Ein Gerichtsurteil, das Italien erbost

Bild Speisekarte

Seit einiger Zeit hat mafianeindanke einen Gerichtsprozess in Frankfurt begleitet, bei dem die italienische Stiftung Falcone versucht hat, dem Restaurant Falcone & Borsellino in Frankfurt zu untersagen, die Namen der beiden Helden der Antimafia-Bewegung zu benutzen. Nicht nur nutzte die von einem Deutschen betriebene Pizzeria Namen und Bilder der beiden, sie versah auch die Speisekarte mit Einschusslöchern.

Giovanni Falcone und Paolo Borsellino waren Ermittlungsrichter, die in den Achtziger und Neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Vorgehen gegen die Mafia in Sizilien maßgeblich geprägt haben: ihr Ansatz, den Strömen kriminellen Kapital zu folgen, um an die mafiösen Hinterleute zu kommen, war revolutionär und ist bis heute für die Verbrechensbekämpfung maßgeblich. Sie erfanden das italienische Kronzeugenprogramm, das mit zu den Säulen der Mafia-Bekämpfung gehört, weil es Einblicke in die sonst verschlossene Organisation ermöglicht und Grundlage für hunderte Gerichtsverfahren gegen die italienische Organisierte Kriminalität war. In diesen Aspekten wirken Falcone und Borsellino bis heute nach. Mehrere Dienstreisen führten sie auch nach Deutschland, zur Vernehmung von Mafiosi, die sich nach Deutschland abgesetzt hatten, aber auch, um ihre deutschen Kolleg*innen für die Mafia zu sensibilisieren. Der Knackpunkt des Verfahrens in Frankfurt war, dass ihre aktuelle Bedeutung für Deutschland gerichtlich anerkannt werden muss, damit ihre Namen schützenswert sind. Wir haben verschiedene Statements von berufenen Personen aus dem deutschen Kontext gesammelt und in das Gerichtsverfahren eingespeist, die eindeutig belegen, dass Falcone und Borsellino heute noch relevant sind. Das Gericht ist dieser Ansicht leider nicht gefolgt. Es hat zwar die Bedeutung von Giovanni Falcone gewürdigt „Giovanni Falcone kommt zweifelsfrei ein hohes Ansehen wegen seines Wirkens, seines Mutes und der Umstände seiner Ermordung zu. Dies gilt auch für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Durch die Nutzung seines Namens als Gaststättenbezeichnung für eigene kommerzielle Zwecke der Beklagten wird dieses Ansehen beeinträchtigt.“

Es urteilt aber, dass die Personen, die in der Pizzeria verkehren, diese Bedeutung nicht kennen. „Insofern kann auf eine Bekanntheit und Bedeutung, die Giovanni Falcone im Kreis von Strafverfolgern und Kriminologen auch heute noch – so von den Klägerinnen dargelegt – genießt, nicht abgestellt werden. Bei der Beurteilung ist auch zu berücksichtigen, dass die Lebensleistung von Giovanni Falcone vorrangig in Italien angesiedelt ist.“

Damit würdigt das Gericht die von uns eingebrachten Statements, kommt aber zu anderen Schlüssen. In Italien hat dieses Urteil für Aufruhr gesorgt. Auch die italienische Botschaft in Berlin hat es zum Anlass genommen, eine Protestnote an den entsprechenden Gastwirt zu schicken. Offenbar hat die Gegenwehr ein Umdenken ausgelöst: Der Gastwirt hat angekündigt, dem Lokal einen neuen Namen zu geben und die Botschaft um Hilfe bei der Namensfindung gebeten.

mafianeindanke wirkt seit Jahren darauf hin, dass Begriffe wie Mafia, Pate etc. nicht für Werbezwecke benutzt und damit die italienische Organisierte Kriminalität verharmlost wird. Eine große Kampagne endete im Januar 2017 mit einer Konferenz in der Berliner Landeszentrale für politische Bildung.  Nun hat mafianeindanke gemeinsam mit dem Netzwerk CHANCE – Civil Hub against Organized Crime eine Pressemitteilung veröffentlicht, die wir im Folgenden wiedergeben wollen:

Für das deutsche Gericht sind die Namen Falcone und Borsellino nicht schutzwürdig – Das von Libera geförderte europäische Netzwerk CHANCE bedauert das Urteil des Frankfurter Gerichtshofs.

Das von Libera, mafianeindanke, Eine Welt Leipzig und vielen anderen Partnerorganisationen in ganz Europa geförderte Netzwerk CHANCE – Civil Hub Against orgaNised Crime in Europe – bedauert die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main zutiefst.
Nur zwei Monate nach den Feierlichkeiten zur „Falcone-Resolution“, die zum Abschluss der Konferenz der Vertragsstaaten des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität in Wien verkündet wurde, ist es traurig, die Seiten dieses Urteils zu lesen.
In dem Prozess klagte Maria Falcone, die Schwester von Giovanni Falcone, und die Falcone-Stiftung gegen die Pizzeria „Falcone & Borsellino“ in Frankfurt, mit der Bitte, den Namen und die Marke aus allen Werbematerialien zu entfernen. Die Pizzeria stellt auch das Bild der Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino neben das von Marlon Brando in „Der Pate“ und neben Einschusslöcher. Die Frankfurter Richter – obwohl sie in dem Urteil die Arbeit und den großen Mut von Giovanni Falcone als Richter anerkannten – sahen keine ausreichenden Gründe, um seinen Namen auf deutschem Grund vollständig zu schützen. Das Urteil besagt, dass der Name „Falcone“ aufgrund der zeitlichen Distanz zur Ermordung von Giovanni Falcone im Jahr 1992 in Deutschland nicht allgemein bekannt ist und nicht mit der Figur des Richters verbunden sei. Darüber hinaus wird eine Unterscheidung zwischen einem Fachpublikum „von Staatsanwälten und Kriminologen“, das auch in Deutschland die Bedeutung von Falcone kennen würde, und Restaurantbesuchern in der Entscheidung vorausgesetzt, und diesen Restaurantbesuchern wird Unkenntnis unterstellt.
Diese Entscheidung trägt in keiner Weise zur Bekämpfung der mafiösen Stereotypen bei, die außerhalb der italienischen Grenzen sehr verbreitet und gefährlich sind, da sie ein irreführendes Bild dessen vermitteln, was die Mafia ist und welche Gefahr sie für eine freie und gerechte Gesellschaft darstellt. Bei dieser Gelegenheit hätten die Richter die Gelegenheit gehabt, die demokratischen Kräfte zu unterstützen, indem sie sich eingehender mit dem Thema befasst hätten und sich nicht auf die bloße Anwendung von Gesetzesparagraphen beschränkt hätten.
Mit dem Urteil des Frankfurter Gerichts wird auch deutlich, dass die Erinnerung, die in Italien bewahrt und geschützt wird, in Deutschland mit den geltenden Gesetzen nicht geschützt werden kann – und weithin anerkannte Persönlichkeiten wie die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino können so zum Gegenstand von Missbrauch und Spott werden.

Als europäisches Netzwerk CHANCE sind wir zunehmend von der Wichtigkeit überzeugt, ein gemeinsames europäisches Gedenken an die Opfer des organisierten Verbrechens und der Mafia aufzubauen. Es ist unerlässlich, die Sensibilisierungs- und Informationsarbeit auch in Europa fortzusetzen, damit Entscheidungen wie diese in Zukunft den schweren kulturellen Schaden, den sie anrichten können, berücksichtigen.