IOK-Einfluss auch bei Arzneimittelkriminalität

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Wenn die illegalen Einnahmequellen der Organisierten Kriminalität (OK) öffentlich thematisiert und debattiert werden, liegt der Fokus meist auf Rauschgiftkriminalität, Menschenhandel und illegalem Waffenhandel. Weitab des Interesses liegt dabei die Arzneimittelkriminalität. Dies überrascht, denn bereits im Jahr 2007 veröffentlichte das Bundeskriminalamt (BKA) einen umfassenden Forschungsbericht unter dem Titel „Arzneimittelkriminalität – ein Wachstumsmarkt?“, in dem auf die Gefahren von Dopingsubstanzen und gefälschten Arzneimitteln hingewiesen wird. Zwar konnten zum damaligen Zeitpunkt keine genauen Aussagen über den Umfang der durch organisierte Tätergruppen begangenen Straftaten getroffen werden, doch eine künftige Zunahme der OK-Relevanz bei Straftaten in Zusammenhang mit dem Arzneimittelgesetz war bereits abzusehen.

Schwerpunkte der Arzneimittelkriminalität sind nach aktuellem Stand der illegale Handel mit Doping- und Potenzmitteln sowie die Herstellung und der Vertrieb von Arzneimittelfälschungen. Während erstere klar zu erfassen sind, handelt es sich bei Arzneimittelfälschung um einen vagen Begriff, unter dem eine Vielzahl von Fälschungsdelikten zusammengefasst werden. Nach § 4 Abs. 40 AMG gilt jedes Arzneimittel in Deutschland als Fälschung, bei dem eines oder mehrere der folgenden Elemente gefälscht wurden:

  • „die Identität, einschließlich seiner Verpackung, seiner Kennzeichnung, seiner Bezeichnung oder seiner Zusammensetzung in Bezug auf einen oder mehrere seiner Bestandteile, einschließlich der Hilfsstoffe und des Gehalts dieser Bestandteile,
  • die Herkunft, einschließlich des Herstellers, das Herstellungsland, das Herkunftsland und den Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder den Inhaber der Zulassung oder
  • den in Aufzeichnungen und Dokumenten beschriebenen Vertriebsweg“.

Für die OK stellen Arzneimittelfälschungen eine lukrative Einnahmequelle mit geringem Entdeckungsrisiko dar. Vergleicht man die Marktpreise pro Kilogramm von Heroin (50.000€), Kokain (65.000 €) und Viagraplagiaten (90.000€) aus dem Jahr 2013 ist das Ergebnis erschreckend. Auch wenn nach aktuellem Kenntnisstand von mafianeindanke bezüglich der Gewinnmargen keine genauen Aussagen getroffen werden können, ist es offensichtlich, dass es sich hierbei um einen attraktiven Markt handelt. Laut Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) erreichte der Gesamtwert der 2016 weltweit gehandelten Medikamentenfälschungen 4,4 Milliarden USD. Mögliche gesundheitliche Risiken sind infolge der verschiedenen Fälschungsstrategien nur schwer abzuschätzen. Beispielsweise sind Placebo-Fälschungen von Potenzmitteln laut dem bayrischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit als vergleichsweise ungefährlich einzustufen, während Fälschungen ohne Wirkstoff oder mit einem anderen als den deklarierten Wirkstoff wiederum zu Wechselwirkungen, Unverträglichkeiten oder sogar zum Tod führen können.

Sonderfall Italienische Organisierte Kriminalität

Aufgrund der lukrativen Gewinne und dem vergleichsweise geringen Entdeckungsrisiko überrascht es nicht, dass auch die Italienische Organisierte Kriminalität (IOK) diesen Markt für sich entdeckt hat. Dies hat auch unmittelbare Auswirkungen auf Deutschland. Bezeichnend ist an dieser Stelle allerdings, dass nicht etwa Plagiate oder gestreckte Produkte vertrieben werden, sondern dass gestohlene Originale über den legalen Vertriebsweg in den europäischen Großhandel wiedereingeführt werden. Laut der Studie „The theft of medicines from italian hospitals“ – ein gemeinsames Projekt der Universität Trento und der Università Cattolica del Sacro Cuore in Mailand aus dem Jahr 2014 – geht hervor, dass im Zeitraum von 2006 bis 2013 insbesondere teure Präparate – z. B. zur Behandlung von Krebs, Rheuma und Immunsuppressiva – im Wert von 18,7 Millionen Euro aus italienischen Krankenhäusern entwendet und vor allem in Deutschland wieder in Umlauf gebracht wurden. Eine beachtliche Summe, wenn man berücksichtigt, dass es sich lediglich um 68 untersuchte Diebstähle handelt.

Bei der geografischen Untersuchung der Diebstähle zeichnet sich ein klares Muster ab. Die Diebstähle häufen sich in den südlichen Regionen Italiens, wo Gruppierungen der italienischen OK stark vertreten sind, allen voran in Kampanien und Apulien, in denen sich ca. 45 % der Diebstähle ereigneten. Besonders besorgniserregend: Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass es sich bei den Tätern um professionelle Gruppen handelt, die Kontakte zu legal operierenden Akteuren – z. B. Ärzten, Pharma-Händlern und Transportunternehmen – pflegen und über die nötigen Mittel verfügen, medizinisches Personal zu korrumpieren oder unter massiven Druck zu setzen.

Laut AIFA (italienische Arzneimittelbehörde) wurde die gestohlene Ware mittels gefälschter Rechnungen, die von nicht lizensierten Händlern aus Zypern, Ungarn, Lettland, Rumänien, Slowakei, Slowenien und Griechenland ausgestellt wurden, scheinlegalisiert und anschließend wieder über den legalen Weg an italienische Großhändler verkauft, die sie wiederum in andere europäische Staaten – darunter auch Deutschland – exportieren. Ermöglicht wurde die Wiedereinführung der gestohlenen Arzneimittel in die legale Lieferkette durch den sogenannten Parallelimport von Arzneimitteln in der Europäischen Union. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) beschreibt den Vorgang wie folgt: „Bei einem Parallelimport kauft ein (in der Regel auf den Pharmasektor spezialisiertes) Importunternehmen ein Arzneimittel in einem anderen EU-/EWR-Mitgliedstaat ein, importiert es nach Deutschland und bringt es dann „parallel“ zu dem ursprünglichen pharmazeutischen Unternehmer ebenfalls in den Verkehr. Der Parallelimporteur macht sich dabei die in Europa bestehenden Preisunterschiede auf dem Arzneimittelmarkt zunutze“. Der Parallelimport von Arzneimitteln ist in Deutschland gesetzlich geregelt. In Deutschland unterliegen alle importierten sowie parallel vertriebenen Arzneimittelchargen einer staatlichen Freigabe durch das PEI nach § 32 AMG.

Im Jahr 2013 wurde die deutsche Pharmaindustrie erstmals in relevantem Umfang mit dem Phänomen konfrontiert. Mediale Präsenz erlangten die Vorfälle allerdings erst 2014. apotheke adhoc berichtete von deutschen Pharma-Händlern und Importeuren, die mit gestohlenen Arzneimitteln aus Italien beliefert wurden. Der Zusammenhang zu den genannten Diebstählen in Italien ist evident. Die ersten Chargenrückrufe betrafen Medikamente zu Behandlung von Krebs, rheumatoide Arthritis und Morbus Crohn, darunter Alimta, Avastin, Gardasil, Herceptin und Remicade. Im Juli 2014 vervielfachte sich die Zahl der unter Verdacht stehenden Präparate. Angaben von apotheke adhoc zufolge lag dem Pharmahändler und Reimporteur CC Pharma eine Liste vom 80 Medikamenten vor. Das Unternehmen teilte mit, dass es mit 40 davon beliefert worden sei. Andere Unternehmen starteten Rückrufaktionen, während CC Pharma sogar einen Schritt weiter ging: Der Großhändler stellte das gesamte aus Italien stammende Sortiment unter Quarantäne, unabhängig davon, ob die Ware laut italienischen Behörden unter Diebstahlsverdacht stand.

Der Umfang der Vorfälle in den Jahren 2013 und 2014 ist bis dato einzigartig in der Bundesrepublik. Laut einer Studie des BKA aus dem Jahr 2017 ist davon auszugehen, dass „Fälle von gefälschten Arzneimitteln in der legalen Lieferkette […] hierzulande vermutlich selten (sind)“. Nach Einschätzung von mafianeindanke besteht bezüglich der von italienischen Gruppierungen dominierten Arzneimittelkriminalität allerdings kein Grund zur Entwarnung. Die Pharmaindustrie gehört zu den stärksten Wirtschaftssektoren Italiens. Allein im Jahr 2021 wurden laut Farmindustria (Branchenverband der italienischen Pharmaindustrie) Waren im Wert von 34,4 Milliarden Euro produziert. Über 85 % der Produktion von 2016 bis 2021 war für den Export bestimmt. Im Zeitraum von 2011 bis 2021 hat der italienische Pharmaexport europaweit den größten Zuwachs zu verzeichnen. Nach aktuellem Stand gehen allein nach Deutschland 11,4 % des Gesamtexports (Stand 2021). Es liegt in der Natur der IOK, unabhängig davon, ob es sich um Cosa Nostra, ‘Ndrangheta, Camorra oder Sacra Corona Unita handelt, die Bereiche zu infiltrieren, die den höchsten Profit versprechen. Sie passt sich an, knüpft neue Kontakte und spezialisiert sich. Zwar gibt es bisher nur vereinzelt Belege dafür, dass einige der genannten Organisationen – meist wird pauschal von Mafia berichtet – im Bereich der Arzneimittelkriminalität operieren, doch die Erfahrung zeigt, dass die OK sowohl legale als auch illegale Märkte unterwandert, lange bevor Politik, Öffentlichkeit und Strafverfolgung davon erfahren. Bereits im Jahr 2014 machten die Autoren der Studie „The theft of medicines from italian hospitals“ darauf aufmerksam, dass eine Beteiligung der italienischen OK an den Medikamentendiebstählen sehr wahrscheinlich ist. Die in der Studie thematisierten Diebstähle gingen mit einem hohen Maß an logistischem Aufwand einher und darüber hinaus wurden weitreichende Kontakte zum Gesundheitswesen sowie zu den betroffenen Krankenhäusern und entsprechende fachliche Expertise benötigt. Die Komplexität der Operationen und die notwendigen Ressourcen berücksichtigend, wäre es naiv zu glauben, dass die Mafia oder andere Organisationen der IOK nicht auf irgendeine Art an den Vorfällen beteiligt wären.

Deutschland und Italien im Kontext der MEDICRIME Convention

Das 2011 aufgelegte Strafrechtsabkommen des Europäischen Rates „MEDICRIME Convention“ stellt ein wichtiges internationales Instrument zur Bekämpfung der allgemeinen Arzneimittelkriminalität sowie der Arzneimittelkriminalität nach Art der IOK dar. Die Vertragsstaaten, die sowohl EU-Mitgliedstaaten als auch Drittstaaten umfassen, verpflichten sich dazu, gegen folgende Handlungen vorzugehen:

  • das Herstellen von gefälschten Medizinprodukten,
  • das Liefern, Anbieten und Handeln mit gefälschten Medizinprodukten,
  • das Fälschen von Dokumenten, die Medizinprodukte betreffen,
  • unbefugtes Herstellen oder Liefern von Medizinprodukten sowie die Vermarktung von medizinischen Geräten, die nicht die rechtlichen Auflagen erfüllen.

Weltweit haben 15 Staaten das Abkommen ratifiziert, 15 weitere – darunter Deutschland und Italien – haben es unterzeichnet. Laut Unterrichtung der Bundesregierung vom Januar 2022 wird die Ratifizierung des Abkommens vorbereitet. Die wesentlichen Vorgaben des Übereinkommens wurden mit dem Gesetz zur Anpassung des Medizinprodukterechts im Jahr 2020 umgesetzt. Aus einer Anfrage der italienischen Senatorin Maria Rizzotti aus dem Jahr 2020 an den damaligen Gesundheitsminister Italiens geht hervor, dass in Italien zum besagten Zeitpunkt eine unzureichende Gesetzeslage für die Ratifizierung des Abkommens bestand. Eine Antwort auf die Frage der Senatorin, weshalb es in Italien über die Jahre ständig zu Verzögerungen bei der Verabschiedung der notwendigen Gesetze für die Ratifizierung kam, liegt mafianeindanke nicht vor.

Deutschland und Italien gehörten 2011 zu den ersten Unterzeichnern der MEDICRIME Convention. Dass mehr als 10 Jahre nach der Unterzeichnung immer noch nicht die notwendigen Gesetze zur Ratifizierung verabschiedet wurden, ist bedauernswert und lässt vermuten, dass die zuständigen Ministerien und Mandatsträger sich nicht über die Dringlichkeit der Thematik im Klaren sind und ihr nicht die notwendige Priorität einräumen.

Kein Grund zur Entwarnung

Trotz der genannten Defizite begrüßt mafianeindanke die nationalen und europäischen Erfolge im Kampf gegen die Organisierte Arzneimittelkriminalität. Im Zuge der vom European Police Office (EUROPOL) durchgeführten Operationen „Shield“, „Shield II“ und Shield III“, die sich zwischen den Jahren 2020 und 2022 ereigneten, wurden insgesamt 60,5 Millionen Einheiten Medikamente und Dopingsubstanzen im Wert von 176 Millionen Euro beschlagnahmt und 825 Internetseiten vom Netz genommen. Italien nahm bei den genannten Operationen mit weiteren europäischen Mitgliedsstaaten eine federführende Rolle ein.

Diese Erfolge belegen, dass das Phänomen auf europäischer Ebene grundsätzlich ernst genommen wird und auch entsprechende Ressourcen zu dessen Bekämpfung zur Verfügung gestellt werden. Zwar handelt es sich bei den Operationen – zumindest nach derzeitigem Kenntnisstand – nicht um gezielte Schläge gegen die IOK, dennoch sind diese Erfolge aus Sicht von mafianeindanke explizit zu würdigen. Doch es darf nicht der Fehler begangen werden, sich auf den aktuellen Errungenschaften auszuruhen. Aufgrund der Profitabilität des Marktes liegt es nahe, dass die IOK versuchen wird (neue) Strukturen aufzubauen, um unbemerkt von Öffentlichkeit, Politik und Strafverfolgung weiter Gewinne zu erwirtschaften und auf dem Gebiet zu expandieren. Hinzu kommt, dass das Internet im Handel mit illegalen oder gefälschten Arzneimitteln eine immer zentralere Rolle einnimmt und sich infolge der Anonymität des Netzes die Verfolgung der Täter noch schwieriger gestalten wird. Die Annahme, dass die IOK den Internethandel bereits großräumig infiltriert hat, ist nach jetzigem Stand nicht zu bestätigen, doch es liegt nahe, dass auch dieser Markt – wenn es nicht schon der Fall ist – zu ihrem Aktionsfeld werden wird. Hinsichtlich des besonderen Gefahrenpotentials plädiert mafianeindanke dafür, dass die verschiedenen Ableger der IOK – Cosa Nostra, ‘Ndrangheta, Camorra und Sacra Corona Unita – in besonderem Maße Gegenstand von Forschung und Strafverfolgung werden. In dem im Jahr 2019 erschienenen Forschungsband „Auswirkungen der Liberalisierung des Internethandels in Europa auf die Arzneimittelkriminalität“ formuliert Professor Arndt Sinn von der Universität Osnabrück diverse Empfehlungen für eine effektive Verfolgung von Arzneimittelkriminalität in Deutschland und Europa, darunter:

  • die Aufnahme von Arzneimittelstraftaten in den Katalog des § 100a Abs. 2 StPO (Telekommunikationsüberwachung), soweit diese einen Bezug zur OK aufweisen (bandenmäßige Begehung), oder wenn von deren Begehung eine drohende schwere Gesundheitsgefährdung einer großen Zahl von Menschen ausgehen kann,
  • die Verfolgung von Tätern der organisierten Arzneimittelkriminalität nach § 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigung),
  • die stärkere Einbeziehung von Finanzermittlungen bei der Verfolgung von Arzneimittelkriminalität,
  • den Strukturermittlungen bei der Verfolgung von organisierter Arzneimittelkriminalität größere Bedeutung zukommen lassen,
  • die Einrichtung von spezialisierten Fachdienststellen bei Polizei und Staatsanwaltschaft sowie die Schaffung von ressortübergreifenden Organisationseinheiten.

mafianeindanke unterstützt diese Empfehlungen ausdrücklich und sieht in diesen geeignete präventive und repressive Instrumente, um einer Infiltration des deutschen Arzneimittelmarktes durch die IOK künftig entgegenzuwirken.

Dieser Artikel wurde von Francesco Basta für mafianeindanke verfasst.