Trauert auch die Mafia um Berlusconi?

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Mit Silvio Berlusconi starb am 12. Juni 2023 einer der einflussreichsten, schillerndsten und fragwürdigsten Politiker Italiens. Die Reaktionen in den Medien und auf Social Media machten deutlich, wie gespalten das Land auf Berlusconi blickt. Positiven Konnotationen als erfolgreicher Staatsmann, Unternehmer und Fußballklubbesitzer stehen Skandale gegenüber, die in 36 Justizverfahren mündeten, in denen kaum ein Tatbestand ausgelassen wurde. Insbesondere hinsichtlich der Verbindungen Berlusconis zur Organisierten Kriminalität ist noch vieles offen, was auch künstlerisch aufgegriffen wurde. Ein Künstlerkollektiv brachte in Palermo einen satirischen Nachruf an, in dem die „in Trauer vereinten Palermitaner Mafiafamilien“ den Angehörigen ihr Beileid aussprechen – eine Anspielung auf die enormen Mengen an Schutzgeld, die Berlusconi der Cosa Nostra jahrzehntelang gezahlt haben soll. In einer weiteren Darstellung wurde er als „wiedervereint“ mit Totò Riina und dem früheren Ministerpräsidenten Giulio Andreotti dargestellt, gegen den ebenfalls in diversen Prozessen wegen seiner Verbindungen zur Mafia ermittelt wurde.

Umso kritischer wurde die Reaktion der italienischen Regierung aufgenommen, die für den Tag seines Begräbnisses Staatstrauer [HT1] ausrief. Letzteres war nicht nur angesichts von Berlusconis Vergangenheit und kritischer Wahrnehmung überraschend, es ist auch das erste Mal, dass für einen ehemaligen Ministerpräsidenten Staatstrauer angeordnet wird (mit zwei Ausnahmen, die jedoch zudem auch das Amt des Staatspräsidenten bekleidet hatten).  Damit wurden unter anderem für den Trauertag unter anderem ein Großteil der Regierungstätigkeiten eingestellt und vor öffentlichen Gebäuden die Flaggen auf Halbmast gehängt. Sogar die Associazione nazionale magistrati, der laut eigener Aussage 90% der italienischen Staatsanwälte angehören, erließ ein Statement, in dem von Berlusconi als „ein indiskutabler Protagonist für eine lange und wichtige Periode des politischen Lebens im Land“ gesprochen wurde. Prominente Antimafia-Kämpfer wie Nino di Matteo distanzierten sich in der Folge in den Medien von der Darstellung. Der ehemalige Palermitaner Staatsanwalt Roberto Scarpinato bezeichnete die Ausrufung der Staatstrauer als schädigend für das Ansehen Italiens. Auch vor allem aus dem schulischen und akademischen Umfeld folgte prompter Widerstand, viele äußerten, sie wären keineswegs in Trauer um Berlusconi. Nach den Ermordungen der Antimafia-Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Jahr 1992, die das Land enorm erschüttert hatten, war die Staatstrauer im Übrigen nicht verhängt worden.

Wer die internationalen Medien betrachtet, bemerkt schnell, dass die Darstellung Berlusconis dort stärker differenziert ist und vor allem seine Vergehen in den Vordergrund gerückt werden, wenngleich er international hauptsächlich wegen seiner Sexskandale mit teils minderjährigen Frauen und seiner rechtskräftigen Verurteilung für Steuerhinterziehung kritisiert wird. Wegen ersterer sah sich Berlusconi 2011 am Höhepunkt der Eurokrise zum Rücktritt gezwungen, wegen zweiterer wird bis heute kritisiert, dass jemand wie er in der Folge weiter für politische Ämter kandidieren durfte – unter anderem wäre er 2022 beinahe Senatspräsident geworden. Seine Verbindungen zur Mafia wurden hingegen – vielleicht auch wegen der geringen Anzahl an rechtskräftigen Urteilen – verhältnismäßig wenig betrachtet.

Berlusconis Verbindungen zur Mafia ziehen sich wie ein roter Faden durch seinen Lebenslauf

Tatsächlich finden sich in Berlusconis Vita unzählige mehr oder weniger wahrscheinliche Verbindungen zur Mafia, davon insbesondere zur sizilianischen Cosa Nostra. Als gesichert gilt die Anstellung des sizilianischen Mafiosos Vittorio Mangano als „Stallbursche[HT2] “ in Berlusconis Villa vor den Toren Mailands, nachdem Berlusconi aus Angst vor erpresserischen Entführungen seiner Selbst oder von Familienmitgliedern den Kontakt zur Cosa Nostra gesucht hatte. Offiziell als „Stallbursche“ bezeichnet, ist davon auszugehen, dass Mangano als direkte Ansprechperson und Verbindungsglied in Mafia-Angelegenheiten diente. In einem französischen Dokumentarfilm namens „Silvio Berlusconi und die Mafia“ gibt ein Kronzeuge an, bei einem Treffen des Mafiabosses Stefano Bontade mit Berlusconi dabei gewesen zu sein. Berlusconi habe in der Folge auf kontinuierlicher Basis Schutzgeld an die Cosa Nostra gezahlt. Für die Pflege der Beziehungen zur Mafia soll er sich auf seine rechte Hand Marcello Dell’Utri verlassen haben, der erst enger Mitarbeiter Berlusconis und später Mitparteigründer und Senator war. Dell’Utri wurde 2014 letztinstanzlich wegen Mitwirkung an einer mafiösen Vereinigung als Außenstehender (concorso esterno) zu sieben Jahren Haft verurteilt. Anerkannt wurden dabei unter anderem seine Funktion als Mediator zwischen Berlusconi und der Mafia sowie seine Mitwirkung bei der Anstellung Manganos.

Regelmäßige Schutzgeldzahlungen sind allerdings nur die Spitze des Eisbergs, was die Beziehungen Berlusconis mit der Mafia angeht, außerdem ist zu bezweifeln, ob diese nicht schon früher begannen. Noch heute ist nicht vollständig geklärt, wie die rasche, kapitalintensive Expansion von Berlusconis Unternehmen – erst in der Baubranche, dann im Fernsehsektor – finanziert wurde. Vor allem während seines Aufstiegs als Baulöwe unterstützte ihn die Banca Rasini stark, bei der Berlusconis Vater Generaldirektor war und die verdächtigt wird, Geldwäsche für die Mafia betrieben zu haben. Ähnliche Ungereimtheiten gab es hinsichtlich seines Eintritts in den Fernsehsektor, die bis heute aufgrund des Schweizer Bankgeheimnisses nicht geklärt werden konnten.

Was wusste Berlusconi über die mafiösen Bombenanschläge 1992 und 1993?

Besonders unangebracht scheint die Staatstrauer für Berlusconi in Anbetracht der Tatsache, dass zum Zeitpunkt seines Todes weiterhin gegen ihn und Dell’Utri hinsichtlich der blutigen Bombenanschläge ermittelt wurde, die die Cosa Nostra 1993 auf dem italienischen Festland durchführen ließ. Im Verfahren soll herausgefunden werden, ob Berlusconi von den Plänen der Mafia wusste oder sogar als „mandante esterno“, also externer Auftraggeber, betrachtet werden kann. Es wird vermutet, dass Berlusconi, der 1994 seine Partei Forza Italia gründete und die Parlamentswahlen gewann, von der Stimmung profitiert haben könnte, die durch die Bombenanschläge im Land entstand. Der für die Anschläge materiell verantwortliche Palermitaner Mafiaboss Giuseppe Graviano äußerte sich mehrmals in Gerichtsprozessen zu geschäftlichen Beziehungen mit Berlusconis Unternehmen, in die seine Familie signifikant investiert hätte, und bezeichnete Berlusconi in einer abgehörten Aufzeichnung als einen „Verräter“, der doch mal erzählen sollte, wer ihm an die Regierung geholfen hatte. Unter anderem von dem Kronzeugen Giovanni Ciaramitaro wurde spekuliert, dass im Gegenzug Hafterleichterungen für Mafiosi bis hin zur Abschaffung des Artikel 41 bis, der in Italien immer wieder heiß diskutiert wird (mafianeindanke berichtete kürzlich), eingeführt werden sollten. Welchen Wahrheitsgehalt diese Anschuldigungen haben, kann allerdings nicht endgültig festgestellt werden, da Graviano nicht den Status einen Kronzeugen besitzt und es auch denkbar ist, dass er Berlusconi gezielt schaden wollte. Während Salvatore Borsellino, der Bruder des 1992 ermordeten Staatsanwalts Paolo, nach dem Tod Berlusconis auf ein Geständnis von Giuseppe Graviano hofft, wird der Prozess zu den Bombenanschlägen von 1993 jedenfalls weitergeführt, da auch sein Vertrauter Marcello Dell’Utri in dem Verfahren angeklagt ist, wo er erstinstanzlich bereits zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden war.

Nach Berlusconis erster, kurzer Regierungsperiode als Ministerpräsident 1994 werden die Hinweise auf Verbindungen zur Mafia weniger. Es ist auch nicht gesichert, ob es weiterhin Schutzgeldzahlungen an die Mafia gab, wenngleich anzunehmen ist, dass Berlusconi als Regierungschef wesentlich vielfältigere Möglichkeiten hatte, die Mafia zu begünstigen. Die Cosa Nostra beendete nach Giuseppe Gravianos Festnahme unter der Führung Bernardo Provenzanos die blutigen Bombenanschläge und veränderte sich grundlegend, während gleichzeitig sich der unaufhaltbare Aufstieg der heutzutage mächtigeren ‘ndrangheta aus Kalabrien fortsetzte. Hinsichtlich möglicher Beziehungen Berlusconis zur kalabrischen Mafia ist interessanterweise kaum etwas bekannt, auch wenn beispielsweise im Prozess „Ndrangheta Stragista“ ein Kronzeuge ihn in die Nähe des Piromalli-Clans rückte und behauptete, die ‘ndrangheta habe Berlusconi im Gegenzug für politische Garantien mit Wählerstimmen unterstützt.

Unabhängig von Berlusconis Mafia-Beziehungen hat sich Italien im Umgang mit seinem Tod gründlich blamiert

Ob, wie von der Satire suggeriert, die Mafia im Jahr 2023 nun tatsächlich um Berlusconi trauert, ist zweifelhaft. Dennoch gibt es dank der italienischen Justiz genügend Beweise und noch viel mehr Verdachtsmomente, die den Schluss zulassen, dass er der Mafia vor allem von den 1970er bis 1990er Jahren nicht nur regelmäßig Schutzgeld bezahlt, sondern auch insgesamt sehr nützlich gewesen sein dürfte. Ein negativer Aspekt von Berlusconis Geschichte, der nach Ansicht vieler Antimafia-Kämpfer:innen und auch von mafianeindanke in der Berichterstattung zu wenig gewürdigt wurde.

Gleichzeitig hat der problematische Umgang der italienischen Regierung und Teilen der Öffentlichkeit mit seiner Person nach seinem Tod einen sehr schlechten Eindruck vermittelt. Es kann einerseits vermutet werden, dass die Anordnung der staatlichen Trauer – für die der Ministerrat die Initiative ergreifen muss – durch die aktuelle Regierungsbeteiligung von Forza Italia und persönliche Sympathien für Berlusconi begünstigt wurde. Unter anderem war Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bereits von 2008-2011 unter Berlusconi Jugendministerin. Dennoch ist die Außenwirkung für ein Land wie Italien, das international ansonsten als Beispiel für effektive OK-Bekämpfung gesehen wird, äußerst ungünstig. Bemerkenswert ist aber auch der Widerstand vieler junger Menschen und Antimafia-Kämpfer:innen, die einseitig positive Darstellungen Berlusconis ablehnten und sich davon distanzierten. Der ehemalige Palermitaner Staatsanwalt Roberto Scarpinato sagte dazu, die Regierung könne zwar versuchen, ihre verzerrte Sicht auf Berlusconi in der kollektiven Erinnerung zu verankern, der Versuch sei aber zum Scheitern verurteilt. Schließlich seien die Italiener:innen wesentlich weiser als gedacht und könnten sehr wohl die Geschichte und den Sinn des italienischen Staates zu Zeiten von Falcone und Borsellino von dem unterscheiden, der von Silvio Berlusconi geprägt wurde. Das glauben auch wir von mafianeindanke.

Herkunft des Titelbildes: Niccolò Caranti, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

Eines der satirischen Plakate des Künstlerkollektivs Offline zeigt Berlusconi mit Toto Riina und Giulio Andreotti unter dem Slogan „Endlich wieder vereint“. (c) mnd