„Bestechung wird jetzt ganz anders wahrgenommen“

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Korruption rückte in den vergangenen Jahren verstärkt ins Rampenlicht und ist auch für die Forschung ein Thema. Ein großes Verbundprojekt mit dem Titel Risikomanagement der Korruption stellt wichtige Fragen zu dem komplexen Thema. Mehrere Universitäten sind daran beteiligt. Wir sprachen mit Dr. Stephan Thiel von der Arbeitsgruppe der Universität Halle.

Herr Thiel, was macht ihre Arbeitsgruppe in Halle? 

Manche Partner des Verbundprojekts erstellen allgemeine Bevölkerungsumfragen zur Wahrnehmung von Korruption, andere konzentrieren sich sehr stark auf Compliance, also auf die Einhaltung von Verhaltensmaßregeln, Gesetzen und Richtlinien durch Unternehmen. Wir analysieren in unserem Teilprojekt Korruptions-Netzwerke anhand von Ermittlungsakten. Wir werten diese Akten aus, betrachten die ermittelten Netzwerkstrukturen. Dabei erstellen wir eine vergleichende Einzelfallanalyse. Wir können unsere Ergebnisse nicht verallgemeinern, da wir keine Zufallsstichprobe haben und es ja Unterschiede zwischen enttarnten und nicht-enttarnten Netzwerken geben könnte. Wir schauen dabei, ob gewisse Muster häufiger vorkommen.

Was könnte so ein Muster sein?

Zum Beispiel das: Wenn ein Netzwerk zerfällt, etwa weil der Ermittlungsdruck auf ihm lastet, ist die Frage, welche Akteure packen aus und welche nicht, ob es da irgendwelche Gemeinsamkeiten in allen Fällen gibt.

Ihr Projekt läuft erst seit etwas mehr als einem Jahr. Gibt es schon erste Ergebnisse?

Zunächst: Wir betrachten netzwerkartige Korruption, also Fälle mit mehr als zwei Beteiligten. Das sind keine Geschichten, wo jemand irgendjemandem einen Geldbetrag gibt, der dann eine für ihn günstige Entscheidung trifft. Es gibt unterschiedliche Arten von Netzwerken, zum einen spezifische, wo man einen Entscheidungsträger im Zentrum hat, etwa einen Mitarbeiter im Bauamt, und mehrere Akteure um ihn herum, die ihm dann etwas zukommen lassen, damit sie Aufträge von ihm bekommen. Das ist ein spezifisches Netzwerk, weil es auf eine spezifische Person zugeschnitten ist. Außerdem gibt es die unspezifischen Netzwerke, die man klassisch als Klüngel bezeichnet. Da hat man einen kritischen Pool an einflussreichen Akteuren, die in unterschiedlichsten Sachen miteinander kooperieren. Die Logik des Netzwerkes ist aber stets, die Geschäfte innerhalb des Netzwerkes zu halten.

Sie arbeiten Ermittlungsakten aus. War es denn schwierig, das Material zu bekommen?

Teilweise. Das hängt auch von den Staatsanwaltschaften ab. Manche kooperieren und manche weniger. Manche schicken uns die Akten zu, bei anderen durften wir die Akten nur vor Ort einsehen und Notizen machen. 

Am Ende des Projekts soll eine Art Handlungskatalog stehen?

Richtig, ja. Wir wollen Hinweise für Praktiker erarbeiten. Ein Klassiker ist der Hinweis, wenn man einen Bestechungsverdacht untersucht, nachzusehen, was die Verwandten eigentlich tun. Denn es ist ein Muster, das in vielen Fällen auftaucht: Man kann Bestechungszahlungen ja nicht vom einen auf das andere Konto überweisen. Man muss also immer Umwege machen. Da findet man dann häufig, dass über Verwandte oder die Geliebte Scheinfirmen eingerichtet werden, und darüber über Rechnungen das Geld eingesammelt wird.

Haben Sie nur kleinere Korruptionsfälle?

Das kommt darauf an, wie ausermittelt die sind. Ein Verfahren mussten wir ablehnen, da standen zwanzig Umzugskisten Akten zur Verfügung. Das kann man beim besten Willen nicht durcharbeiten. Es gibt auch Fälle, die relativ schnell eingestellt werden, da ist die Akte relativ dünn. Wir hatten einen sehr umfangreichen Fall von der Bahn, dann gibt es aber auch andere, die relativ klein sind.

Wie beurteilen Sie die Gesetzeslage in Deutschland?

Das kann ich nicht wirklich einschätzen. Zum einen bin ich kein Jurist und zum anderen wissen auch die Praktiker nicht wirklich, wie sich die Gesetzes-Neuerungen der vergangenen Monate auswirken werden. Um das zu sehen, braucht man erst ein paar Gerichtsprozesse. Erst dann sieht man, ob das klappt oder nicht.

Oft stehen die Bestecher im Fokus, die Bestochenen kommen in der Wahrnehmung zu kurz. Sehen sie das auch so?

Nein, die Bestochenen sind ja diejenigen, die am Ende dran sind. Nehmen wir den Fall des Müllunternehmers Trienekens, da ist der Geber relativ gut rausgekommen (die meisten anderen übrigens auch; Werner Rügemer hat hierzu ein sehr gutes Buch mit dem Titel Colonia Corrupta geschrieben). Die, die das Geld annehmen, bekommen eher das Problem. Für die Korruptionsbekämpfung war dieser Bestechungsfall aber ein super Fall: Dadurch wurden nämlich in Nordrhein-Westfalen diese großen, sehr effektiven Strukturen für die Bekämpfung von Korruption geschaffen.

Ist Korruption ein Phänomen, dass eher Mitarbeiter betrifft, aber nicht deren Chefs, oder liegt das Problem eher in den Führungsetagen, weil es von oben her gebilligt wird, dass Mitarbeiter bestechlich sind?

Es gibt beides, aber auf dem Papier bildet sich das so nicht ab. Es war ja nicht nur bei Siemens so, dass man keine expliziten Memos hatte, wo Zahlungen schriftlich gebilligt wurden; es wird eher hingenommen und indirekt gefördert. Nehmen wir zum Vergleich das Beispiel Doping: Wenn man Anreizsysteme schafft. Das heißt, ich habe eine Sportförderung, die bekommt nur, wer gewisse Leistungsgrenzen schafft. Diese Grenzen kann man aber nur mit Doping schaffen, sofern man nicht ein Jahrtausendtalent ist. Man kann also nicht sagen, dass Doping von oben gefördert wird. Aber ich habe ein Anreizsystem, dass Leute dazu bringt, eine solche Handlung vorzunehmen. Das gilt analog auch für Korruption. (Gleiches gilt für Branchen in denen viel bestochen wird. Unternehmen müssen hier bisweilen Bestechungsgelder zahlen, um überhaupt an der Vergabe teilnehmen zu können. In diesem Sinne wäre dies analog zum ‘defensiven Doping’, wo man dopt, um an einem gedopten Feld dranzubleiben).

Lässt sich Korruption denn scharf abtrennen von anderen Methoden, Vorteile zu bekommen?

Korruption ist ein sehr fließendes Verfahren, es ist relevant, was rechtlich verfolgt wird. Wir haben zum Beispiel dieses Revolving-Door-Phänomen, wenn also Entscheidungsträger gewisse Entscheidungen treffen, ohne dass sie etwas dafür bekommen, dann aber zwei, drei Jahre später bei dem Unternehmen, was davon profitiert hat, in den Aufsichtsrat wechseln oder eine andere Funktion übernehmen. Das ist im eigentlichen Sinne keine Korruption, da es keine Unrechtsvereinbarung vorab gibt, die als Bedingung gilt. Ein anderer Fall, in der Politik: Da wird gesagt, wenn du diesem Gesetzespaket zustimmst, dann bekommst du dort die Förderung und der und der bekommt einen bestimmten Posten. Das ist ganz normale Politik! Die Unterscheidung von Korruption von Nicht-Korruption ist teilweise ganz schön schwierig. Aber letztlich gibt es klare Strafttatbestände, und die sollte man auch am Besten mit Schwerpunktstaatsanwaltschaften, gut ausgebildeten Polizisten und Steuerfahndern auch umsetzten.

Ist Korruption nicht einfach immer da?

Einerseits sagt man: wir wollen keine Korruption haben. Andererseits haben wir gerade eine Kultur, in der alle netzwerken müssen. Es gibt zig Artikel, in denen steht, dass Vitamin B für einen guten Job wichtig ist. Bei Konferenzen gibt es keine Kaffeepausen mehr, es heißt jetzt Networking Break. Einerseits haben wir eine Personalisierung von Entscheidungen, andererseits sagen wir, Entscheidungen müssen jenseits von persönlichen Präferenzen getroffen werden.

Gibt es einen Staat ohne Bestechung?

Man wird immer ein natürliches Aufkommen von Korruption haben. Das ergibt sich einfach aus einer gewissen menschlichen Komponente. Wenn es aber ein kritisches Ausmaß annimmt, dann hat die Gesellschaft ein Problem. Rein für die Privatwirtschaft muss sich das gar nicht unbedingt als Problem zeigen. Da wird Korruption vor allem bekämpft, weil sie den Markt verzerrt (dies gilt aber natürlich nur für Bestechung im Interesse des Unternehmens. Wenn Angestellte etwa geschmiert werden, kann dies durchaus das Unternehmen ruinieren). Persönlich finde ich Bestechung besonders schlimm, wenn sie Steuergelder betrifft. Es gibt unterschiedliche Gefährdungen: Wenn Steuergeld verpulvert wird, ist das schon sehr ärgerlich. Dann gab es aber auch einen Fall, da ging es um Leitplanken an der Autobahn. Da hat man einen krummen Deal geschlossen, dass anstatt vier Schrauben nur zwei eingesetzt wurden. In der Konsequenz heißt das, dass die Teile nicht richtig halten, wenn ein Auto dagegen kracht. Das stellt tatsächlich eine Gefährdung für Menschenleben dar.

Gibt es auch „gute“ Korruption?

Es gibt tatsächlich auch Korruptionsnetze, die sorgen dafür, dass viele Menschen davon profitieren. Es gab einen Fall in Deutschland in einer bestimmten Stadt, wenn man da irgendetwas von der Stadtverwaltung wollte, musste man systematisch spenden – an die Herzklinik, den Sportverein, etc. Das war relativ bekannt und die Bevölkerung war da nicht groß dagegen. Die Leute empfanden das als ein Robin-Hood-Ding, dachten, wir profitieren ja alle davon. Aber jetzt, in einer Situation, wo die Kassen leer sind, wo vielerorts eine Sparpolitik herrscht, werden die Fälle ganz anders wahrgenommen.

Das war also eine Art indirekte Bestechung? Du musst nicht mir Geld geben, sondern etwas spenden?

Nein, nein, so war das nicht, die haben nebenbei auch genügend für sich selbst rausgeholt und nun ist die Stadt pleite.

Wer zeigt denn Korruption an?

Klassische Whistleblower hatten wir in unseren Fällen nicht. Das waren Leute, die nicht von der Bestechung profitiert haben, sondern eher einen Schaden hinnehmen mussten, weil sie sich in Abhängigkeit begeben hatten. Oder natürlich bis heute ist der Klassiker etwa für die Steuerfahndung die ehemalige Geliebte oder Ex-Frau.

Kann Korruption nicht auch eine bestehende Ordnung festigen?

Ich war lange in Afrika. Dort ist nicht das System korrupt, sondern Korruption ist dort das System. Das heißt, es gibt kein kontaminiertes System, weil das System selbst Korruption ist. Auf bestimmten Leveln ist das ein durchaus stabiles System, wenn ich Geld habe zum Beispiel habe ich absolute Handlungssicherheit. Solche Systeme sind aber nicht sonderlich erfolgreich, wenn man sie auf Faktoren wie Gemeinwohl etc. untersucht.

In Italien stehen die Mafiagruppen hinter einem guten Teil der Korruption. Wie ist das in Deutschland?

Wir hatten in unseren 13,14 Fällen auch einen OK-Bezug, allerdings aus dem asiatischen Bereich. Es ist definitiv nicht falsch, Korruption und Organisierte Kriminalität zusammenzudenken.