Jedes Jahr veröffentlicht Transparency International seinen Korruptionswahrnehmungsindex CPI. Darin schätzt die Organisation auf der Basis von Expertengesprächen, wie stark einzelne Länder von Korruption betroffen sind. Transparency International wurde 1193 in Berlin gegründet, ist inzwischen aber weltweit tätig. Deutschland landet für das Jahr 2015 auf dem zehnten Platz der Statistik. Transparency International hat für das Land eine Verbesserung erkannt, dementsprechend ist Deutschland im Ranking im Vergleich zum Vorjahr um zwei Plätze gestiegen. Doch der Blick auf die Statistik täuscht: Deutschland muss in Sachen Korruptionsbekämpfung noch viel tun.
Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Index, wie auch sein Name besagt, nur die Wahrnehmung der Korruption misst, nicht aber das Ausmaß der Bestechung ine inem Land. Das Ergebnis ist daher mit Vorsicht zu interpretieren, vor allem in einem Land wie Deutschland, in dem das Phänomen der Bestechung allgemein unterbewertet wird, wie die deutsche Sektion von Transparency International selbst zu bedenken gibt.
In der Tat legen die Belege von Strafermittlungs- und Gerichtsverfahren eine weite Verbreitung dieser illegalen Praxis nahe, die zudem die Gesellschaft tief durchdringt: den privaten Bereich, den öffentlichen, die Wirtschaft und auch die Politik. Im Jahr 2014 wurden von den Ordnungskräften 20263 Fälle von Korruption ermittelt – ein Plus von 190 % im Vergleich zum Vorjahr! – und dazu ist auch noch die Dunkelziffer der nicht bekannt gewordenen Fälle zu addieren, also der nicht angezeigten Delikte, die im Fall der Korruption vermutlich den Großteil ausmacht.
Die eklatantesten Fälle liegen inzwischen offen vor den Augen Aller, etwa die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland im Jahr 2006. Diverse verdächtige Zahlungen, die den Deutschen Fußball-Bund DFB betreffen, sind Gegenstand von Ermittlungen. Sie deuten auf den Versuch des Organisationskomitees hin, den gelungenen Versuch, die WM nach Deutschland zu holen bzw. die Entscheidung zu kaufen. Es gab vermutlich ebenfalls eine Ausgleichszahlung an Südafrika in Form von Geldern für humanitäre Hilfe. Das Land hatte sich ebenfalls Hoffnung auf die WM gemacht, ging in dem Verfahren aber leer aus. Unlängst kam heraus, dass der DFB Dokumente versteckt hielt, welche diesen illegitimen Praktiken belegen.
Weitere Schmiergeld-Fälle betreffen die Flughäfen von Frankfurt und Berlin. In berlin sind vier Personen angezeigt worden, darunter drei Manager des Bauunternehmens imtech, das den Weiterbau des Berliner Flughafens betreibt, obwohl es im August 2015 den Bankrott erklärte. Hier sollte Schmiergeld dafür sorgen, dass die Zahlungen an das Bauunternehmen schneller erfolgen. Es steckte nämlich bereits seit 2012 in Schwierigkeiten. In Frankfurt dagegen gab auch der Weg des Schmiergeldes den Ermittlern interessante Einblicke: hier gingen Zahlungen auf Konten in Liechtenstein, die Beschäftigten eines börsennotierten Unternehmens zugerechnet werden, das für die Vergabe der Arbeiten an der cargo City Süd zuständig war. So sollten hier Vergabeentscheidungen beeinflusst werden.
Auch im internationalen Händel scheinen die deutschen Akteure systematisch Korruptionspraktiken einzusetzen, oft mit der Entschuldigung, dass es „im Ausland eben so funktioniere“. So soll zum Beispiel die Spedition Kühne & Nagel sich das Monopol auf der Route Hong Kong – Europa mit Schmiergeldzahlungen gesichert haben. Das ist jedenfalls der Verdacht, den die EU-Kommission gegenüber dem 1890 in Bremen gegründeten Schifffahrtsunternehmen, das seit 1969 in der Schweiz ansässig ist, hegt.
Auch der Koloss Siemens musste sich für zahlreiche Verstöße verantworten, weil er in Griechenland die Vergabe von Ausschreibungen mit Bestechungszahlungen beeinflusst hat. Bleiben wir in Griechenland: Deutsche Waffenhersteller wie etwa Krauss Maffei Wegmann haben das griechische Heer in großem Maß mit Ausrüstung versorgen können, nachdem sie die Personen, die darüber zu entscheiden hatten, bestochen haben. Da die Entscheidungen im internationalen Waffenhandel vom Bundessicherheitsrat als geheim eingestuft sind, ist es schwierig, die Korruption in diesem Bereich aufzudecken. Sie mag hier uferlos sein.
Das Problem ist aber auch in viel kleineren Unternehmen präsent, die weit näher an unserem Alltag sind als Waffenproduzenten. So gibt es immer wieder Amtsträger, die gerne Zahlungen annehmen (etwa Heinz R., ehemals Direktor eines städtischen Pflegeheims in Mülheim und ein Handwerksmeister, der wohl als Gegenleistung für Aufträge Zahlungen und Gatisarbeiten an den Auftraggeber leistete). Oder eine Mutter aus Wiesbaden, die das Prüfungsamt bestechen wollte, damit ihre Tochter ein gutes Ergebnis erzielt. Zuletzt hat die Polizei eine Reihe von besonderen Fällen isn Visier genommen: die Fotografen, die Schulklassen und SchülerInnen fotografieren. Offenbar sind die Erlöse, die man an einem einzigen Tag mit dieser Arbeit erzielen kann, so hoch, dass die Fotografen Schmiergelder an die Schulen bezahlen, um die Aufträge zu bekommen.
Deutschland ist also offensichtlich alles andere als immun gegen Korruption. Es fehle an einem sicheren und effizienten Hinweissystem für Verdachtsfälle und Anzeigen, außerdem an der Einführung von sogenannten Compliance-Funktionen in Unternehmen, die Bestechlichkeit verhindern sollen, kommentiert ein Ex-Direktor von Olaf, der europäischen Antibetrugsbehörde, die Situation. So gibt es nur im Land Schleswig-Holstein einen Verantwortlichen für Anti-Korruption, auf freiwilliger Basis. In anderen Ländern sind die kompetenten Ansprechpartner dagegen Rechtsanwaltsbüros. Wer also einen Fall anzeigen möchte, sollte durch feste Bezugspersonen ermutigt werden, nicht aber womöglich durch ein Rechtsanwaltsbüro abgeschreckt werden. Außerdem darf man nicht vergessen, dass Deutschland noch immer nicht die europäische Strafrechtskonvention gegen Korruption unterzeichnet hat.