Mafianeindanke schlägt Erweiterung des §129 vor

Der Paragraph 129 sollte nach Meinung von mafianeindanke geändert werden, um Mafia-Vereinigungen besser verfolgen und bestrafen zu können.

Die konzertierte Polizeiaktion gegen die Mafiaorganisation ’ndrangheta in Europa und weltweit vom 3. Mai 2023 (Operation Eureka) hat erneut die Gefahr vor Augen geführt, die durch Aktivitäten krimineller Organisationen mit mafiösem Zuschnitt besteht. Allein in Deutschland haben diese mehrere Hundert Mitglieder.

Um der Unterwanderung der Wirtschaft durch profitorientierte kriminelle Vereinigungen zu begegnen und ihre massive Präsenz hierzulande besser bekämpfen zu können, sieht Mafianeindanke Bedarf, nicht nur bestehende Gesetze konsequent anzuwenden, sondern auch das Instrument des Paragraphen §129 des Strafgesetzbuches, der bereits vor und unabhängig von der Begehung konkreter Straftaten die bloße Gründung und Mitgliedschaft solcher krimineller Vereinigungen bestrafen soll, durch einen neu gefassten Tatbestand nachzuschärfen. Dafür könnte Inhalt und Umsetzung des „Anti-Mafia-Paragraphen 416 bis“ im italienischen Strafgesetzbuchs dem deutschen Gesetzgeber zwar keine Blaupause, aber ein in der Praxis weitgehend bewährtes Regelungskonzept an die Hand geben. Diese Norm stellt die Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung unter Strafe, sieht die Einziehung illegal erwirtschafteter Vermögen und des Vermögens der Organisation vor und ermöglicht vergleichsweise hohe Haftstrafen. Der deutsche Paragraph kennt nur geringe Haftstrafen und wird u. a. deshalb in der Praxis kaum genutzt.

Mafianeindanke fordert daher die nötigen Reformschritte, um künftig kriminelle Vereinigungen wie etwa ’ndrangheta-Clans in Deutschland besser verfolgen zu können und mafiöse Strukturen stärker sichtbar zu machen. Konkret fordern wir eine Ergänzung des Tatbestands , die charakteristische Merkmale einer Mafia-Organisation im Tatbestand regelt und damit neben der Telefonüberwachung im Ermittlungsverfahren in einem Urteil längere Haftstrafen ermöglicht. Außerdem müssten in der Strafverfolgungsstatistik erfasste Verfahren wegen § 129 StGB nach politisch motivierten, machtorientierten und profitorientierten Vereinigungen zergliedert werden.

Neben einer Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden in Europa sowie der Schaffung nationaler rechtlicher Instrumente zur Einziehung mafiöser Vermögen kriminellen Ursprungs, die künftig in einem leichter durchzuführenden administrativen Verfahren erfolgen sollten, sehen wir darin einen weiteren wichtigen Schritt, um den spezifischen Gefahren durch Mafia-Organisationen für Gesellschaft und Wirtschaft besser begegnen zu können. Weitere Informationen dazu finden Sie in der Broschüre unseres Rechtsausschusses hier.

1. Was versteht das Strafgesetzbuch unter einer “kriminellen Vereinigung”?

Nachdem gegen Deutschland bereits ein Vertragsverletzungsverfahren wegen unvollständiger Umsetzung des „Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität“ von der EU-Kommission eingeleitet worden war, ist § 129 StGB mit dem 54. Gesetz zur Änderung des Strafrechts vom 21.7.201716 neu gefasst worden. Dabei wurde in Abs. 2 nach den Vorgaben des Rates eine Legaldefinition der „Vereinigung“ aufgenommen.

Ziel des Ratsbeschlusses und der Umsetzung in Deutschland war, durch diese Rechtsharmonisierung (ausschließlich) die Organisierte Kriminalität wirksamer zu bekämpfen und die europäische Rechtshilfe in diesem Zusammenhang zu erleichtern.

Mit einer Harmonisierung des materiellen Strafrechts in der EU soll die gegenseitige Anerkennung von Urteilen und anderen gerichtlichen Entscheidungen als auch die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit erleichtert werden. Mit dieser Definition für ein Organisationsdelikt war bezweckt, neben der Bestrafung des konkreten Delikts zusätzlich über die Vorfeldbestrafung die bereits von der Struktur der Vereinigung ausgehende Gefahr, dass durch die Mitglieder der Vereinigung Straftaten begangen werden, zu minimieren. Bis zur Neufassung des § 129 StGB wurde die Norm aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eng ausgelegt. Der BGH verlangte für das Organisationsdelikt der kriminellen Vereinigung das kumulative Vorlegen von vier Tatbestandselementen. Eine kriminelle Vereinigung lag nach der Rechtsprechung unter folgenden Voraussetzungen vor, die die Strafnorm als abstraktes Gefährdungsdelikt kennzeichnen sollten:

• Es müssen mehr als zwei Personen beteiligt sein,

• die Verbindung muss auf eine längere Dauer angelegt sein; sie darf sich nicht in einem einmaligen Zweck erschöpfen,

• die Vereinigung muss wenigstens in ihren Grundzügen aufgrund einer festen und strukturierten Organisation handeln. Dieser organisierte Zusammenschluss verlangt, dass die Mitglieder nach bestimmten gemeinsamen Regeln mit gegenseitiger Verpflichtung der Mitglieder agieren,

• die Mitglieder müssen aufgrund eines übergeordneten gemeinsamen Interesses kriminelle Ziele verfolgen und sich „als einheitlicher Verband fühlen“. Dieses Interesse musste nach der Rechtsprechung des BGH aus dem gefestigten Gruppenwillen („Gesamtwillen“) selbst stammen; der Wille des Einzelnen wird dabei dem Gruppenwillen untergeordnet.

Die gesetzliche Definition in Abs. 2 verzichtet nun in Abweichung von der früheren Rechtsprechung auf das subjektive Erfordernis eines Gesamtwillens und der Unterordnung des einzelnen unter diesen Gesamtwillen (s.o. Bullet Point 4).

Das Vorliegen dieses von der Rechtsprechung geforderten Tatbestandselements war für die Ermittlungsbehörden, was etwa die Unterordnung anbelangt, kaum nachzuweisen. Zu einer signifikant höheren Zahl der Ermittlungsverfahren oder gar Verurteilungen haben diese gesetzlichen Erleichterungen bei den Anforderungen an die Organisationsstruktur und die eng damit verbundene Willensbildung in der Praxis jedoch nicht geführt. Die Strafverfolgungspraxis hat sich seit 2017 nicht wesentlich geändert. Es bedarf zwar nach der neuen Rechtslage weiterhin mehr als die Verabredung einiger Personen, miteinander (noch ungewisse) Straftaten zu begehen, wie dies beim eher losen Zusammenschluss einer Bande der Fall ist. Anders als in der früheren Rechtsprechung wird vom Gesetz lediglich ein organisierter Zusammenschluss gefordert, der keine Festlegung von Rollen ihrer Mitglieder und keine ausgeprägte Gruppenidentität verlangt, wobei das gemeinsame Interesse allerdings über die bezweckte Begehung von konkreten Straftaten und ein Handeln um eines persönlichen materiellen Vorteils willen hinausgehen muss.

Der weite Tatbestand umfasst nun, anders als die Rechtslage, wie sie durch den BGH vor 2017 bestanden hat, eindeutig auch Organisationsstrukturen, die hierarchisch strukturiert sind, wie dies etwa bei bestimmten Mafia-Gruppierungen und Fällen der Rockerkriminalität der Fall ist.

2. Ernüchternde Rechtspraxis

Der Straftatbestand führt nach wie vor in Deutschland eine randständige Rolle in der Strafrechtspflege und ist seit 2017 nicht zu einem Instrument zur Verfolgung der (profitorientierten) Organisierten Kriminalität geworden:

Die Grafik zeigt, wie oft der Paragraph 129 für Verurteilungen herangezogen worden ist in den Jahren 2009 bis 2020. Die hohen Balken für die Jahre 2015 und 2016 sind abgeschnitten worden. Die hohen Fallzahlen hier (2015: 689 und 2016: 279 ) sind einem Großverfahren im Bereich Rechtsextremismus geschuldet.

In der praktischen Anwendung ist die Strafnorm vor und nach der Novellierung des Straftatbestands im Jahr 2017 einseitig auf die Verfolgung politisch motivierter krimineller Vereinigungen („Hausbesetzerbewegung“) ausgerichtet. Hinzu kommt, dass einzelne Gerichte bis heute eine unionskonforme Auslegung ablehnen und sich nicht an die weite gesetzliche Definition halten.

 Verurteilungen sind selten und auch nicht von den Ermittlungsbehörden angestrebt. Die praktische Bedeutung der Norm erschöpft sich darin, als Anknüpfungspunkt für Ermittlungsverfahren mit politischem Hintergrund zu fungieren, um strafprozessuale Maßnahmen wie die Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO einsetzen zu können, wenn der Verdacht der Mitgliedschaft in einer entsprechenden Vereinigung eröffnet ist.

3. Forderungen von mafianeindanke

• Bei der Reform des § 129 StGB aF im Jahr 2017 hat es der Gesetzgeber versäumt, bei der Definition des Begriffs der kriminellen Vereinigung darauf zu verzichten, politische Vereinigungen von der (weiten) Definition zu erfassen. Politische Vereinigungen werden im europäischen Ausland (man denke etwa an Italien, das mit kriminellen Vereinigungen die größten Erfahrungen hat) regelmäßig nicht erfasst (Art. 416 bis des ital. Strafgesetzbuches).

Dieser deutsche Sonderweg ist historisch auf den rein politischen Hintergrund der Vorgängernormen des § 129 StGB zurückzuführen, die der Bekämpfung von politischen Organisationen im Geiste der Französischen Revolution und später gegen den Wilhelminismus durch den preußischen Staat dienten (preußisches ad-hoc-Gesetz von 1798 und § 129 RStGB aus dem Jahr 1871).

Der BGH (und der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland) haben es offensichtlich nicht vermocht, sich von diesem obrigkeitsstaatlichen Erbe bei der Novellierung des § 129 StGB endgültig zu verabschieden. Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität stand jedenfalls nie im Focus der Strafnorm. § 129 StGB ist deshalb in der Praxis immer Staatsschutzdelikt geblieben und kein Delikt gegen die OK geworden!

Genuin politische Vereinigungen haben nach dem Sinn und Zweck des Ratsbeschlusses, mit dem Instrument der kriminellen Vereinigung die (profitorientierte) Organisierte Kriminalität zu bekämpfen, in diesem Tatbestand nach Ansicht von mafianeindanke nichts verloren. Hierfür ist vom Gesetzgeber – wenn überhaupt – ein gesonderter Straftatbestand für ein abstraktes Gefährdungsdelikt/Organisationsdelikt für Grunddelikte mit politischem Hintergrund zu schaffen, wie dies bereits für die terroristische Vereinigung gem. § 129a StGB der Fall ist.

Der Tatbestand des § 129 StGB sollte deshalb Sachverhalten vorbehalten bleiben, bei denen die kriminelle Vereinigung bzw. deren Mitglieder einen Vermögensvorteil erstreben. Zur kriminellen Vereinigung wird diese Organisationsform, die auch ein Wirtschaftsunternehmen sein kann, dann, wenn Geld und Gewinne aus Straftaten generiert werden sollen. Dies müsste im Tatbestand ergänzend klargestellt werden.

• § 129 Abs. 5 StGB erfasst besonders schwere Fälle, bei deren Vorliegen zwingend auf eine höhere Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 bzw. 10 Jahren erkannt werden muss. Die Schwere der Fälle ergibt sich aus dem jeweiligen Grunddelikt (Satz 3) bzw. nach Satz 2 aus der persönlichen Stellung einer Person zur Vereinigung. Mafianeindanke schlägt vor, darüber hinaus, ähnlich wie bei der terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB), einen weiteren Qualifikationstatbestand („§ 129c StGB“) zu schaffen, der ein höheres Strafmaß als § 129 StGB aufweist. In einem Katalog könnten typisierte organisierte Zusammenschlüsse erfasst werden, die

  1. eine besondere Verfestigung der inneren Strukturen (interne Abschottung der Hierarchien nach unten) oder komplexe Formen der Koordination (Einsatz von Verschlüsselungstechnologien in der Kommunikation) aufweisen und deshalb eine höhere Gefahr für die innere Sicherheit darstellen.
  2. Gleiches gilt für eine spezifische Organisation der Beuteverwertung und der Infrastruktur, wie illegal generierte Gelder bezüglich ihrer Herkunft verschleiert und dadurch gewaschen werden, dass komplexe Firmengeflechte gegründet oder grenzüberscheitende Aktivitäten (Nutzung von Offshore-Finanzplätzen) von der kriminellen Vereinigung genutzt werden.
  3. Auch typisierte Tathandlungen der OK mafiöser Prägung oder der Rockerkriminalität könnten durch den Qualifikationstatbestand besser erfasst werden, bei denen bspw. durch Gewalt oder Einschüchterung von Teilen der Bevölkerung oder der Bevölkerung insgesamt der Gebiets- bzw. Marktbeherrschungsanspruch durchgesetzt wird.

Vorschläge zur Reformierung von Gesetzen oder Straftatbeständen verpuffen jedoch, wenn in der Rechtspraxis nicht einmal von dem bestehenden, allerdings unzureichenden Rechtsinstrument des § 129 StGB zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität Gebrauch gemacht wird. Die Reform des § 129 StGB im Jahr 2017 stand im zeitlichen Zusammenhang mit der Reform der Vermögensabschöpfung (siehe Kapitel 4). § 129 StGB ist deshalb eine Straftat nach § 76a Abs. 3 Satz 3 Nr. 1b) StGB, wo von der erleichterten Vermögenseinziehung Gebrauch gemacht werden kann. Bei der aktuellen Rechtspraxis ist das allerdings noch Zukunftsmusik.