Was „Mafia-Romantik“ für italienische Restaurants attraktiv macht

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Der Fall der Pizzeria Falcone & Borsellino ist nur der tragische Höhepunkt eines internationalen Trends

In den letzten Monaten hat mafianeindanke mehrmals zu dem Gerichtsverfahren um die Frankfurter Pizzeria Falcone & Borsellino und das diesbezügliche Engagement des Vereins berichtet. Die Betreiber hatten einerseits ihr Lokal nach den ermordeten Antimafia-Richtern benannt, andererseits hatten sie bei der Gestaltung der Einrichtung und der Speisekarte einen äußerst geschmacklosen Stil gewählt, den man häufig als „Mafia-Folklore“ bezeichnet. Mafia-Folklore steht für das gezielte Herabspielen der Gefährlichkeit der Mafia durch Verweise auf vermeintliche, positiv konnotierte Charakteristika der Mafia, wie Familienbände oder den „ehrenwerten“ Charakter ihrer Mitglieder, die häufig aus beschönigenden oder verherrlichenden Werken aus der Filmindustrie stammen. Konkreten Ausdruck findet dieser Stil häufig im Anbringen von Postern und Bildern, die Szenen oder Bilder aus Mafiafilmen wie Der Pate oder Porträts von tatsächlichen Mafiabossen enthalten. Weitere Möglichkeiten sind die Verwendung von Mafia-Anspielungen in der Speisekarte oder eben, wie sehr häufig beobachtet, im Namen. Im Fall der Pizzeria Falcone & Borsellino waren die Betreiber aber soweit gegangen, die Namen von Antimafia-Helden und nicht, wie üblich, Mafiabossen wie Don Corleone zu verwenden. Der schlechte Geschmack gipfelte in der Speisekarte, wo von Falcone und Borsellino neben Einschusslöchern abgebildet wurden.

Wenngleich im Fall der Frankfurter Pizzeria das Ausmaß von Mafia-Folklore auf die Spitze getrieben wurde, gibt es etliche ähnliche Beispiele auf internationaler Ebene, aber vor allem auch in Deutschland. Mafia-Folklore ist zu einem besorgniserregenden Trend geworden, den die Betreiber von italienischen Lokalen schamlos ausnützen, um mehr Kunden anzulocken.  

Der Fall der spanischen Pizzakette „La Mafia“

In Spanien existiert seit längerem eine Kette italienischer Pizzerien, die ein besonders signifikantes Beispiel dafür ist, wie weit Mafia-Romantik im Kontext von Restaurants gehen kann. Vor allem handelt es sich bei den Lokalen, die den Namen „La mafia“, ergänzt um den Zusatz „se sienta a la mesa“ (zu deutsch: Die Mafia setzt sich an den Tisch), nicht um 2-3 zusammengehörige Restaurants, sondern eine Kette, die über ein Franchising-System Restaurants in ganz Spanien betreibt und sich auch offen als Marke positioniert. Als La Repubblica das Thema im Jahr 2014 aufgriff, zählte die Kette 34 Lokale und über 400 Angestellte, außerdem konnten Kunden über eine Kundenkarte bei regelmäßigen Besuchen Bonierlangen. Wer am Eingang das Formular für die Kundenkarte ausfüllt, wird mit den Worten „Willkommen in der Familie“ begrüßt. Einer der bekanntesten Slogans der Kette, die lange beständig gewachsen ist, lautet „La mafia crea empleo“ – die Mafia schafft Arbeit.

Die Kette wurde im Jahr 2000 gegründet, als zwei junge Spanier ihr altes Lokal in Saragozza in ein italienisches Restaurant umwandelten. Zuvor hatten sie laut eigenen Aussagen Sizilien bereist, um die italienische Gastronomie besser kennenzulernen. Dabei fühlten sie sich durch den Titel sowie den Inhalten eines Buches von zwei französischen Autoren motiviert, das namensgleich „La mafia se sienta a la mesa“ hieß und die geschmackslose Idee hatte, angeblich wahre Mafiageschichten sowie köstliche Rezepte der „ehrenwerten Gesellschaft“ aneinanderzureihen. Nach dem Erfolg des ersten Restaurants kam schnell ein zweites dazu, und dank der Einführung eines Franchising-Systems gelang es, bereits 2010 25 Restaurants in ganz Spanien zu betreiben. Wie im Franchising-System üblich, ist die Lokaleinrichtung zentral vorgegeben – dem Namen folgend sind die Lokale voll mit typischen Elementen des Mafia-Folklore. Vorherrschend sind Anspielungen auf Mafia-Verfilmungen wie Der Pate, es gibt aber auch viele Verweise auf tatsächliche Bosse der italo-amerikanischen Mafia. Beispielsweise stehen auf den Rückenlehnen der Stühle jeweils der Name eines berühmten Bosses wie Lucky Luciano oder Al Capone.

Im Interview mit La Repubblica (2014)verteidigte sich der Kommunikationsverantwortliche des Unternehmens und beschrieb das Wort Mafia als eine absolute Marke mit hohem Wiedererkennungswert. Beschwerden hätte es bisher kaum gegeben, höchstens auf ein paar italienischen Blogs. Das war zwar eine Untertreibung – beispielsweise hatte ein Jahr zuvor eine Gruppe empörter Italiener die Türen eines Lokals mit den Fotos vom Tatort des Bombenanschlags auf Paolo Borsellino zugeklebt – allerdings hatte es keine offiziellen Reaktionen auf politischer Ebene gegeben. Das sollte sich wenig später ändern: die Reportage von Repubblica löste eine Kettenreaktion aus, und aus der ganzen Welt kamen empörte Reaktionen. Das Thema wurde wenig später von der italienischen Antimafia-Kommission aufgegriffen, und Italien stellte offiziell beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum einen Antrag, um die Verwendung des Namens „La mafia“ zu verbieten. Die Europäische Union gab dem Antrag im Jahr 2018 statt.

„Corleone by Lucia Riina“

In deutschen Zeitungen wurde eher selten von der spanischen Pizzakette berichtet. Mehr Breitenwirkung hatte hingegen die Nachricht, dass die jüngste Tochter von Toto Riina, Lucia, in Paris ein Restaurant eröffnet hatte, das ausgerechnet den Namen „Corleone by Lucia Riina“ trug, als würde sie nicht ein Restaurant, sondern ein Designerstück signieren. Corleone ist der Heimatort der Superbosse Toto Riina und Bernardo Provenzano und daneben vor allem durch Der Pate bekannt. Eine Provokation, auch wenn das immerhin der ganze Umfang der offensichtlichen Mafia-Folklore war. Im Inneren des Lokals gab es keine Mafia-Anspielungen. Dass der Name der historisch vorbelasteteten Stadt Corleone allerdings erneut zusammen mit dem Namen Riina auftauchte, löste eine Welle der Empörung aus. Lucia Riina selbst gab vor, die Aufregung nicht zu verstehen. Sie hatte allerdings bereits zuvor mit einigen kontroversen Aussagen und Aktionen für Aufsehen gesorgt. Einerseits gab sie an, erst bei der Festnahme ihres Vaters 1993 von dessen wahrer Rolle erfahren zu haben – sie ist die jüngste Tochter Toto Riinas und war damals ein Teenager. Andererseits hatte sie 2013 ausgesagt, ihren Namen niemals ändern zu wollen, den sie ja mit Ehre trüge. 2017 galt sie gegenüber den italienischen Behörden noch als nullatenente (Habenichts) und beantragte eine Art Babybonus, den nur bedürftige Eltern erhalten können. Das große Interesse der Presse an ihrem Restaurant wurde jedenfalls kaum erwidert – für die meisten war sie nicht zu sprechen. Man verwies darauf, die Idee zu dem Lokal wäre gar nicht von Lucia Riina gekommen, und im Übrigen wäre man einfach ein normales italienisches Restaurant.

Unzählige Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum

Wie mafianeindanke bereits im Rahmen der Causa Falcone & Borsellino berichtet hat, sind Mafia-Anspielungen im Namen, der Speisekarte und der Lokaleinrichtung vor allem im deutschsprachigen Raum ein Dauerbrenner. Oft ist es tatsächlich nur der Name, wie bei der „Pizzeria Corleone“, die Lokale in Köln, Frankfurt und Frechen betreibt und neben dem Namen auch das Konterfei von Vito Corleone benützt. Das Restaurant „Cosa Nostra“, in guter Kölner Lage am Rhein und nur wenige Schritte von der Hohenzollernbrücke entfernt, geht etwas offensiver vor: das Restaurant begrüßt bevorzugt „ehrenwerte Gäste“ – eine direkte Anspielung auf die „ehrenwerte Gesellschaft“ – und auch die Inneneinrichtung ist mafia-folkloristisch geprägt. Im unterfränkischen Volkach findet sich das Ristorante Corleone, dessen Pizzen alle mit „Don“ anfangen, aber immerhin direkte Anspielungen auf real existierende Mafiabosse wie Riina und Provenzano unterlassen. Die Pizzeria Mafiosi in Köln nützt für ihre gesamte Speisekarte die charakteristische Schrift, die sich in der Werbung für Der Pate wiederfindet. Besonders geschmackslos sind unter anderem die Pizzen „Cosa Nostra“, „Riina“ und „Mafiosi“. Dieses Lokal hat übrigens nichts mit der deutlich heruntergekommeneren Pizzeria Mafiosi in Wien zu tun – einem günstigen, unter Studenten bekannten Lokal im 15. Bezirk der österreichischen Hauptstadt.

Ein besonders kurioser, wenngleich umso bedenklicherer Fall wurde ebenfalls aus Wien berichtet. Im 7. Bezirk wurde 2013 in Windeseile ein Lokal bzw. Lieferservice mit dem Namen „Don Panino“ bekannt. Im Angebot waren Sandwiches, deren Namen sowohl auf reale und fiktive Mafiabosse („Don Buscetta“, „Don Corleone“) als auch prominente Opfer der Mafia hinwiesen („Don Falcone“, „Don Impastato“). Der italienische SZ-Korrespondent und Autor des Buches „Agromafie“, Oliver Meiler, hat recherchiert, dass es dazu noch widerwärtige Beschreibungen gab, wie zum Beispiel im Falle des 1978 ermordeten Journalisten Peppino Impastato: „Der großschnäutzige Sizilianer wurde bei einem Bombenattentat gebacken wie ein BBQ-Hähnchen“.

Umgehend schaltete sich die italienische Botschaft ein und protestierte gegenüber den österreichischen Behörden, ebenso meldete sich Maria Falcone zu Wort. Das Kuriosum war, dass es das Lokal anscheinend nie gegeben hatte. Unter der Adresse in einem Wiener Mehrfamilienhaus befand sich ein Warenlager. Die Wiener Zeitung titelte wenig später „Das Lokal, das es nicht gibt“. Die Homepage, die von zwei Italienern betrieben worden war, wurde vom Netz genommen. Der Standard fand kurz darauf heraus, dass es sich bloß um eine Kampagne eines in Süditalien lebenden niederländischen Werbeexperten gehandelt hatte. Der italienischen Nachrichtenagentur ANSA sagte dieser, sein Kunde habe ihn gebeten, ein attraktives Produkt zu schaffen, und er hätte eben die Don-Panino-Kampagne aufgrund dieser Anweisungen entworfen.

Mafia-Romantik wird bei italienischen Restaurants im deutschsprachigen Raum als zusätzlicher Erfolgsfaktor missverstanden

Die zahlreichen Beispiele zeigen, dass die Mafia im Gastrobereich bereits eine Marke mit absolutem Wiedererkennungswert geworden ist. Was in Italien sofort boykottiert und zwangsgeschlossen würde, ist außerhalb des Belpaese an der Tagesordnung. In anderen europäischen Ländern, in denen keine Organisationen von der kriminellen Bedeutung und Reichweite der Mafias heimisch sind, überwiegt die Mafia-Romantik, die vor allem, aber nicht nur durch Der Pate bekannt wurde. Interessant ist dabei auch, dass Anspielungen auf real existierende Mafiaorganisationen immer die Cosa Nostra betroffen, nicht aber etwa die Camorra oder die `Ndrangheta.

Vielen Konsumenten scheint das Sympathisieren mit einigen positiv behafteten Aspekten der Mafia, wie das Klischee der „ehrenwerten Gesellschaft“ und die Familienbände, wohl auch unbedenklich. Schließlich ist das Wissen über den tatsächlichen Einfluss der italienischen Mafia auf internationaler Ebene äußerst gering und Festnahmen sind allerhöchstens eine Randnotiz wert. Der Mafia wird es recht sein: wenn sie nicht selbst hinter der folkloristischen Fassade sitzt und über das Lokal ihre kriminellen Operationen im Ausland steuert, freut sie sich jedenfalls darüber, weiterhin nicht als gesellschaftlicher Bedrohungsfaktor wahrgenommen zu werden. Konsumenten sollten Mafia-Folklore gegenüber kritisch sein. Nicht nur sollte man das Besuchen derartiger Lokale vermeiden, sondern idealerweise offen Kritik üben und auf die Problematik hinweisen. Auch Rezensionen können dafür ein ausgezeichnetes Mittel sein. Obwohl eine Klage gegen die Pizzeria Falcone & Borsellino erfolglos blieb, war der allgemeine Shitstorm – der auch etliche 1-Sterne-Rezensionen auf Social Media beinhaltete – ausreichend, um die Betreiber zum Umdenken zu bewegen.