Die Mafia ist nicht modern, sie ist immer die Alte geblieben. Das sagte der italienische Experte für Organisierte Kriminalität, Prof. Nando Dalla Chiesa, am 20. November bei einem Vortrag an der Universität Bonn. Er war auf Einladung des Instituts für Romanistik der Universität sowie des Bonner Italienzentrums gekommen, um über Unternehmensethik und den Kampf gegen die Mafia zu sprechen.
Der Senatssaal der Universität Bonn war gefüllt mit Studierenden und Interessierten, die hören wollten, was Prof. Nando Dalla Chiesa zu sagen hatte. Dalla Chiesa hat zunächst ganz persönliche Erfahrungen mit der Grausamkeit der sizilianischen Mafia gemacht. Sein Vater Carlo Alberto Dalla Chiesa war ein aus dem Piemont stammender General, der zunächst erfolgreich den linksextremistischen Terror in Italien bekämpfte. 1982 wurde er nach Sizilien versetzt, um in einer Phase grassierender Gewalt gegen die sizilianische Mafia- Organisation Cosa Nostra zu ermitteln. Diese reagierte schnell – noch im selben Jahr wurden er und seine zweite Ehefrau Emanuela Setti Carraro von der Mafia ermordet.
Sein Sohn Nando Dalla Chiesa forscht seit Jahrzehnten zur Mafia und hat sich international einen Namen als Experte für Organisierte Kriminalität gemacht. Er war Staatssekretär im Forschungsministerium, Abgeordneter im italienischen Parlament, wirkt als Buchautor, vor allem aber lehrt er an der Universität von Mailand Soziologie der Organisierten Kriminalität und hat dort das Osservatorio sulla criminalità organizzata, eine Mafia-Beobachtungsstelle, aufgebaut.
„Die Mafia ist nicht modern“, so Dalla Chiesa. In seinem Vortrag betonte er die Gefahr, die die Mafia für die wirtschaftliche Entwicklung und den Fortschritt einer Gesellschaft, aber auch für die Demokratie habe. „Die Mafia ist nicht modern“, so Dalla Chiesas provokative These. Die Art, in der die Mafia denkt und wirtschaftet, ihre letztlich immernoch archaischen Werte, gefährdeten vielmehr die Moderne. Wirtschaft und Demokratie hingen eng miteinander zusammen und seien gemeinsam historisch gewachsen, sagte er.
Die Unternehmensethik habe immer auch soziale und ökologische Folgen, schaffe Arbeitsplätze, verhindere Ausbeutung der Mitarbeitenden und schone die Umwelt – allesamt Punkte, die in einer mafiösen Struktur keine Rolle spielen. Als Beispiel für die Missachtung unternehmensethischer Regeln führte er die sogenannte Müll-Mafia an. Diese verunreinige mit ihrer illegalen Entsorgung toxischen oder gar radioaktiven Mülls in Kampanien Flüsse und Böden. „Hier handelt es sich um ein immenses Territorium, das von niemandem kontrolliert wird“, sagte er mit Blick auf die Aktivitäten der dort ansässigen Camorra und auch der kalabrischen `ndrangheta.
Die Mafia missbrauche Regeln und nutze Gewalt. Es müsse dabei nicht immer Blut fließen. Oftmals reiche schon die Bedrohung, die Unternehmerinnen und Unternehmer in Angst versetze.
Er erinnerte an zwei mutige italienische Unternehmer, die sich gegen die Mafia gestellt und mit dem Leben bezahlt haben: Libero Grassi aus Sizilien und Gennaro Musella aus Kalabrien.
„Ein mafiöses Unternehmertum verändert alles in der Gesellschaft – das Vertrauen, die Hierarchien. Es ist eine mentale und kulturelle Eroberung“, so Dalla Chiesa.
Er machte auch darauf aufmerksam, wie die Mafia durch billige Angebote Aufträge an sich ziehe. Ein Trend der Banca d’Italia zeige, dass die Anzahl an Direktvergaben in den vergangenen Jahren regelrecht explodiert sei – vorläufige Zahlen von 2024 sprechen von der Rekordzahl von rund 70 Prozent Direktvergaben gegenüber einem schrumpfenden Anteil von knapp 7 Prozent wettbewerblichen Ausschreibungen. Der Wettbewerb werde in Italien zunehmend untergraben. Das öffne Korruption und Organisierter Kriminalität Tür und Tor.
Auch Deutschland sei vor dieser Gefahr der Unterwanderung nicht sicher. „Deutschland
erlebt zurzeit das, was die Lombardei vor 40 Jahren durchgemacht hat“, warnte Dalla Chiesa. Dagegen helfe nur Aufklärung. Er selbst habe im Umland von Mailand Kampagnen zur Sensibilisierung über die Mafia durchgeführt für die Bedrohung einer sich ausbreitenden Mafia sensibilisiert. Dabei arbeitete er mit allen Gesellschaftsgruppen zusammen – von der Polizei bis hin zur Kirche.
Allerdings kann man die Situation aus Italien nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Die Mafia-Organisationen passen sich an ihr Umfeld an. Ermittlungen zeigen: Sie arbeiten in Deutschland nach dem „Crime as a service“-Prinzip auch mit vielen anderen kriminellen Gruppierungen zusammen, sind stark spezialisiert und „serviceorientiert“.
Mafianeindanke wirbt deshalb dafür, hierzulande Forschung zu betreiben und aktiv Daten zu sammeln, um zu verstehen, wie genau die Mafia-Organisationen bei uns in Deutschland vorgehen und wie man sie erfolgreich bekämpfen kann. Zudem schlägt der Verein vor, die Schaffung einer unabhängigen Beobachtungsstelle für Organisierte Kriminalität. „Welches Ideal hält uns zusammen? Ist es das Geld?“, fragte Dalla Chiesa zum Ende
seines Vortrags die Zuhörerinnen und Zuhörer. Er verwies auf das zivilgesellschaftliche Engagement der Antimafia-Organisationen in Italien und Deutschland. Dort seien andere Ideale wie Zusammenhalt und Solidarität zu finden.
„Es ist wichtig, dass wir uns miteinander verbunden fühlen. Deshalb sage ich: Legalität ist ein Gefühl.“
Foto: (c) Claudia Jordan