Seit einem Jahr findet in Kalabrien der zweite Mafia-Maxiprozess der Geschichte statt – dieses Mal gegen die ‘Ndrangheta. Jahrelang war die Stadt Lamezia Terme es gewöhnt, dass sie dank ihres Flughafens als Verteilpunkt für Sommertouristen zu dienen hatte, sich ansonsten aber kaum jemand dorthin verirren würde. Seit dem 13. Januar 2021 ist das anders: an diesem Tag begann dort der „Rinascita-Scott“-Prozess, der größte bisher da gewesene Prozess gegen die ‘Ndrangheta und der zweitgrößte gegen die Mafia nach dem Maxiprozess gegen die Cosa Nostra in den 1980ern, mit dem er auch permanent verglichen wird. Entsprechend fanden sich neben den Prozessteilnehmern hunderte Medienvertreter ein, von denen viele auch aus dem Ausland anreisten, trotz Corona. Das Vorabmarketing hatte gut funktioniert, und entsprechend groß war das Interesse am Prozess.
Seitdem ist ein Jahr vergangen, und die Stimmung hat sich verändert. Kritik wird vor allem an den Medien geübt, die sich nach der Ansicht vieler nur zu Prozessbeginn eingefunden haben, um danach die Berichterstattung auf ein Minimum zu begrenzen, woran nur die Verkündung der Urteile des verkürzten Prozessverfahrens (sog. rito abbreviato) gegen 91 Angeklagte kurzfristig etwas ändern konnte. Vor allem in dem ständig bemühten – und nach Ansicht vieler auch gerechtfertigten – Vergleich zum Maxiprozess aus den 1980ern, der durchgehend von der Presse verfolgt wurde, durch verschiedene Veröffentlichungen in die italienische Geschichte eingegangen ist sowie von dem es umfangreiches Bild- und Videomaterial gibt, scheint die Kritik berechtigt. Oder sind die Prozesse am Ende doch nicht so vergleichbar, wie die Zahl der Angeklagten es suggeriert?
Im Gegensatz zum Maxiprozess analysiert Rinascita Scott die Mafia des 21. Jahrhunderts, die sich deutlich von der Cosa Nostra der 80er unterscheidet
Der Prozess „Rinascita Scott“ ist die direkte Konsequenz der gleichnamigen Polizeiaktion im Herbst 2019, bei der in unzähligen koordinierten Einsätzen von insgesamt über 3000 Einsatzkräften 334 Personen verhaftet werden konnten. In dem nun stattfindenden Prozess gibt es über 400 Beschuldigte – Zahlen, die in der italienischen Geschichte nur von dem legendären Maxiprozess von Palermo übertroffen wurden, der im Jahr 1986 begann und fast sechs Jahre dauerte. Auch deshalb wurde schnell der Begriff „Maxiprozess gegen die `Ndrangheta“ verwendet, und man bemühte sich, weitere Ähnlichkeiten sicherzustellen. Wie der historische Maxiprozess wird auch Rinascita Scott in einer Kernregion der Mafia geführt, und zwar im kalabrischen Lamezia Terme – ein Zeichen an die `Ndrangheta, das viel Beifall erntete. Wie 1986, als man aus Angst vor Anschlägen durch die Mafia den Prozess in einer neuerrichteten, schwerbewachten „aula bunker“ neben dem berüchtigten Ucciardone-Gefängnis in Palermo abhielt, gibt es auch ein Lamezia Terme ein ähnliches Gebäude, das modernsten Standards entspricht und über 1000 Personen Platz bietet – bei vollständiger Einhaltung der Corona-Maßnahmen. Auch der Prozessauftakt bot – der Präsenz schwerbewaffneter Soldaten sowie über dem Gebäude schwebender Helikopter sei Dank – ein ordentliches Maß Dramatik.
Wer die beiden Prozesse allerdings inhaltlich vergleicht, bemerkt schnell, warum der Maxiprozess von Palermo alle Voraussetzungen hatte, um in die Geschichte einzugehen. Er war die erste signifikative Reaktion des italienischen Staates gegen die Mafia, die sich auch in einem Prozess niederschlug. In den Jahren zuvor hatte die sizilianische Cosa Nostra ihre Heimatregion in Angst und Schrecken versetzt und unter anderem während des zweiten Mafiakriegs für über 600 Todesopfer in Konflikten zwischen rivalisierenden Clans gesorgt. Vor allem machte sie nicht vor der Zivilgesellschaft halt und ermordete viele ihrer prominentesten Gegner, wie den Polizeichef Boris Giuliano, den Politiker Piersanti Mattarella oder den Präfekten Carlo Alberto Dalla Chiesa. Der Maxiprozess machte plötzlich Hoffnung – mit Tommaso Buscetta erklärte ein reumütiger Mafioso der obersten Rangebene den Ermittlern das Innenleben der Mafia, und dank des Rognoni-La Torre-Gesetzes war es nun möglich, Personen allein wegen der Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung zu verurteilen. Auf der Anklagebank fand sich das „who is who“ der Cosa Nostra wieder – Bosse wie Pippo Calò, Luciano Liggio e Michele Greco verfolgten den Prozess von ihren Käfigen aus, während flüchtige Superbosse wie Totò Riina und Bernardo Provenzano in Abwesenheit verurteilt wurden. Diese Bosse hatten nicht nur unzählige Morde angeordnet, sondern jeweils auch Dutzende Morde selbst begangen, weshalb man sie noch besser als blutrünstige Monster darstellen konnte.
Wer zu Vergleichszwecken die Anklageschrift von Rinascita Scott danebenlegt, bemerkt schnell, dass es sich dabei um einen völlig anderen Prozess handelt. Was die Ausgangssituation angeht, gibt es anders als 1986 niemanden mehr, der die Existenz der Mafia anzweifelt; ebenso besteht Einigkeit darüber, dass die `Ndrangheta mittlerweile die gefährlichste wie wirtschaftlich mächtigste der italienischen Mafias ist. Im Mittelpunkt des Verfahrens steht der Mancuso-Clan aus Limbadi in der Provinz Vibo Valentia. Er gilt als einer der mächtigsten in der Region und ist laut Aussagen des italienischen Kriminalitätsexperten Federico Varese sehr gewalttätig und gleichzeitig unternehmerisch sehr stark. Der Boss Luigi Mancuso wird von den Ermittlern als führender Mafiaboss in der Provinz betrachtet. Zurzeit ist der Clan der wohl ökonomisch Stärkste in Europa – Mitglieder von ihm zählen zu den mächtigsten Rauschgifthändlern weltweit. Sie zählen diverse Verbündete innerhalb sowie außerhalb der `Ndrangheta. Auch in Deutschland leben hochrangige Mitglieder des Clans – einige der 334 Festnahmen von Rinascita Scott wurden in Deutschland durchgeführt. Zugleich richteten sich die Ermittlungen gegen weitere Clans aus der Provinz Vibo-Valentia und damit rund um das Stammland der Mancuso, die mit diesen kooperieren. Man hat also einen gesamten Ausschnitt des Mafia-Gefüges in der Region durchleuchtet und mit Verhaftungen geschwächt.
Wie allerdings schon kurz nach den Verhaftungen bekannt wurde, waren ein beträchtlicher Teil der Festgenommenen nicht amtsbekannte Mafiosi, sondern oft polizeilich bisher nicht auffällige Bürger, die im Verdacht stehen, mit der `Ndrangheta zusammengearbeitet oder sie direkt oder indirekt begünstigt zu haben. Verbindungen mit der Zivilgesellschaft wurden im Maxiprozess vergleichsweise kaum beleuchtet. Unter diesen Angeklagten in Rinascita Scott sind Notare, Politiker, Treuhänder, Unternehmer und auch Polizisten, die den Clans unter anderen mit gefälschten Papieren, zugeschanzten Bauaufträgen und Tipps zu laufenden Ermittlungen geholfen haben sollen. Eine besondere Rolle in der Herstellung dieser Beziehungen wird Freimaurerlogen zugeschrieben, die in Kalabrien allgemein als von der `Ndrangheta kontrolliert gelten. Einer der prominentesten „colletti bianchi“, die mit der Mafia kollaboriert haben sollen, ist der Anwalt und Politiker Giancarlo Pittelli, der früher für Berlusconis Partei Forza Italia im Parlament und im Senat saß und jetzt auf der Anklagebank Platz nehmen muss.
Das Verfahren Rinascita Scott zeigt eine unternehmerische `Ndrangheta, die vorrangig Geschäfte machen möchte und sich dabei auf ein umfangreiches Netzwerk aus Helfern verlassen kann. Einige helfen der `Ndrangheta wissentlich, weil sie davon monetär oder anderweitig profitieren; andere verhalten sich grob fahrlässig und verletzen ihre Sorgfaltspflicht. In der Tat erwarten der bekannte leitende Staatswalt von Catanzaro Nicola Gratteri sowie andere Mafia-Experten, dass das Verfahren verstärkt ans Licht bringt, wie eng die Beziehungen zwischen Teilen von Politik und Wirtschaft mit der ‘Ndrangheta sind. Gerade in Süditalien beschaffen kriminelle Bosse einigen Politikern bei Wahlen Stimmen, wofür die von ihnen kontrollierten Firmen sich unter anderem behördliche Genehmigungen oder Aufträge erhoffen können.
Für das Herstellen dieser Beziehungen bieten sich genügend Gelegenheiten: ein besonderer Aspekt innerhalb von Rinascita Scott sind die Beziehungen, die in Freimaurerlogen aufgebaut werden, wo sich wichtige Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und anderen Bereichen unter Ausschluss der Öffentlichkeit treffen. Wie gefährlich solche Logen sein können, hat Italien bereits in den Achtzigern mit der Aufdeckung von Propaganda Due (P2) gelernt, die von Licio Gelli zu einem konspirativen Netzwerk der wichtigsten italienischen Führungspersonen umgebaut worden war und verdächtigt wurde, einen Staatsstreich zu planen. Auch daran war schon die Mafia beteiligt. Heute werden diese Netzwerke in Italien mit der Wortschöpfung „massomafia“ bezeichnet. Laut „La Notizia“ gibt es in Italien über 1.500 Freimaurerlogen mit insgesamt über 35.000 Mitgliedern. Vor Gericht sagte der ehemalige Großmeister der bekannten Loge Grande Oriente d’Italia (GOI), 28 von 32 Logen in Kalabrien wären „mit Sicherheit“ von der `Ndrangheta kontrolliert.
Pantaleone „Luni“ Mancuso, ein hochrangiges Mitglied des Clans, der im Zentrum von Rinascita Scott steht, meinte 2013 in einem abgehörten Gespräch, die `Ndrangheta würde eigentlich gar nicht mehr existieren, sondern wäre Teil der Freimaurer, allerdings mit den gleichen Regeln. Im Rahmen von Rinascita Scott wird vermutet, dass viele der Angeklagten Mitglieder von Freimaurerlogen sind oder mit diesen in Verbindung stehen, um einfacher und erfolgreicher legale und illegale Geschäfte zu machen. Unter anderem ist der Politiker und Anwalt Giancarlo Pittelli, der von allen Angeklagten am stärksten im Rampenlicht steht, zumindest früher Mitglied in Freimaurerlogen gewesen, was er in allen Aussagen als vergangen abtut.
Entsprechend ist auch die Anklageschrift von Rinascita Scott anders: gab im Maxiprozess allein 120 Anklagen wegen Mordes, finden sich in Rinascita Scott viel weniger Gewaltdelikte, dafür vermehrt Korruption, Geldwäsche und Beihilfe zu einer mafiösen Vereinigung („concorso esterno“). Treffend schreibt dazu die italienische Tageszeitung Il Fatto Quotidiano: “Die `Ndrangheta ist still und schweigsam, unangreifbar, macht keinen Lärm, tötet nicht, legt keine Bomben, und das nicht, weil diese Methoden nicht Teil ihrer DNA wären, sondern wegen einer präzisen Strategie: je weniger sie sich zeigt, desto mehr wird sie ignoriert. Und die totale Abwesenheit von öffentlichem Interesse für den Rinascita Scott-Prozess zeigt, dass diese Strategie leider gewinnbringend ist”.
Die richterliche Entscheidung die Videoberichterstattung einzuschränken, ist der denkbar größte Gefallen an die Clans
Was ist aber nun wirklich dran an der nicht abreißenden Kritik, die Medien wären nicht an dem Prozess interessiert?
Grundsätzlich wäre es falsch, die Schuld allein den Medien zu geben. Der Maxiprozess von Palermo ist den Italienern auch deshalb so gut in Erinnerung, weil er überall übertragen wurde. Die nationale Rundfunkanstalt RAI bekam die Exklusivrechte für die Übertragung, beispielsweise stellte sie auch 30 Jahre später noch einmal unveröffentlichtes Material zur Verfügung. Das italienische Publikum konnte vor dem Fernseher nicht nur die „üblichen“ Highlights wie Prozessauftakt und Urteilsverkündung verfolgen, auf die sich Medien zumeist konzentrieren, sondern auch auch alles dazwischen, wie hitzige Auseinandersetzungen zwischen dem Boss Pippo Calò und dem Kronzeugen Buscetta. Ebenso wurde das Thema in diversen TV-Produktionen verarbeitet, davon erschienen einige erst Jahrzehnte nach dem Maxiprozess. 2018 erschien die RAI-Dokuserie „Maxi – Il grande processo alla mafia“ mit 6 Episoden, die Geschichte Tommaso Buscettas wurde 2019 mit Starbesetzung verfilmt.
Bei Rinascita Scott verhält sich das anders: beim Prozessauftakt durften nur im Freien ein paar Videos gedreht und Fotos geschossen werden, alles andere wurde zur Wut der Pressevertreter per richterlicher Entscheidung unterbunden. In den Innenräumen musste sich die internationale Presse auf das Zuhören beschränken. Im Übrigen war keiner der Angeklagten physisch anwesend, alle wurden per Videocall zugeschaltet. Entsprechend war die Resonanz: wenige Sender und Formate widmeten sich dauerhaft dem Prozess, und die Medienaufmerksamkeit kehrte nur kurz für die Verkündung der Urteile des verkürzten rito abbreviato zurück. Einem guten Marketing vor Prozessbeginn folgte eine herbe Enttäuschung in der Umsetzung und es scheint, als wäre eine große Chance verpasst worden: der Öffentlichkeit die `Ndrangheta des 21. Jahrhunderts zu erklären. Zudem es heutzutage nicht nur bessere Fernsehgeräte, sondern mit dem Internet und den sozialen Medien noch viele zusätzliche Kanäle gibt, um die Bedeutung des Prozesses allen Bevölkerungsgruppen klar zu machen.
Die `Ndrangheta profitiert von ihren komplexen Strukturen und ihrer schieren Größe
Dass die Medien sich dann anderen Themen zuwandten, die zur Zeit aktuell waren – Migrationsströme aus Nordafrika, innenpolitisches Chaos und vor allem die Coronapandemie – ist insofern kein Wunder. Bilder helfen, einen Prozess anschaulich zu machen – vor allem, wenn auch der Prozessinhalt schwer zu verstehen ist. Auch abgesehen von der erschwerten Berichterstattung war die Relevanz des Maxiprozesses im Vergleich zu Rinascita Scott wesentlich einfacher zu greifen. Einerseits die Ausgangssituation – wegen der Kriege der Cosa Nostra hatten in Sizilien jahrelang unerträgliche Zustände geherrscht, gegen die auch die Bevölkerung aufbegehrte, und die Schuldigen waren klar. Der Mancuso-Clan hingegen hatte sich bis auf ein paar Ausnahmen mit Morden zurückgehalten und machte im Stillen seine legalen und illegalen Geschäfte. Zudem waren die Mancusos zwar innerhalb der `Ndrangheta bekannt, aber die gigantischen Ausmaße des Reichs der kalabrischen Mafia und die wenigen Informationen über ihre Hierarchie machen es schwierig, den Clan neben anderen klingenden Namen wie Nirta-Strangio, Pelle-Vottari, Giorgi und Macri einzuordnen. Polizeiaktionen gegen die `Ndrangheta finden alle paar Monate statt und schaffen es in die Chroniken; allein der italienischsprachige Wikipedia-Artikel über den Mancuso-Clan listet in den fünf Jahren vor Rinascita Scott neun größere Polizeiaktionen zu dessen Schaden auf, mit gesamt über 100 Festgenommenen. Angesichts dieser Historie eine Aktion wie Rinascita Scott genau zu analysieren und die signifikanten Unterschiede festzustellen, die dieser Prozess gegenüber anderen Verfahren hat, verlangt hohe journalistische Kompetenz und eine ordentliche Portion Hartnäckigkeit.
Rinascita Scott hat sein aufklärerisches Potential bisher nicht ausgeschöpft, es ist aber noch nicht zu spät
Am Ende einer fundierten Analyse zeigt sich, dass Rinascita Scott nicht zu viel verspricht: nicht nur die harten Fakten zeigen, dass der Prozess den Vergleich mit dem Maxiprozess nicht scheuen muss. War letzterer eine Möglichkeit, die Führungsriege der Cosa Nostra abzuurteilen, nachdem sie in einer Orgie der Gewalt den Boden Siziliens jahrelang in Blut getränkt hatte, wirft Rinascita Scott einen Blick auf die Mafia des 21. Jahrhunderts, wo nicht mehr die Cosa Nostra, sondern die `Ndrangheta dominiert – eine intransparente, in sich komplexe Organisation, in die Bosse keine blutrünstigen Mörder, sondern skrupellose Geschäftsmänner sind, die durch ein Netz aus Beziehungen ihre Interessen durchsetzen und dabei nicht nur in einem Nutzen-Risiko-Vergleich mehr verdienen als die Cosa Nostra damals. Dass ausgerechnet die geheimnisvollen und intransparenten Freimaurerlogen als Vehikel zum Herstellen von Netzwerken dienen, sollte den Ermittlern zu denken geben.
Auch für Deutschland sind diese Erkenntnisse relevant. Beziehungen zu Freimaurerlogen mögen ein italienisches Spezifikum sein, zur Situation im internationalen Kontext ist nichts bekannt. Dafür scheinen in Deutschland andere Netzwerkstrukturen zumindest nach aktueller Lesart größere Bedeutung zu haben. Es ist aus früheren Ermittlungen bekannt, dass die ‘Ndrangheta ihre in Italien erprobten Strukturen auch im Ausland klont. Daher ist davon auszugehen, dass die Mitglieder der Clans auch hier versuchen, gezielt und strategisch Netzwerk-Strukturen zu infiltrieren, ob als massomafia oder auf anderen Wegen. Allerdings liegen dazu keinerlei Ermittlungsergebnisse vor. Es ist leider auch nicht zu erwarten, dass sich dies in Bälde ändert, da es von polizeilicher Seite so gut wie keine Strukturermittlungen zur Italienischen Organisierten Kriminalität gibt. Zudem sind solche Dynamiken in der strukturellen Entwicklung der Clans leider auch nicht Gegenstand von wissenschaftlichen Analysen. Daraus resultiert leider auch die Gefahr, dass Prozesse wie Rinascita Scott in Italien von einem Publikum in Deutschland gar nicht mehr verfolgt werden können, da das, was in ihrem Kern verhandelt wird, sich einem deutschen Publikum nicht erschließt.
Für den italienischen Kontext wird deutlich, dass die Grenzen zwischen Organisation ‘Ndrangheta und Umfeld stärker verwischt sind als dies bei der Cosa Nostra der Fall war. Dies zu begreifen ist für die traditionell sensationsgierige italienische Presse, die Gewalttaten üblicherweise hochemotional in allen Einzelheiten analysiert, allerdings ungleich schwieriger. Dazu kommt, dass das Untersagen jeglicher Videoberichterstattung sowohl das kurzfristige Medieninteresse schmälert und auch den Verbleib des Prozesses in das kollektive Gedächtnis der Nation unwahrscheinlich macht. Was es braucht, ist einmal mehr die Arbeit von aktivistischen Organisationen und scharfäugigen Pressevertretern, die sich nicht vom Strom mitreißen lassen. Denn wer den Maxiprozess und seine Helden verfolgt hat, erinnert sich an Borsellinos berühmten Satz: “Sprecht über die Mafia! Redet über sie, im Radio, im Fernsehen, in den Zeitungen. Aber sprecht darüber”. Gerade die Tatsache, dass die ‘Ndrangheta weitgehend unauffällig agiert, in Italien wie in Deutschland, lässt diesen Satz so aktuell wie nie erscheinen.