Interview mit Antimafia-Staatsanwalt Sparagna

Roberto Sparagna

 

… zur Frage: Wie können wir rechtlich gemeinsam gegen Mafias in Europa vorgehen?

Seit Januar 2020 ist Sparagna stellvertretender Oberstaatsanwalt bei der Nationalen Anti-Mafia- und Anti-Terror-Direktion mit Sitz in Rom. 

Das Interview führte Dr. Mona Lisa Carai im Rahmen ihrer Promotionsarbeit “Die Strafbarkeit mafiöser Vereinigungen in Deutschland: Zur Reformbedürftigkeit von § 129 StGB im Rahmen der Verfolgung Organisierter Kriminalität vor dem Hintergrund der italienischen Rechtslage”, die im August 2025 erschienen ist.

Seit Juli 1994 ist der Staatsanwalt in der Justiz tätig, wo er zunächst als Staatsanwalt am Gericht von Turin fungierte. Von 2003 bis 2013 war er Teil der Anti-Mafia-Direktion des Bezirks Piedmont. Er befasste sich mit mehreren Morden (darunter die des so genannten Serienmörders MINGHELLA Maurizio) und leitete Ermittlungen, die die Präsenz mafiöser Organisationen im Piemont zum Gegenstand hatten. Insbesondere führte er Ermittlungen gegen die 'Ndrangheta im Piemont (darunter die Operation „Minotauro“), gegen die sizilianische Mafia und ausländische Mafia-Vereinigungen. Er führte die Ermittlungen durch und verfolgte den Prozess (der mit einem nun endgültigen Urteil endete) gegen die aufständische anarchistische Vereinigung namens Informal Anarchist Federation – International Revolutionary Front. Im Jahr 2018 war er für die als „Piazza San Carlo-Katastrophe“ bekannten Ereignisse, die sich am 3.6.2017 auf dem gleichnamigen Platz in Turin ereigneten, zuständig. 

Carai: Welche Entwicklung erwarten Sie in naher Zukunft für kriminelle Vereinigungen, einschließlich mafiöser Organisationen, und welche strafrechtlichen Maßnahmen schlagen Sie vor, um dieses Phänomen umgehend und nicht erst Jahre nach der Etablierung neuer krimineller Vorgehensweisen zu bekämpfen? 

Sparagna: Die in den letzten Jahren begangenen kriminellen Aktivitäten mafiöser Organisationen deuten auf ein zunehmendes Interesse an der Erbringung illegaler Dienstleistungen hin. Neben den kriminellen Aktivitäten, die wir als traditionell bezeichnen könnten – wie Drogenhandel, Erpressung, Waffenhandel – werden dem „Markt unehrlicher Unternehmer“ auch einige illegale Dienstleistungen angeboten, die von der illegalen Arbeitsvermittlung über die Ausstellung falscher Rechnungen bis hin zum Steuerbetrug und illegaler Müllentsorgung reichen. Hinzu kommen Praktiken der Geldwäsche und Wiederverwendung von Erträgen aus kriminellen Aktivitäten, die nicht nur eine enorme Bereicherung der Mafiagruppen bewirken, sondern auch den freien Wettbewerb und den Markt verändern. Dies sind Phänomene, die nicht nur in den italienischen Regionen, insbesondere im Norden des Landes, relevant sind, sondern auch in anderen Ländern der Europäischen Union und auf anderen Kontinenten. Daher besteht die Notwendigkeit, gemeinsame Repressionsmaßnahmen zu ergreifen und Erfahrungen der Legislative und Judikative auszutauschen, die es ermöglicht haben, nützliche und erfolgversprechende Ergebnisse sowohl bei der Bekämpfung als auch der Prävention von Ausbreitung und Etablierung mafiöser Organisationen zu erzielen. Ich denke zum Beispiel an das italienische System der Vermögensschutzmaßnahmen, das meiner Meinung nach in den verschiedenen Staaten der Europäischen Union besser bekannt sein und angewendet werden sollte. In den letzten Jahren wurden enorme Fortschritte erzielt (gedacht sei an die Gemeinschaftsgesetzgebung zu europäischen Ermittlungsanordnungen, gemeinsamen Ermittlungsgruppen und Interventionen zum Thema Beschlagnahme und Sicherstellung). Aber es ist notwendig, die justizielle Zusammenarbeit weiterzuentwickeln. Unabdingbare Voraussetzung hierfür ist Einheitlichkeit in Gesetzgebung und Rechtsprechung.  

Erachten Sie die Rechtsfigur des consorso esterno nur im Kampf gegen die Mafia oder auch gegen andere Arten krimineller Organisationen als relevant? 

Der concorso esterno ist eine Institution, die auch in strafrechtlichen Bereichen abseits von Mafia-Anklagen Anwendung findet. Sie gilt für alle Formen der Verbandskriminalität (also für „einfache“ kriminelle Vereinigungen gemäß Art. 416 des [italienischen] Strafgesetzbuchs, für Vereinigungen gemäß Art. 74 des Präsidialerlasses 309/90, die sich dem Drogenhandel widmen, und für Vereinigungen, die Tabakschmuggel, illegale Einwanderung und Prostitution usw. betreiben). Der concorso esterno ermöglicht es, auch diejenigen zu belangen, die – obwohl sie weder durch formale Mitgliedschaft noch durch eine konkludente Teilnahme Teil der kriminellen Vereinigung sind – diese letztlich unterstützen oder ihr Stärke verleihen.  

Auf welche Strategien sollten sich Deutschland und die EU auf Grundlage der italienischen Erfahrungen konzentrieren, um kriminelle Vereinigungen, auch mafiöse Vereinigungen, wirksamer bekämpfen zu können? 

Zunächst einmal werden Vereinigungsdelikte in ihrer theoretischen Ausarbeitung in einigen Staatssystemen nicht anerkannt. Dort arbeitet man lediglich mit Einzel- und Kollektivstrafen. Darüber hinaus findet die Konstellation des Mafia-Verbandsverbrechens, einer Straftat, bei der die von der assoziativen Verbindung ausgehende Kraft die Mitglieder (oder einige Teile der Gemeinschaft) geheimnisvoll und zurückhaltend macht, oft keine gemeinsame Anerkennung. Mit anderen Worten: Italienischen Ermittlern fällt es oft schwer, das Wesen der [mafiösen] „Einschüchterungsmethode“ zu erklären und zu vermitteln, worin die Manifestation dieser Methode besteht. Anders ausgedrückt sind ausländische Behörden nicht immer bereit, den Unterschied zwischen Organisierter Kriminalität und Mafia-Vereinigungen zu verstehen. Dieser Aspekt verdient besondere Beachtung, da er das Potenzial der justiziellen Zusammenarbeit angesichts der Ausbreitung der Mafia und insbesondere der `Nrangheta in Europa und auch in anderen Ländern verringert. Nachgewiesenermaßen ist die `Ndrangheta in Kanada, den Vereinigten Staaten, Australien, Südamerika und Mexiko präsent. 

Welche Rechtsgrundsätze hat die italienische Doktrin und Rechtsprechung entwickelt und hält sie für eine wirksame Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, einschließlich Mafia-Kriminalität, für notwendig, lässt sich aber möglicherweise nur schwer in andere europäische Rechtssysteme wie das deutsche integrieren, und warum? 

Das bereits Dargelegte muss um die Verstärkung des Kampfes gegen die unerlaubte Bereicherung der Mafia ergänzt werden. Notwendig ist, die Anwendung der in der italienischen Gesetzgebung vorgesehenen Instrumente im Hinblick auf Präventionsmaßnahmen zu verstärken, einschließlich weniger tiefgreifender Beschlagnahmungs- und Einziehungsinstitutionen, die im italienischen Rechtssystem eine weniger intensive Eingriffsstrategie, welche sich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientiert, ermöglichen (wie die Institutionen der Justizverwaltung und der gerichtlichen Vermögenskontrolle). Die Übertragung solcher Institutionen auf andere Länder als Italien stößt auf Anwendungsschwierigkeiten, da es sich um rechtsverbindliche Maßnahmen handelt, die unabhängig von einer Verurteilung sind, aber auf der Vorstellung einer „qualifizierten“ Gefährlichkeit des Subjekts, das der Präventionsmaßnahme ausgesetzt ist, basieren. Ich glaube auch, dass das Thema der „stillen Mafia“ schwer zu übertragen ist. Es tritt dann auf, wenn die Mafia-Präsenz so stark spürbar ist, dass die kriminelle Gruppe nicht einmal mehr (direkte oder indirekte) Drohungen aussprechen muss, um ihre Mitarbeiter dazu zu bringen, etwas zu tun, nicht zu tun oder zu dulden.  

Welche Schwierigkeiten ergeben sich für die ermittelnde Justiz durch die Internationalisierung mafiöser Kriminalität? 

Zusätzlich zu dem, was bereits angemerkt wurde, gibt es konkrete Schwierigkeiten, die häufig auf unterschiedliche Regelungen für die Ermittlungstechniken in verschiedenen Ländern zurückzuführen sind. Ich möchte beispielsweise die Themen Shadowing-Techniken und Abhören hervorheben, wo unterschiedliche Vorschriften in den verschiedenen Rechtssystemen existieren, insbesondere in Bezug auf die Verwertbarkeit der erfassten Daten. Vor allem Verwendungsbeschränkungen bei Abhörmaßnahmen, die das Umfeld des Betroffenen zum Gegenstand haben, führen dazu, dass einer der Gesprächspartner nicht identifizierbar ist. So auch die Tatsache, dass in einigen Gerichtsbarkeiten ein Abbruch der Abhöroperation vorgesehen ist für den Fall, dass sich die Gesprächspartner nicht über strafrechtlich Relevantes austauschen, sondern über persönliche Angelegenheiten sprechen. Auch die Änderung des Nummernschildes eines zu beschlagnahmenden Pkw führt in einigen Staaten dazu, dass die angeordnete Maßnahme ihre Rechtsgrundlage verliert. Gedacht sei auch an die Durchführung von Observations- und Beschattungsmaßnahmen, die in manchen Staaten in zeitlicher Hinsicht auf die Dienststunden von Kriminalpolizeibeamten beschränkt ist. Kurz gesagt: Es besteht nicht nur Bedarf an einer stärkeren gemeinsamen Nutzung der zur Bekämpfung von Mafia-Organisationen entwickelten Rechtsinstitutionen, sondern auch an einer größeren Einheitlichkeit der tatsächlich einsetzbaren Ermittlungsinstrumente. 

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Berührungspunkte und die Hauptunterschiede zwischen terroristischen und mafiösen Vereinigungen hinsichtlich der Struktur der kriminellen Vereinigung? 

Zunächst ist festzuhalten, dass der Terrorist ein Krimineller ist, der von ideologischen Motiven (im Wesentlichen politisch oder konfessionell) bestimmt ist und versucht, das staatliche System zu stürzen oder zu zerstören. Er bringt sich in eine Konfliktsituation mit dem Rechtssystem, da er darauf abzielt, die „Herrschaft“, sprich die grundlegenden politischen, administrativen und wirtschaftlichen Institutionen, zu stürzen. Der Mafioso hingegen versucht sich häufig in den Staatsapparat einzuschleichen und möglichst nicht mit den staatlichen Institutionen in Konflikt zu geraten, sondern diese auszubeuten. Der Mafioso verfolgt das Ziel, neben der Staatsmacht zu existieren und ersetzt sie manchmal, beispielsweise durch die Kontrolle eines Territoriums. Die Mafia versucht auch, Einfluss auf die politische Macht zu nehmen und sich Vorteile daraus zu verschaffen. Aus Sicht der Vereinigungsstruktur ist der Terrorismus in jüngster Zeit zunehmend von der so genannten „Dematerialisierung“ geprägt. Anders ausgedrückt: Gerade im Hinblick auf religiös motivierten Terrorismus erleben wir eine Beziehung der eindeutigen Anlehnung an kriminelle Strukturen mit Sitz im Ausland (zu denken ist an ISIS oder Al-Qeida). Häufig handelt es sich dabei um Einzelpersonen oder Gruppen, die sich terroristischen Netzwerken, die im Internet Propaganda und Strategien verbreiten sowie im Umgang mit Waffen und Sprengstoffen schulen, anschließen. Folglich ergeben sich aus Ermittlungen, insbesondere in objektiver Hinsicht, nicht immer die klassischen Beweiselemente, welche auf die Existenz von Verstecken, Waffen oder gemeinsame Vermögenswerte, die Verteilung assoziativer Rollen usw. schließen lassen. Bei der Mafia-Vereinigung oder kriminellen Organisation aber ist mehr Struktur festzustellen. Sie verfügen immer noch über gemeinsame Vermögenswerte (z. B. die Registrierkasse, die Nutzung von Verstecken, die Nutzung verschlüsselter Telefone usw.), sie nutzen festgelegte Verfahren für Eintritt und Aufstieg innerhalb der kriminellen Organisation und verfügen über eine starre Verteilung der Rollen ihrer Mitglieder. Sie können sich durch einen manchmal schützenden oder zumindest toleranten sozialen Kontext in Sicherheit wiegen. 

Halten Sie die Schaffung einer einheitlichen Anti-Mafia-Gesetzgebung auf europäischer Ebene für sinnvoll und möglich und warum? 

Aufgrund der genannten Beobachtungen halte ich die Harmonisierung der Anti-Mafia-Gesetzgebung auf europäischer Ebene nicht nur für sinnvoll, sondern für unverzichtbar im Hinblick auf eine wirksame justizielle Zusammenarbeit. Der Grund ist simpel: Es ist das einzig geeignete Mittel, um der so offensichtlichen Ausbreitung der Mafia entgegenzuwirken. Darüber hinaus zeigt die Erfahrung der Justiz, dass Mafia-Organisationen ihre illegalen Geschäfte in Gebiete verlagern, in denen der Kampf weniger effektiv ist und in denen sie ungestört agieren können. Dort beeinflussen sie letztendlich die Wirtschaft und das demokratische Leben des Landes (gedacht sei an Wahlmanipulationen). Darüber hinaus agieren Mafia-Organisationen zunehmend gemeinsam und bilden Makroverbände, die beispielsweise den Drogenhandel aus Südamerika heraus steuern. Sie nutzen zunehmend Kryptowährungen und Dark-Web-Märkte, bewegen und waschen Kapital über Drittländer, die weniger zur justiziellen Zusammenarbeit neigen (wie China, die Türkei usw.). Kurz gesagt: Wir sind Zeugen von Phänomenen, die auf die Internationalisierung der Wirtschaft und der Arbeitsfelder der Mafia hindeuten (denken Sie an die Beziehungen zu den kriminellen Organisationen der so genannten südamerikanischen „Tripla frontera“). 

Was sind die kritischsten und interessantesten Elemente, die sich aus Ihren Gesprächen mit Kollegen aus der ausländischen ermittelnden Justiz über die Beteiligung an mafiaähnlichen kriminellen Vereinigungen ergeben? 

Die kritischen Fragen betreffen, wie bereits erwähnt, den Begriff der Mafia-Kriminalität selbst. Im Hinblick auf die Beteiligung an der Mafia-Vereinigung wird die Frage nach der Beweiskraft einer einfachen mitgliedschaftlichen Zugehörigkeit hervorgehoben. Mit anderen Worten: Reicht die bloße Zugehörigkeit aus, um assoziative Beteiligung in Abwesenheit anderer Elemente zu beweisen? Das ist ein Thema, das auch in Italien diskutiert wird. Ein weiteres Diskussions- und Reflexionsthema betrifft die Identifizierung von Verhaltensweisen, die eine mitgliedschaftliche Beteiligung vermögen zu beweisen – sprich die Teilnahme an vertraulichen Treffen, die Gewährung von Vorteilen, die Übermittlung von Nachrichten und qualifizierten Informationen (so genannte Botschaften), die Begehung bestimmter Straftaten usw. 

Was sind Ihrer Meinung nach Fälle Organisierter Kriminalität, die das italienische Rechtssystem besonders gut regelt und die als Vorbild für die EU und andere Systeme dienen könnten? 

Ich glaube nicht, dass das italienische Rechtssystem eine Rechtsinstitution bei der Bekämpfung der Mafia „besonders gut“ regelt. Viele Instrumente sind Gegenstand doktrinärer Kritik, manchmal werden die aufgeworfenen Fragen durch rechtswissenschaftliche Entscheidungen akzeptiert. In diesem Zusammenhang möchte ich an den Dringlichkeitscharakter von Anti-Mafia-Gesetzen, beispielsweise im Zusammenhang mit Terrorismus, erinnern. Ich denke, dass man gemeinsam über die Ausweitung von Präventionsmaßnahmen nachdenken kann. Wie bereits erwähnt, sind sie sehr nützlich, um der finanziellen Bereicherung von Mafia-Vereinigungen und ihrer territorialen Ausbreitung abseits ihrer Heimatgebiete entgegenzuwirken. 

Foto: (c) Roberto Sparagna