Zehn Jahre nach dem “Blutbad von Duisburg”: Ein beschwerlicher Weg

Duisburg Klein

 

Die Fakten

In der Nacht vom 14. auf den 15. August 2007 wurden im nordrheinwestfälischen Duisburg 6 junge Kalabresen im Alter zwischen 17 und 39 vor dem namhaften italienischen Edelrestaurant “Da Bruno” getötet. Die Opfer hatten unterschiedliche Verbindungen zum Clan der Pelle-Vottari, der sich seit Jahren eine Fehde mit dem Clan der Nirta-Strangio liefert; beide Clans gehören zur kalabrischen Mafia. In der Tasche eines der jungen Opfer wurde ein teilweise verbranntes Bild des Erzengels Michael gefunden, was   auf eine kürzlich erfolgte Aufnahme in die Mafiaorganisation hindeutet. Der Gnadenschuss in den Nacken, mit dem die Killer ihre 6 Opfer töteten, lässt keine Zweifel über den Mafiahintergrund der Morde zu.

Der von der Presse als “Blutbad von Duisburg” bezeichnete Vorfall stellt einen Wendepunkt in der Geschichte der italienischen Mafiaorganisationen in Europa dar. In Ländern, in denen die Mafia nicht traditionell verankert ist, hatte es bis dato keinen Vorfall gegeben, der ein derartiges Medieninteresse geweckt hat und europaweit Beachtung fand. Und ausgerechnet Deutschland, wo die Mafia sich seit Jahrzehnten ausbreitet, ihren Geschäften nachgeht und im großen Stil Geldwäsche betreibt, hat am eigenen Leibe die tödliche Schlagkraft und die enorme kriminelle Energie der ‚Ndrangheta erfahren müssen, einer Mafiaorganisation aus dem süditalienischen Kalabrien, einer weit entfernten und oftmals unzugänglichen Welt.

Warnsignale gab es indes schon seit geraumer Zeit: Bereits im Jahr 1994 wurde ein Mitglied der ’ndrangehta in Duisburg festgenommen. Das Mitglied des Mammoliti-Clans war in Drogenhandel involviert. Im Jahr 2001 machten die italienischen Carabinieri (it. Militärpolizei) im Zuge ihrer Ermittlungen deutsche Sicherheitsbehörden auf das Restaurant “Da Bruno” aufmerksam, vor dem sich dann das Blutbad ereignen sollte. Das Lokal war schon seit 1992 als Stützpunkt für Drogendeals bekannt und es gab von seinem Inhaber Bezüge zu einem früheren Mordfall. Auch der Besitzer des Lokals war auffällig geworden, unter anderem als trojanisches Pferd bei einer Konferenz zu neuen Techniken für die Bekämpfung des Drogenhandels in Rom. Dort schmuggelte er sich als angeblicher Übersetzer der usbekischen Delegation in die Veranstaltungsräume. Schon vor dem Sechsfach-Mord warnten die Behörden auch vor einem weiteren  ’ndrangheta-Stützpunkt in Erfurt – dorthin hatte der einstige Besitzer des Da Bruno seine Geschäftsaktivitäten in der Zwischenzeit verlegt, und dort ist er noch heute aktiv.

Interessant ist auch, dass die Beschlagnahme des Restaurants Da Bruno sowie zweier weiterer Restaurants, zweier Wohnblocks und dreier Unternehmen, die nach Ansicht italienischer Ermittler in Besitz der Duisburger Mafiosi waren, von deutscher Seite abgelehnt wurde.

Die Mafiamorde von Duisburg machen deutlich, dass die deutschen Sicherheitsbehörden die Mafiadurchdringung im eigenen Land ganz offensichtlich unterschätzt haben, wie bedauerlicherweise überall in Europa. Erschwerend kommt für die deutschen Sicherheitsbehörden hinzu, dass ein eklatanter Mangel an geeigneten Instrumenten und Gesetzen fehlt, um wirksam gegen Geldwäsche und illegal erworbene Vermögen vorzugehen.

 

Die Hintergründe

Die ’ndrangheta gibt es schon seit den 1970er und 1980er Jahren in Deutschland, zunächst im Rahmen der Einwanderungswelle, dann aber infolge bewusster strategischer Entscheidungen der Mafiaorganisationen: Die Mafia hat in Deutschland im Laufe der Jahre enorme Summen schmutzigen Geldes gewaschen, zunächst im Gaststättengewerbe, bevor sie ihre Aktivitäten auf andere Geschäftsbereiche ausgedehnt hat.

Mafiaorganisationen haben sich allgemein in verschiedenen Regionen Deutschlands angesiedelt, von der Großstadt bis ins kleinste Dorf, auch in den neuen Bundesländern – besonders die ’ndrangheta hat ihr auf Gemeinschaft und Ritualen basierendes Modell nach Deutschland exportiert, ohne dabei jemals die unauflösbaren Bande nach Kalabrien zu kappen: Beachtenswert ist dabei, dass die ’ndrangheta auch in Deutschland ihre traditionelle Territorialstruktur beibehalten hat und die Gebiete unter den sogenannten ’ndrine aus unterschiedlichen Städten aufteilt. Die Mafiaorganisationen nutzten und nutzen dabei die vorteilhaften wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die strategisch günstige geografische Lage und die Gesetzeslücken aus. Unter den heute in Deutschland aktiven Mafiosi finden sich auch Kriminelle der zweiten Einwanderergeneration: Sie sind polyglott, reisen mit großer Selbstverständlichkeit ins Ausland und machen die ’ndrangheta nur umso gefährlicher.

Es ist also kein Zufall, dass die Mafiamorde von Duisburg im Herzen Europas stattgefunden haben, tausende Kilometer von San Luca (in der süditalienischen Provinz Reggio Calabria) entfernt, der traditionellen Hochburg der ’ndrangheta. Insbesondere Duisburg war zu dem Zeitpunkt schon zu einem strategisch wichtigen Standort geworden, nicht weit entfernt von den Seehäfen von Rotterdam, Amsterdam und Antwerpen, wo unter anderem Rauschgift aus Südamerika anlandet. Fünf der sechs Opfer waren in Deutschland geboren oder hielten sich dort schon länger auf, ein weiteres Opfer war aus Italien geflüchtet, weil es einen Hinweis der Polizei erhalten hatte, von gegnerischen Mafiosi gesucht zu werden.

Es war auch kein Zufall, dass die Verantwortlichen des Duisburger Blutbades zum Großteil in Amsterdam verhaftet wurden. Einer der Protagonisten der Duisburger Mafiamorde, der als hochrangiges Mitglied des Pelle-Vottari Clans gilt und den Europol zu den 30 gefährlichsten flüchtigen Verbrechern zählt, wurde im März dieses Jahres von italienischen Sicherheitsbehörden in einem unterirdischen Bunker in der Nähe seines Wohnhauses in San Luca festgenommen.


Und doch ist der Anschlag, ungeachtet seiner gravierenden Ausmaße, allzu schnell in Vergessenheit geraten. Fachleuten zufolge legt Deutschland gegenüber der Mafiakriminalität eine ähnliche Haltung an den Tag, wie sie auch in Norditalien lange Zeit zu beobachten war: Dort wurde das Problem ebenfalls lange Zeit verdrängt und ignoriert, die Gefahr nicht erkannt und die Fähigkeiten der Mafiaorganisationen, Gesellschaft, Wirtschaft und Institutionen zu unterwandern, unterschätzt. Glücklicherweise hatte man in in der Lombardei, wo das Problem gleichfalls lange Zeit verkannt wurde den Vorteil, die rechtlichen Möglichkeiten nutzen zu können, die einst für die Bekämpfung der Mafia in Sizilien geschaffen wurden.

Die Gründe und Funktionsweisen der Ausbreitung der Mafiaorganisationen außerhalb ihrer Heimatregionen müssen weiter erforscht, die Entwicklung weiter beobachtet werden – tatsächlich stellt sich auch die Frage, inwieweit Mafiaorganisationen in Deutschland bereits über abstrakte Macht verfügen, beispielsweise aufgrund des Sozialprestiges, dass sie durch ihren wirtschaftlichen Erfolg erlangen; konkret verfügen sie dazu über viel Personal und enorme Bargeldsummen, die es ihnen ermöglicht haben, die Industrie zu unterwandern. Fest steht indes, dass das – im Gegensatz zu Italien – in Deutschland noch sehr hohe Vertrauen in staatliche Strukturen und deren Legitimation von der Mafia gravierend ins Wanken gebracht wird, wann immer es die kriminellen Organisationen sind, die die Bedürfnisse der Bürger decken, wozu sie dank ihrer großen finanziellen und personellen Ressourcen in der Lage ist.

Ist unsere Demokratie also in Gefahr? Diese und zahlreiche andere Fragen sind offen und müssen weiter erörtert werden, wie beispielsweise die Frage, ob Deutschland zu einem Ort geworden ist, an dem die verschiedenen kriminellen Organisationen – allen voran türkische, arabische, russische und osteuropäische Mafiagruppen – sich treffen und austauschen und in welchem Verhältnis diese Gruppen zu italienischen Mafiaorganisationen stehen.

Der zehnte Jahrestag des sogenannten “Blutbades von Duisburg”, das sich außerhalb der traditionellen Siedlungsgebiete der Mafiaorganisationen ereignete, ist also eine einmalige Gelegenheit, bislang ungelöste Probleme wieder aufzuwerfen und ist der Grund für die Beharrlichkeit unseres Vereins, eine Konferenz zu den Gefahren durch die Organisierte Kriminalität zu organisieren, der ersten Antimafia-Konferenz in Deutschland, die am 12. Juli in der italienischen Botschaft stattfand. Oberstes Ziel bleibt der Kampf gegen das Schweigen über die Mafiapräsenzen in Deutschland: Unserer Ansicht nach ist das Thema aktueller und relevanter denn je.

 

Quellen:

  • Parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur organisierten Kriminalität mafiöser oder ähnlicher Prägung, XV. Legislaturperiode
  • German connection von Francesco Forgione (Limes – Il circuito delle mafie – 2013)

 

[1]    Schon Mitte der 1950er Jahre verließen Tausende Italiener ihre Heimat Richtung Deutschland und halfen beim Wiederaufbau des Landes – damals erfolgte die Auswanderung auf Grundlage eines deutsch-italienischen Abkommens, die erste Einwanderungswelle war also “staatlich gelenkt”, während der spätere Zustrom mit der zunehmenden Freizügigkeit von Arbeitskräften innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erfolgte.

[2]    Auch die sizilianische Cosa Nostra hat sich in Deutschland in verschiedenen Städten niedergelassen, wenngleich sie die Vereinigten Staaten von Amerika bevorzugte. Die aus Kampanien stammende Camorra kam erst nach dem Fall der Berliner Mauer nach Deutschland. Daneben finden sich auch einige wenige Vertreter der apulischen Sacra Corona Unita in Deutschland.