Im April startete auf Disney+ die mit Spannung erwartete Serie “The Good Mothers“, die auf den wahren Geschichten dreier Frauen beruht, die sich mithilfe der Justiz gegen ihre ‘ndrangheta-Familien gestellt haben, um ein freieres Leben führen zu können. Die Premiere von “The Good Mothers” war bereits im Februar auf der 73. Berlinale, auf der sie den Goldenen Bären in der Kategorie „Berlinale Series“ gewann. Die Handlung basiert auf der gleichnamigen Buchvorlage des US-amerikanischen Journalisten Alex Perry. Regie führten Julian Jarrold und Elisa Amoruso.
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Die Serie beginnt mit der Geschichte von Lea Garofalo (Micaela Ramazzotti) und ihrer Tochter Denise Cosco (Gaia Girace). Die beiden sind jahrelang im Zeugenschutzprogramm, nachdem Lea gegen Carlo Cosco (Francesco Colella) ausgesagt hat, der nicht nur Denises Vater, sondern auch ein lokaler ‘ndrangheta-Boss ist. Nachdem Leas Zusammenarbeit mit der Justiz als Kronzeugin als beendet gilt, knüpft sie neuen Kontakt zu Carlo, um der Isolation des Zeugenschutzprogrammes zu entkommen und wieder familiären Anschluss zu knüpfen. Doch Lea verschwindet beim Besuch von Carlo in Mailand unter dubiosen Umständen. Daraufhin wird Denise zur Familie ihres Vaters nach Kalabrien gebracht, wo ihr eingetrichtert wird, wie sich Frauen in ‘ndrangheta-Familien zu verhalten haben. Lea Garofalos Geschichte wurde bereits zuvor ausführlich verfilmt (z. B. „Lea“, 2015, Regie: Marco Tullio Giordana). “The Good Mothers“ legt den Fokus auf das Trauma der anhaltenden Isolation, die eine Kollaboration mit der Justiz mit sich bringt.
Parallel zur Geschichte von Lea Garofalo und Denise Cosco entfalten sich die Geschichten zweier anderer junger Frauen. Giuseppina Pesce (Valentina Bellè) und Maria Concetta Cacciola (Simona Distefano) stehen unter dem ständigen Druck, ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau innerhalb ihrer ‘ndrangheta-Familien gerecht zu werden. Während Giuseppina in die Geldwäschepraktiken ihrer Familie involviert ist, wird Maria Concetta, genannt Cetta, seit der Verhaftung ihres Ehemanns seit Jahren von ihrer Familie im eigenen Haus gefangen gehalten, um ihre absolute Treue sicherzustellen. Zentrale Figur aufseiten der Justiz ist die Staatsanwältin Anna Colace (Barbara Chichiarelli), die angelehnt wurde an die kalabrische Staatsanwältin Alessandra Cerretti. Auf sie soll die Idee zurückgehen, die Frauen der ‘ndrangheta als Kronzeuginnen zu gewinnen, weil diese besonders stark unter den patriarchalen Strukturen leiden, die sie ausschließlich in die Rollen als fürsorgliche Mutter und loyale Ehefrau drängen. Zugleich verfügen die Frauen über ausreichende Insider-Kenntnisse, um ihre Familien vor Gericht schwer zu belasten.
Durch die Serie zieht sich eine beklemmende Grundstimmung. Das Gefühl der Ausweglosigkeit und die systematische Unterdrückung der Frauen, die durch Geburt unfreiwillig Teil einer streng patriarchalen Gemeinschaft sind, ist in jedem Moment greifbar. Die Clans setzen auf den absoluten Gehorsam der Frauen und stellen diesen mit brutaler Gewalt beim kleinsten Anzeichen eines „Vergehens“ sicher. “The Good Mothers“ erzählt das Dilemma der Frauen aus ihrer eigenen Perspektive: Sie müssen ihren Familien gerecht werden, sind durch ihre Kinder untrennbar an ihre Herkunft gebunden, demgegenüber wirkt der Wunsch, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, schier unmöglich. Gezielt setzen Großeltern Kinder ein, um deren Mütter emotional zu erpressen und an sich zu binden. Nachdem eine Frau ausgesagt hat, kann sie ihrer Herkunftsfamilie kein Vertrauen mehr schenken, jede Liebesbeteuerung wird zur Manipulation, einer unentrinnbaren Falle. Bedingungslose Zuneigung gibt es nur bei denjenigen, die selbst zweifeln und rebellieren: zwischen Lea und ihrer Tochter Denise, zwischen Giuseppina oder Cetta und deren eigenen Kindern.
Musikalisch herrscht Zurückhaltung, wohl auch um der bedrückenden Stimmung keine zusätzliche Theatralik zu verleihen. Punktuell wird tanzbare Musik eingesetzt, um die Entfremdung der weiblichen Hauptcharaktere gegenüber ihrem erstickenden Umfeld grotesk in Szene zu setzen. Wiederkehrendes Thema ist das kalabrische Kinderschlaflied „Ninna nanna“ (G. Centofanti) in einer Version, deren gespenstische Melodie und Text unter die Haut gehen: „Der Wolf frisst das kleine Lamm, mein kleines Lamm, was hast du nur getan, als du im Maul des Wolfes warst?“
Wie ein Damoklesschwert schwebt über allem die Frage: Was macht eine gute Mutter aus? Allein der Gehorsam? Richtet eine gute Mutter ihre eigenen Söhne zu skrupellosen Geschäftsmännern ab und verheiratet ihre jugendlichen Töchter strategisch? Warum kann sie für sich und ihre Kinder nur dann eine Chance auf Freiheit haben, wenn sie jeglichen Kontakt zu ihrer Familie abbricht und sich in Polizeischutz begibt? Was ist das für eine Idee von Familie, die auf Unterdrückung beruht und in der die eigenen Verwandten zur Lebensgefahr werden?
Dass die Serie auf wahren Begebenheiten beruht, bringt Widersprüchlichkeiten mit sich. So überzeugt die Handlung durch ihre Nähe zur Realität, macht sich aber gleichzeitig angreifbar bezüglich Änderungen, die im Sinne der Dramaturgie vorgenommen wurden. Giuseppina Pesce äußerte nach Erscheinen der Serie, dass ihre Zustimmung nicht eingeholt wurde und sie mit der Darstellung ihrer Person teilweise nicht übereinstimme. Weiterhin befürchtet sie, dass die durch die Serie gestiegene öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Geschichte ein erneutes Sicherheitsrisiko für sie und ihre Kinder bedeuten könnte. Dagegen steht die Tatsache, dass alle Geschichten, die in der Serie verarbeitet wurden, durch gerichtliche Prozesse und mediale Berichterstattung bereits bekannt waren.
Die Gewinnung der Frauen als Kronzeuginnen ist für die ‘ndrangheta ein besonders harter Schlag, da ihr wirtschaftlicher Erfolg stark auf familiären Bande und Verwandtschaft basiert, wodurch Loyalität gesichert und eine Kooperation mit der Justiz unwahrscheinlicher werden soll. “The Good Mothers“ zeigt, dass dieses Fundament bröckeln kann. Der Mut von Lea Garofalo, Giuseppina Pesce und Maria Concetta Cacciola ist ein Leuchtturm.
Die Serie zeigt eine wichtige weibliche Perspektive, die unersetzlich ist, um nicht nur die wirtschaftliche Funktionsweise der ‘ndrangheta zu verstehen, sondern auch ihre psychologische. Während die Handlungsstränge von Giuseppina Pesce und Maria Concetta Cacciola miteinander verwoben sind, wirkt die Geschichte von Lea Garofalo und ihrer Tochter Denise isolierter, wodurch es erzählerisch zu Brüchen kommt. “The Good Mothers“ überzeugt jedoch insgesamt durch die realistische Darstellung ihrer Protagonistinnen, die den Mut ihrer echten Vorbilder würdigt, ohne ihre Widersprüche auszulassen. Damit ist die Serie definitiv empfehlenswert.
Für alle, die sich darüber hinaus informieren wollen: Die wahren Begebenheiten um Giuseppina Pesce und Maria Concetta Cacciola werden auch im Buch „‘Ndrangheta“ von Sanne de Boer aufgegriffen, das 2022 erschienen ist und die Geschäfte und Strukturen dieser Mafia-Organisation nachzeichnet.