Das Ländle und die Mafiosi

Screenshot Sta Stuttgart

mafianeindanke setzt sich dafür ein, dass in Baden-Württemberg die Mafia endlich wirklich verfolgt wird. Deshalb hat der Vorsitzende von mafianeindanke, der Investigativjournalist Sandro Mattioli, in einer Sendung des SWR Probleme bei den Strafverfolgungsbehörden klar benannt: Dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart (Foto oben: Screenshot) eines der wichtigsten Ermittlungsverfahren gegen die Mafia (die Operation Stige 2018) stark verzögert habe und einen Mafioso nicht in den Kreis der Beschuldigten aufnehmen wollte etwa, oder dass ein Polizeibeamter, der Druck gemacht hat, mehr zu ermitteln und vor allem Vermögen zu beschlagnahmen, aus dem Amt entfernt worden sein soll. Ein erster Bericht dazu findet sich hier. mafianeindanke hatte zudem zuvor bereits einen weiteren skandalösen Vorgang der Stuttgarter Staatsanwaltschaft offengelegt, bei dem die Nichtanerkennung eines Haftbefehls aus Sizilien gegen einen Drogenhändler mit Mafia-Hintergrund mittelbar zu einem Todesfall geführt hat: ein unbeteiligter 23-Jähriger starb bei einer Einschüchterungsaktion mit einer Pistole – ein vermeidbarer Tod.

Das allein belegt schon, warum mafianeindanke dringenden Handlungsbedarf in Baden-Württemberg sieht. Denn auch den Fokus zu erweitern zeigt, wie unzureichend dort gegen die italienische Organisierte Kriminalität vorgegangen wird.

Das Land mit den meisten Mafiosi in Deutschland

Zunächst ist festzustellen, dass das Land Baden-Württemberg nach offiziellen Zahlen das Bundesland mit den meisten Mafiosi in Deutschland ist. Die aktuelle Zahl beläuft sich nach Angaben des Innenministeriums in Stuttgart auf 181 Personen. Das ist insofern überraschend, wie etwa Nordrhein-Westfalen eine ähnliche italienische Einwanderungsgeschichte erlebte wie Baden-Württemberg und noch dazu das bevölkerungsreichste Bundesland in Deutschland ist und dennoch einer niedrigeren Anzahl von Mafiamitgliedern Heimat (nämlich 117) bietet. Für beide Länder gilt wie auch für offizielle Zahlen der Bundesregierung: es ist von einer erheblich höheren Zahl an Mafiosi in Deutschland auszugehen, da diese Zahlen nur das Hellfeld, die erwiesenen Fälle, abbilden. Das Dunkelfeld kann man nur schätzen.

Für Baden-Württemberg lässt sich zudem eine Ausdehnung der Mafia in der Fläche feststellen. So zeigten mehrere Polizeiaktionen Mafia-Niederlassungen selbst in kleinen Orten auf, die durchaus auch abgelegen sind. Besonders groß scheint das Problem aber im Raum Stuttgart zu sein, just dort, wo sich das Scheitern der Mafia-Bekämpfung eindrucksvoll nachvollziehen lässt: Weitreichende Verflechtungen sind dort zu beobachten, auch zu Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, und mutmaßliche Mafiosi sind in mehreren wirtschaftlichen Feldern aktiv.

Ein Blick in die Geschichte

Wie kam es dazu? Eine historische Betrachtung ist hier aufschlussreich – gehen wir also zurück ins Jahr 1991. Damals hatte ein deutscher Mafia-Kronzeuge einen Gastwirt als wichtiges Mitglied eines ’ndrangheta-Clans benannt. Der Insider beschrieb in mehreren Vernehmungen im Jahr 1991 zudem die Struktur des Clans Farao, benannte mehrere Mitglieder und erläuterte auch die Rolle des Gastwirts.

Später gab es Abhörmaßnahmen gegen diesen mafiösen Gastwirt. Dabei stellte sich heraus, dass dessen Lokal auch vom damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Günther Oettinger besucht wurde. Oettinger, der später Ministerpräsident wurde und dann EU-Kommissar, wurde auf Abhörbändern der Polizei aufgenommen. Die Information darüber blieb nicht lang polizeiintern, sondern landete im Innenministerium, was mehrere damals beteiligte Polizisten einhellig als nicht förderlich beschrieben. Der Gastwirt sponserte zudem Parteiveranstaltungen. Am Ende des Ermittlungsverfahrens stand dennoch lediglich eine Verurteilung des Gastwirts wegen Steuerhinterziehung. Der Mafia-Hintergrund des Gastwirts wurde nicht erhärtet.

Ein Untersuchungsausschuss im baden-württembergischen Landtag folgte 1994. Es ging dabei aber keineswegs um Kontakte zwischen Landespolitik und Mafia-Verdächtigen, sondern es wurde ein anderes Signal ausgesendet. Der Untersuchungsausschuss hatte vor allem die Aufgabe zu überprüfen, ob die Abhörmaßnahmen rechtens waren. Dass der besagte Gastwirt beileibe nicht nur mit Oettinger bekannt war, sondern auch von anderen Politikern besucht wurde, spielte dabei keine Rolle. Auch dass manche Unternehmer und Politiker auf der Ferienanlage des Wirts in Kalabrien Urlaub machten und von diesem persönlich am Flughafen abgeholt wurden, war nicht weiter relevant. Der deutliche Fingerzeig, so steht zu befürchten, dürfte bei Polizei und Staatsanwaltschaft Widerhall gefunden haben.

Als alleinige Erklärung für die Trägheit im Kampf gegen die Mafia in Baden-Württemberg dürfte diese im Grunde alte Geschichte allerdings kaum genügen. Es gibt verschiedene Denkansätze und Indizien, was für die unzureichende Verfolgung von Mafia-Aktivitäten in Baden-Württemberg ursächlich sein könnte, allerdings keinerlei Belege. Werden Amtsträger erpresst, etwa wegen Bordellbesuchen? Ist Korruption im Spiel? Dazu würde passen, dass auch bereits pensionierte Amtsträger sich noch über Ermittlungen informieren lassen. Oder werden Informationsmittler und Hinweisgeber aus Mafia-Kreisen wegen ihrer Tätigkeit in Ruhe gelassen, weil man auf ihre Informationen angewiesen ist und die Hinweisgeber nicht verlieren möchte?

Italienische Fachkreise beschreiben für Italien eine so genannte „Massomafia“. Demzufolge hat sich aus Mitgliedern von ’ndrangheta-Clans und geheimen Freimaurer-Logen ein Amalgamat gebildet, in das auch Amtsträger eingebunden sind. Für Deutschland klingt dies nach Verschwörungstheorie, für Italien ist es Fakt: Abhörmaßnahmen und Gerichtsprozesse belegen die Existenz der Massomafia. Einige gesellschaftlich hochstehende Personen wurden dort der Mitgliedschaft in solchen Logen überführt. Bisher zeigte sich, dass die ’ndrangheta ihre Strukturen auch außerhalb ihrer Stammgebiete reproduziert. Erst kürzlich bestätigte etwa eine Vertreterin des BKA im Mafia-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages, dass die Struktur von ’ndrangheta-Zellen in Deutschland mit den verschiedenen Funktionen wie Vorsitzendem und Kassenwart in Deutschland eine exakte Kopie der Strukturen in Italien ist. Und auch ein den einzelnen Clans übergeordnetes Koordinierungsgremium gibt es hierzulande – in Italien kannte man solche Gremien schon lange.

Zurück nach Stuttgart: Jedenfalls bestätigten dann italienische Ermittlungen mehr als 25 Jahre später die Aussagen des deutschen Kronzeugen von 1991. Der Stuttgarter Gastwirt ist inzwischen in Italien zu zehn Jahren und acht Monaten Haft verurteilt worden und klar als Mafioso benannt worden. So klar das Ergebnis also dieser Ermittlungen, so unklar die Umstände, die dazu führten.

Gibt es eine schützende Hand?

Obwohl der Gastwirt eine der Hauptpersonen des Verfahrens war und seinen Wohnsitz in Stuttgart hatte, wurden die Ermittlungen in Hessen geführt. Und die Verhaftung erfolgte nicht in Deutschland, sondern in Italien. Von mit dem Verfahren vertrauten Personen war zu vernehmen, dass die Stuttgarter Behörde versuchte, den Mafia-Gastwirt nicht in den Kreis der Verdächtigen aufzunehmen.

Aus Italien erreichte uns ein weiterer Hinweis, der Fragen aufwirft. Den Angaben zufolge soll es im Vorfeld der Operation Stige ein Ermittlungsverfahren einer deutschen Polizei auf der Schwäbischen Alb gegeben haben. Bei diesem Ermittlungsverfahren sei es um Falschgeld gegangen. Das Interessante daran, so die italienische Quelle, sei, dass dabei zum Teil gegen Personen ermittelt wurde, die auch im Fokus des Ermittlungsverfahrens Stige standen. Obwohl zudem auch eine zeitliche Überschneidung gegeben war, habe die Stuttgarter Staatsanwaltschaft dieses Verfahren nicht weiterbetrieben. Wichtige Informationen hätten so nicht für das italienische Verfahren verwendet werden können.

Und noch eine Ungereimtheit: Eine weitere Person, die von ähnlichem Kaliber wie der erwähnte Gastwirt ist – ein bestens vernetzter Unternehmer, der sich im Kreis der Schönen und Mächtigen bewegt – taucht in dem Ermittlungsverfahren gar nicht erst auf. Die italienische Staatsanwaltschaft habe den Mann identifizieren wollen, berichten italienische Quellen. Mehrere Ansätze hielt man für möglich, etwa einen Stimmenvergleich oder auch anhand von Besuchen von Hauptbeschuldigten des Ermittlungsverfahrens in Stuttgart. Doch zu einer Identifizierung kam es nicht.

Wiederholt sich nun also die Geschichte und wieder wird nicht gegen einen exponierten – und beliebten – Unternehmer vorgegangen?

Einem Polizisten wird das Thema „Mafia“ weggenommen

Nachdem im Januar 2018 die Polizeioperation über die Bühne gegangen war, kündigte ein Polizist des LKA in einem Pressegespräch Folgeverfahren an und stellte auch unter Berufung auf die geltende Rechtslage die Beschlagnahme von Mafia-Vermögen in Aussicht. Dazu kam es nicht. Der Mann wurde stattdessen abberufen. Der Polizist ist heute andernorts tätig und nicht mehr mit der Verfolgung der italienischen Mafia beschäftigt.

Es gibt noch weitere Indizien, dass die Stuttgarter Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung der Mafia sehr zurückhaltend ist. Im Jahr 2010 erfolgte eine Vernehmung von acht Kronzeugen in Italien, organisiert von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Einer der Beteiligten berichtete später, er habe etwas zu einem anderen wichtigen Vertreter der ’ndrangheta in Stuttgart sagen wolle, doch die Vernehmer seien daran überhaupt nicht interessiert gewesen.

Üblicherweise sind Vernehmungen von Kronzeugen eine langwierige Sache: Der Mafia-Aussteiger muss Vertrauen fassen zu der Person, die ihm gegenübersitzt. Der zwischenmenschliche Kontakt ist wichtig. Ebenso muss sich auch der Ermittler überzeugen, dass ein potentieller Kronzeuge es ernst meint und nicht nur schwammige Aussagen bunt verpackt, wie schon mehrmals in Italien geschehen ist. Wer qualifizierte Informationen von Kronzeugen erhalten möchte, braucht daher Zeit, oft mehrere Wochen pro zu vernehmender Person. Die Stuttgarter Behörde hatte diese Zeit offenbar nicht: Im Falle der Vernehmung 2010 nahm man sich drei Stunden Zeit – für alle acht Kronzeugen.

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