Berliner Gerichte hatten in diesem Jahr 77 Grundstücke eingezogen, die im Jahr 2018 sichergestellt worden sind. Der Erwerb dieser Grundstücke von Eigentümern, die der Täterstruktur der Berliner „Clankriminalität“ zuzuordnen sind, erfolgte nach Überzeugung der Gerichte mit Mitteln, die aus einer Straftat stammen. Der Nachweis einer spezifischen Straftat konnte jedoch nicht geführt werden. Eine selbständige Einziehung war jedoch aufgrund gegenwärtiger Rechtslage möglich, da dafür die Überzeugung des Gerichts ausreicht, dass diese aus einer rechtswidrigen Tat herrühren. Mit dieser Praxis der selbständigen Einziehung könnte es jedoch bald vorbei sein, wenn der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche in Kraft treten würde.
Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich im November und Dezember 2020 mit dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 14. Oktober 2020 zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche (BR-Drs. 620/20; BT-Drs. 19/24180).
Zum Referentenentwurf von BMJV und BMF vom 11. August 2020 hatte mafianeindanke e.V. am 15. September 2020 Stellung genommen . Wir berichteten darüber im Newsletter vom Oktober 2020.
Der Entwurf der Bundesregierung vom 9. November 2020 weist einige Änderungen des Referentenentwurfs auf. So soll das nach gegenwärtiger Rechtslage bestehende subjektive Tatbestandselement der „Leichtfertigkeit“ (§ 261 Abs. 6 StGB), wie u. a. von mafianeindanke e.V. gefordert, nicht gestrichen, sondern beibehalten werden. Die im Referentenentwurf vorgeschlagene Änderung des § 76a Abs. 4 StGB wird jedoch vom Regierungsentwurf übernommen.
Gem. § 76a Abs. 4 S. 1 StGB kann ein aus einer rechtswidrigen Tat herrührender Gegenstand, der in einem Verfahren wegen des Verdachts einer in Satz 3 genannten Straftat sichergestellt worden ist, auch dann selbstständig eingezogen werden, wenn der von der Sicherstellung Betroffene nicht wegen der Straftat verfolgt oder verurteilt werden kann. Straftaten im Sinne des Satzes 1 sind nach gegenwärtiger Rechtslage gemäß § 76a Absatz 4 Satz 3 Nummer 1 Buchstabe f „Geldwäsche und Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte nach § 261 Absatz 1, 2 und 4 StGB“. Nach dem Regierungsentwurf soll eine Geldwäschestraftat nach § 261 Abs. 1 und 2 StGB (E) nur noch unter den Satz 1 fallen, wenn die „Vortat ein Verbrechen ist oder in den Fällen der gewerbs- oder bandenmäßigen Begehung einer Vortat“. Dadurch will das Bundesjustizministerium, quasi als Korrektiv des „erheblich ausgeweiteten Anwendungsbereichs des Geldwäschestraftatbestands“ die selbständige Einziehung „neu austarieren“ (vgl. BR-Drs. 620/20, S. 6).
Mit dieser vom BMJV geforderten „neuen Austarierung“, die mit der qualitativen Erhöhung der Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung gem. § 437 StGB verbunden ist, wird das Instrument der selbständigen administrativen bzw. zivilrechtlichen Einziehung gemäß § 76 a Abs. 4 StGB konterkariert und dessen Anwendung in der Praxis ausgebremst. Dogmatisch ist diese „neue Austarierung“ mehr als fragwürdig. Beim Tatbestand des § 261 StGB soll auf die Qualifikation der gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Begehung einer Straftat im Zuge der Neuordnung des objektiven Straftatbestands und der damit intendierten Optimierung der Strafverfolgung verzichtet werden. Bei der administrativen Einziehung, wo der Betroffene nicht wegen einer Straftat verfolgt oder verurteilt werden kann, soll sie hingegen im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung vom Tatbestand verlangt werden. Dies soll auch für Vortaten der Geldwäsche gelten, die nach gegenwärtiger Rechtslage diese Qualifikation bei der Vortatenvoraussetzung gar nicht kennen.
Die selbständige Einziehung ist im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung im Juli 2017 in Kraft getreten. § 76a Abs. 4 StGB ist das vorwärtsweisende Kernstück dieses Gesetzes, das in Umsetzung der EU-Richtlinie 2014/42/EU geschaffen worden ist. Mit dieser Norm sollte die gesetzliche Abschöpfungslücke für die Fallgruppe des aus Straftaten herrührenden Vermögens unklarer Herkunft geschlossen werden. Durch § 76a Abs. 4 StGB ist es möglich geworden, Gegenstände unabhängig vom Nachweis einer rechtswidrigen Tat selbständig einzuziehen, wenn das entscheidende Gericht von der illegalen Herkunft dieser Vermögensgegenstände überzeugt ist. Dieses international als „non-conviction-based confiscation“ bekannte, nicht strafrechtliche sondern administrative bzw. zivilprozessuale Instrument ermöglicht die Einziehung von Taterträgen und Surrogaten, obwohl den Betroffenen ein strafrechtlich relevantes Verhalten nicht nachzuweisen ist. Dafür reicht es nunmehr aus, dass der Vermögensgegenstand in einem Strafverfahren wegen des Verdachts einer Katalogstraftat nach § 76a Abs. 4 StGB sichergestellt worden ist, dieses Strafverfahren jedoch eingestellt werden musste. An die richterliche Überzeugungsbildung dürfen nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 21. August 2018 – 2 StR 231/18) „keine überspannten Anforderungen“ gestellt werden. Genau dies will jedoch die Bundesregierung mit ihrem Änderungsvorschlag.
Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sowie der Geldwäsche und anderer komplexer Finanzverbrechen ist nur dann erfolgreich, wenn bei den Tätern Gelder und Vermögensgegenstände eingezogen werden, die ihnen erlauben, in weitere Verbrechen zu investieren, ihre wirtschaftliche Macht in der legalen Wirtschaft weiter auszubauen und die illegal erlangten Profite vor den Ermittlungsbehörden in Sicherheit zu bringen. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass allein die Reformierung des Geldwäschestraftatbestands und die Ersetzung des bisherigen Vortatenkatalogs durch einen „all crime-Ansatz“ allein in der Lage wären, die regulatorischen Defizite der deutschen Geldwäschebekämpfung zu beseitigen. Allenfalls bei einfachen Formen der Geldwäsche, in denen eine strafbare Herkunft des Vermögensgegenstands leicht zu erkennen und bei denen die Formen der Verschleierung dieser Vermögensgegenstände simpel sind, ließe sich, worauf wir bereits hingewiesen haben, ein solches Ergebnis erzielen.
Geldwäschebekämpfung darf sich nicht in Symbolpolitik erschöpfen. Ohne eine konsequente Umsetzung des Geldwäschegesetzes durch die zuständigen Behörden, an der es noch deutlich hapert, und ohne eine wirksame und in der Praxis aktiv genutzte selbständige Einziehung von Vermögensgegenständen werden die Kinderkrankheiten des multidisziplinären Ansatzes bei der Geldwäschebekämpfung auch weiterhin scheitern – trotz der seit 1992 inzwischen zweistelligen Überarbeitungen des Geldwäschestraftatbestands.
Aufgrund der in der Datensammlung „juris“ veröffentlichten richterlichen Entscheidungen zu § 76a Abs. 4 StGB und der einer breiten Öffentlichkeit bekannt gewordenen Entscheidungen Berliner Gerichte in diesem Jahr zur Einziehung von Grundstücken, die im Besitz von Personen waren, die der sog. Clankriminalität zuzuordnen sind, lässt sich absehen, dass das Instrument der Selbständigen Einziehung endlich von der Praxis mehr angewandt wird. Es zeigt sich auch, dass dieses Instrument fast drei Jahre nach Inkrafttreten dieser Norm zu greifen beginnt, nachdem es in Publikationen der Interessengruppe der in Wirtschaftsstrafverfahren engagierten Großkanzleien als angeblich „verfassungswidrig“ lange zerredet werden konnte. Eine wirksame Bekämpfung der Organisierten Kriminalität setzt in allen Bundesländern voraus, dass von dem neuen Instrument der selbständigen Einziehung im Bereich der Wirtschaftskriminalität breit Gebrauch gemacht wird. Dieser Prozess würde nunmehr durch den Gesetzesentwurf des deutschen Bundestags jäh gestoppt. Der Vorstand von mafineindanke hat deshalb in einem Schreiben an Mitglieder des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag gefordert, diesem Änderungsvorschlag der Bundesregierung nicht zuzustimmen.