Die vier wichtigsten Maßnahmen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in Deutschland

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Aus Anlass der anstehenden Bundestagswahlen am 23. Februar 2025.

Der Zoll meldet Rekordfunde von Kokain im Hamburger Hafen, aus NRW überschlagen sich die Meldungen von Explosionen und Gewalt zwischen Drogenbanden. Der Generalsekretär von Interpol, Jürgen Stock, mahnte kürzlich, Europa drohe den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität (OK) zu verlieren und wies darauf hin, dass die Organisationen sogar das Potenzial hätten, Industrieländer zu destabilisieren.

Das gilt auch für Deutschland. Laut Bundesregierung hat sich der Zahl der mutmaßlichen Mitglieder italienischer Mafia-Organisationen von 136 im Jahr 2008 auf 1.003 im Jahr 2023 verachtfacht. Dabei gehen italienische Expert:innen allein bei der kalabrischen ’ndrangheta von mindestens 3.000 Mitgliedern in Deutschland aus. Giuseppe Lombardo, Italiens wichtigster Staatsanwalt im Kampf gegen die weltweit agierende ‘ndrangheta, bezifferte deren jährlichen Umsatz auf 220 Milliarden Euro. Und das betrifft allein italienische OK-Gruppen – die Mitglieder und Geschäfte anderer krimineller Organisationen sind nicht eingerechnet.

Es besteht dringender Handlungsbedarf auf rechtlicher wie politischer Ebene. Dazu hat mafianeindanke (mnd) vier effiziente Vorschläge ausgearbeitet.

1. Justiz stärken: Reform des § 129 StGB „Bildung einer kriminellen Vereinigung“

Der deutsche Paragraf § 129 StGB wird in der Rechtsprechung nur selten gegen Vereinigungen angewandt, die der Organisierten Kriminalität zuzuordnen sind. Was die italienische Mafia anbelangt, ist nur ein einziges Urteil bekannt, in dem ein deutsches Gericht jemanden wegen der Unterstützung der ‘ndrangheta verurteilt hat (AG Konstanz 16462/21, Urteil vom 29.10.2021).

Das niedrige Strafmaß im Tatbestand ist der Gefährlichkeit der OK-Strukturen und den meisten Straftaten, die den Zweck der Vereinigung begründen, nicht angemessen. Auch § 129 Abs. 5 StGB und die dort normierten Fälle schließen diese Strafbarkeitslücke nicht. OK-Strukturen werden dadurch im Hellfeld der Rechtspflege nicht sichtbar.

Wir fordern eine Ergänzung des Straftatbestands. Als Inspiration dient der bewährte italienischen Straftatbestand „416 bis“, der auf mafia-typischen Merkmalen und Taten beruht:

  • Einfügung eines neuen Straftatbestands („§ 129c StGB“) mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren zur Schaffung einer Qualifikation im Verhältnis zum Grundtatbestand
  • Ein besonderes schwerer Fall der Bildung krimineller Vereinigungen soll dann vorliegen,
  • wenn deren innere Strukturen in besonderem Maße verfestigt und abgeschottet sind;
    wenn z.B. intransparente Firmengeflechte aufgebaut werden, um die Verwertung der Beute zu verschleiern,
  • wenn Mitglieder oder Unterstützer:innen Verschlüsselungstechnologien wie Kryptohandys einsetzen;
    gewerbsmäßig handeln;
    einen nicht rechtmäßigen Vermögensvorteil anstreben oder einen Menschen bedrohen (§ 240 StGB).

 Mehr Informationen auf mafianeindanke.de.

2. Gemeinsam handeln: Einrichtung einer zivilgesellschaftlichen Beobachtungsstelle für Organisierte Kriminalität (BOK)

Organisierte Kriminalität (OK) wird mit den bisherigen Instrumenten des Staates nur unzulänglich erfasst, es fehlen verlässliche Daten und Analysen.

Mafia-Organisationen agieren an der Schnittstelle von Profit und Macht und wirken durch Einschüchterung, Erpressung und Korruption tief in Gesellschaft und Rechtsstaat hinein. OK kann allein mit Strafverfolgungsmethoden nicht ausreichend bekämpft werden. Deshalb braucht es eine Zusammenarbeit von Politik und Behörden mit Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft in Form einer zivilgesellschaftlich organisierten Beobachtungsstelle für Organisierte Kriminalität.

Ziel dieser Stelle ist es, aktiv und präventiv Demokratie und freie Wirtschaft in Deutschland vor den Einflüssen Organisierter Kriminalität zu schützen. Die BOK schafft Wissen, bietet Betroffenen Beratung an und schafft eine zentrale Anlaufstelle. Ihre Aufgaben sind Beobachtung und Analyse, Öffentlichkeitsarbeit und Publikationen sowie Fortbildung, Beratung und Netzwerkkoordination.

Wir fordern, dass die kommende Bundesregierung € 1,5 Mio. für die dreijährige Pilotphase für den Aufbau der BOK bereitstellt. Für den langfristigen Betrieb ist eine nachhaltige institutionelle Förderung vonnöten.

Mehr Informationen auf mafianeindanke.de.

3. Finanzielle Anreize wegnehmen: Stärkung der administrativen Vermögensabschöpfung

Straftaten dürfen sich nicht lohnen. Es gibt zwar bereits effiziente Maßnahmen der Geldwäschebekämpfung wie die selbständige Einziehung von Vermögenswerten bei der Geldwäsche (§ 76a Abs. 4 StGB). Große Erfolge mit diesem Instrument sind jedoch ausgeblieben. Die Hürden für eine Einziehung nach dem Strafrecht sind zu hoch, eine Umsetzung im Verwaltungsrecht ist effizienter. Deshalb fordern wir ein Vermögensverschleierungsbekämpfungsgesetz, das den Rahmen für die administrative Einziehung schafft. Blaupausen für die deutsche Gesetzgebung gibt es im italienischen “codice antimafia” von 2011.

Der administrative Weg bedeutet, verdächtiges Vermögen präventiv im Rahmen der Gefahrenabwehr einzuziehen. Dazu muss die Einziehung aus dem Kontext des Strafrechts gelöst werden. Die Sicherstellung und Abschöpfung von Vermögensgegenständen muss im Recht der Gefahrenabwehr verankert werden. Die Anforderungen an die Einziehung von Vermögensgegenständen nach dem Recht der Gefahrenabwehr richten sich dann nach dem Verwaltungsverfahrens- und Beweisrecht im Verwaltungsprozess.

Administrative Sicherstellungen sind nach deutschem Recht bereits heute möglich, werden aber zu selten durchgeführt. So können die Financial Intelligence Unit (FIU) oder die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Verfügungsverbote für die Durchführung von Transaktionen per Verwaltungsakt anordnen und damit Gelder festhalten, wenn bestimmte Anhaltspunkte oder Tatsachen auf Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung hindeuten.

Mehr Informationen auf mafianeindanke.de, in der Broschüre auf Seite 32ff..

4. Der Gesellschaft zurückgeben: Soziale Wiederverwendung konfiszierter Güter

OK schadet der gesamten Gesellschaft auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene. Beschlagnahme und Einzug inkriminierter Vermögen schwächen OK-Strukturen nachhaltig und unterbinden weitere Taten. Die soziale Wiederverwendung der beschlagnahmten Güter sendet ein starkes Signal an die Gesellschaft, auch an potenzielle Täter: Verbrechen lohnt sich nicht. Inspirierend ist der Blick nach Italien: Polizeistationen in Gebäuden, die ehemals Kriminellen gehörten, Universitätsinstitute in Gangstervillen, Genossenschaften bewirtschaften ehemalige Mafia-Ländereien ökologisch und verkaufen mafiafreie Tomatensauce, Schüler:innen lernen demokratische Werte zum Anfassen bei Antimafia-Sommercamps in ehemaligen Mafia-Villen. Es entsteht Potenzial für Veränderungen:

  • Politisch: Ein transparenter und greifbarer Staat schafft Vertrauen in die Institutionen.
  • Wirtschaftlich: Durch soziale Wiederverwendung schafft die Zivilgesellschaft Arbeitsplätze, Dienstleistungen und nicht zuletzt Würde für Menschen vor Ort. So reparieren wir das beschädigte soziale Gefüge.
  • Individuell: Akademische Studien und Berichte aus der Praxis bestätigen, dass soziale Wiederverwendung den Bürger:innen lebensnah die Botschaft „Crime does not pay“ vermittelt. Es entstehen Zusammenhalt, Zugehörigkeitsgefühl und eine Kultur, die sich Verbrechen verweigert.

Wir fordern, dass Deutschland im Sinne des Vorschlags für die EU-Richtlinie COM/2022/245 die soziale Wiederverwendung beschlagnahmter Güter verpflichtend macht und einen Sonderfonds zur Unterstützung von Projekten zivilgesellschaftlicher Organisationen in beschlagnahmten Vermögenswerten einrichtet.

Mehr Informationen in den Publikationen des Netzwerks CHANCE: Kapitel 2 des Manifests auf chance.international und ausführlicher Bericht „Social Re-Use of Confiscated Assets in Italy”.

Der gemeinnützige Verein mafianeindanke e.V. beobachtet und analysiert als einzige NGO in Deutschland die Aktivitäten der italienischen Organisierten Kriminalität seit den Morden von Duisburg 2007. Mnd hat bereits mehrfach erfolgreich Verbesserungen angestoßen. Dazu gehören Erleichterungen bei der Beschlagnahme und Geldwäscheprävention im Immobilienbereich, eine Anpassung des Paragrafen zur Bildung krimineller Organisationen an die Bedürfnisse der Strafverfolgung sowie die Erstellung einer Studie für ein Ausstiegsprogramm aus der sog. Clan-Kriminalität.

Mit den hier aufgeführten vier sofort wirksamen Maßnahmen kann die kommende Bundesregierung auf politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene gegen Organisierte Kriminalität vorgehen: Ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz für ein gesamtgesellschaftliches Problem.


Das Maßnahmenpaket als übersichtliches PDF: