bundeslagebilds zeigen, dass die IOK erhebliche finanzielle Schäden verursacht. Die Höhe der Schäden durch OK-Gruppierungen wird mit rund 2,7 Milliarden Euro beziffert, was eine Verdopplung gegenüber dem Vorjahr darstellt[1]. Skandalös sind die lächerlich geringen Vermögenssicherungen – nur 83 Millionen Euro im gesamten Jahr, das entspricht 8% der festgestellten kriminellen Erträge und ist damit der zweitniedrigste Prozentsatz der letzten zehn Jahren. Kann es unserem Anspruch genügen, dass dem Staat 92% der kriminellen Erträge durch die Lappen gehen?
Dabei wird deutlich, dass die bestehenden Mechanismen zur Verhinderung von Geldwäsche in Deutschland unzureichend sind. In 87 % der OK-Verfahren wurden zwar Finanzermittlungen durchgeführt, um kriminelle Vermögenswerte zu identifizieren, jedoch bleibt die Wirksamkeit dieser Maßnahmen fraglich. In nur 27 % der Verfahren kam es zu Vermögenssicherungen.
Aus den Daten zur Geldwäsche geht hervor, dass Bargeld die bevorzugte Methode ist – fast 100 Mio. € wurden als Bargeld gewaschen. Deshalb spricht sich mafianeindanke stets für eine Obergrenze bei der Verwendung von Bargeld aus, welche normale Bürger:innen in keinster Weise beeinträchtigt, den Kriminellen jedoch das Leben schwerer macht. Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluss die Einführung einer EU-weiten Obergrenze bei Barzahlungen von 10.000 € im Jahr 2027 auf diese Statistik haben wird.
Laut des BKA-Lagebilds sind die Summen, die durch Überweisungen, Dritte oder andere Methoden gewaschen wurden, weit geringer – dies belegen zumindest die Informationen aus dem Hellfeld.
Was die Investitionen der inkriminierten Gelder angeht, sind Handelsgüter und Immobilien auf den ersten beiden Plätzen. Investitionen in Immobilien als Geldwäschemethode, das ist der Fachwelt keineswegs neu. Allerdings hat dieses Thema eine große gesellschaftliche Relevanz: Die Immobilienpreise in Deutschland sind in den letzten zwanzig Jahren stark angestiegen. Selbst in sog. „Schrumpfungsregionen“ reden wir von einer Steigerung um 50%, in Wachstumsregionen sogar von einer Verdoppelung[2]. Eine wichtige Frage ist nun: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Investitionen der OK in Immobilien und den stark gestiegenen Immobilienpreisen? Wem gehören die Immobilien in unseren Innenstädten ?
Effiziente Geldwäschebekämpfung und Vermögensabschöpfung müssen Grundpfeiler der deutschen Antimafia-Politik sein. Darauf pochen wir von mafianeindanke seit Jahren und haben auch einige konkrete Vorschläge gemacht, zum Beispiel in unserer Broschüre mit politischen Maßnahmen, und unserer kontinuierlichen kritischen Reflektion von Gesetzen und Gesetzesvorschlägen zur Bekämpfung der Finanzkriminalität.
3. Verfahren § 129 StGB: Mehr Strukturermittlungen nötig
Im Lagebild 2023 listet eine Tabelle die Verfahren wegen § 129 StGB „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ nach der dominierenden Staatsangehörigkeit[3] der Gruppierungen auf. Hier befindet sich die italienische Staatsangehörigkeit mit sechs Verfahren auf Platz 1 – genauso wie in vier der letzten fünf Jahre.
Die Relevanz dieses Paragrafen für Strukturermittlungen gegen italienische Mafia-Organisationen ist erheblich. Im Gegensatz zu Verfahren wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, in denen beispielsweise ein einzelner Drogendeal mit den jeweils konkret Beteiligten verfolgt wird, erlaubt § 129 die Suche nach Hintermännern und Drahtzieherinnen und das Aufdecken von Strukturen. Das zeigt beispielsweise das Urteil des Amtsgerichts Konstanz gegen Domenico G. (mafianeindanke berichtete).
Wir brauchen viel mehr solcher Verfahren, die aufwändige Strukturermittlungen erlauben. Nur so können wir die Netzwerke von Mafia-Organisationen verstehen und gegen die Hauptverantwortlichen vorgehen und die kriminellen Systeme nachhaltig zurückdrängen. Dafür müsste auch der Paragraf an sich reformiert werden, damit er besser auf Organisierte Kriminalität anwendbar ist (s. Veranstaltung „§129 StGB reformieren: Mehr Antimafia im Gesetz!“).
Fazit
Das BKA resümiert: “Die OK bleibt aufgrund ihrer Funktionsweise weiterhin im Verborgenen und sorgt selten für Aufsehen. Gerade deshalb verdeutlichen die weiterhin hoch bleibenden Zahlen von OK-Verfahren, OK-Tatverdächtigen, festgestellten Schäden sowie die aufgedeckten Einflussnahmen und Gewalthandlungen die Rolle der OK als eine der bedeutendsten Bedrohungen für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Um die zunehmend komplexeren Strukturen von OK und SsK erfolgreich bekämpfen und zerschlagen zu können, bedarf es neben einer verstärkten und innovativen ganzheitlichen behördenübergreifenden Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene auch einer angemessenen technischen und personellen Weiterentwicklung der Strafverfolgungsbehörden.” (s. S. 39) Wir wollen noch hinzufügen: Um diese Herausforderung zu meistern, brauchen wir neben der Strafverfolgung eine starke Zivilgesellschaft. Schließlich wirken Mafia-Organisationen durch Korruption, Einschüchterung und Gewalt tief in unsere Gesellschaft und unseren Rechtsstaat hinein – das machen die Daten zur Einflussnahme in diesem Lagebild besonders deutlich. Um dagegen anzugehen, brauchen wir relevante OK-Forschung an Universitäten und Hochschulen, investigativen Journalismus, und eine unabhängige Beobachtungsstelle für Organisierte Kriminalität, die Daten, Expertise und Menschen aus verschiedenen Sektoren zusammenbringt. All das muss politisch gewollt und nachhaltig finanziert sein.
[1] Die stark gestiegenen Summen der Schäden und Erträge führt das BKA v.a. auf ein Verfahren im Hauptdeliktsbereich Cybercrime zurück. Schäden werden wie folgt definiert: „Der Schaden entspricht grundsätzlich dem Geldwert (Verkehrswert) des rechtswidrig erlangten Gutes. Bei Vermögensdelikten ist unter Schaden die Wertminderung des Vermögens zu verstehen. […] Mittelbare Schäden sind nicht erfasst.“, https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/OrganisierteKriminalitaet/BLB_OK_Erklaerungen_2023/BLB_OK_Erklaerungen_2023.html , zuletzt aufgerufen am 18.09.2024
[2] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/597304/umfrage/immobilienpreise-alle-baujahre-in-deutschland/
[3] „Für die Feststellung der dominierenden Staatsangehörigkeit einer OK-Gruppierung ist die Staatsangehörigkeit der Person ausschlaggebend, die innerhalb einer OK-Gruppierung die Führungsfunktion einnimmt. Dabei muss nicht zwingend die Mehrheit innerhalb einer Gruppierung diese Staatsangehörigkeit besitzen.“ (s. S. 17)