BKA-Lagebild 2023 zur OK: Ohne großen Erkenntniswert

Titelbild des BKA Lagebildes zu OK 2023

Das BKA-Lagebild 2023 zur Organisierten Kriminalität (OK) enttäuscht wiederum in mehrfacher Hinsicht. Es offenbart erhebliche Schwächen in der Darstellung der tatsächlichen Bedrohungslage durch die OK in Deutschland. Ebenso wie die nur auf einen engen Straftatenkatalog im Hellfeld gestützten OK-Lagebilder der Vorjahre wird diese Bedrohungslage damit im Ergebnis geschönt. Das Lagebild hat deshalb auch für das vergangene Jahr einen nur geringen Erkenntniswert. Unsere Analyse zum Lagebild 2020 finden Sie hier.

Im Bericht kommt nicht zum Ausdruck, dass Wirtschaftsstraftaten wie etwa Kapitalanlagebetrug oder Konkursverbrechen der dominante Schadensfaktor bei der OK sind – und eben nicht Betäubungsmitteldelikte. Darunter fallen bei der OK alle Vermögensdelikte, die gewerbsmäßig bzw. bandenmäßig begangen werden und deren Triebfeder der Profit ist. Der Bericht zeigt auch, dass sich Ermittlungsbehörden noch immer schwertun, viele dieser Tathandlungen der Wirtschaftskriminalität mit OK-Bezug als kriminelle Vereinigung (§ 129 StGB) zu erfassen.

Medienberichte zum BKA-Lagebild konzentrieren sich alljährlich auf drei zentrale Kennzahlen:

  • Anzahl der Verdächtigen – gegliedert nach Staatsangehörigkeit – und der agierenden kriminellen Netzwerke
  • Schadenshöhe und
  • Volumen der Vermögenssicherungen.

Zu diesen drei zentralen Fragen ist der Bericht des BKA nicht nur dünn, sondern vor dem Hintergrund der Dunkelfeldforschung geradezu verwirrend. In Deutschland existiert seit 2016 eine im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen erstellte, belastbare Dunkelfeldanalyse zum Umfang der Geldwäsche in Deutschland, die das jährliche Volumen der Geldwäsche auf mindestens 100 Milliarden Euro schätzt. Geldwäsche ist das ökonomische Fundamt fast aller Formen und Straftaten, die mit Organisierter Kriminalität einhergehen. Vor diesem Hintergrund wirken die Erkenntnisse, die festgestellte Schadenhöhe und das Volumen der Vermögenssicherungen wie vernachlässigbare kleine Nadelstiche gegen die OK. Besonders negativ fällt dieses Jahr das gesunkene Volumen der sichergestellten Vermögensgegenstände ins Auge, welches angesichts einer Verdoppelung der Schäden auf bescheiden bezifferte 2 Milliarden Euro noch weniger ins Gewicht fällt. Erfolge sehen anders aus.

Auch die Aussagen zu kriminellen Transaktionen lassen Raum für Kritik: Laut BKA ist Bargeld die meistgenutzte Geldwäschemethode. Neue, verbreitete Methoden wie „Trade-Based Money Laundering“ (handels- und nicht zahlungsbasierte Geldwäschemethoden) und Bartergeschäfte (Geschäfte aus zwei Warenlieferungen mit dem gleichen Tauschwert, bei welchen keine Zahlungen fließen) oder Bezahlungen mittels Kryptowerten (Bitcoin), die zunehmend in den Vordergrund rücken, bleiben unerwähnt. Nicht weil sie unbeachtlich sind, sondern nur deshalb, weil die deutschen Ermittlungsbehörden über diese komplexeren Transaktionsmethoden keine Erkenntnisse haben.

Statt eine realistische Einschätzung der Bedrohungslage zu bieten, vermittelt das BKA somit ein verzerrtes Bild, in dem OK für unbefangen Leserinnen und Leser in Deutschland als Bagatelle („Viel Lärm um nichts“) erscheint. Nur mit diesen (erheblichen!) Einschränkungen im Kopf will mafianeindanke auf drei Aspekte des Lagebilds Organisierte Kriminalität 2023 hinweisen.

1. Erstmals Daten zur Einflussnahme durch Organisierte Kriminalität

Das Bundeslagebild 2023 erhebt erstmals Daten zu Einflussnahme und Unterwanderungspotenzial durch Gruppierungen der Organisierten Kriminalität (OK). Die Daten verdeutlichen die ernsthafte Bedrohung, die die OK für demokratische Strukturen darstellt. In 97 von insgesamt 642 OK-Verfahren konnten die ermittelnden Behörden Nachweise von Einflussnahmen erbringen. Die Liste der im Lagebild genannten Betroffenen ist lang und reicht von Vertreter:innen staatlicher Institutionen über andere Schlüsselpositionen in Gesellschaft und Wirtschaft: „Beispielhaft erfolgt diese durch OK-Gruppierungen in Deutschland und im Ausland auf Vertreterinnen und Vertretern staatlicher Institutionen wie der Justiz, der Polizei und der öffentlichen Verwaltung, u. a. auf Behördenmitarbeitende von Bau- und Ordnungsämtern oder Kfz-Zulassungsstellen. Ferner wurden auch Mitarbeitende an See- und Flughäfen, Angehörige von Medienanstalten und Wirtschaftsakteuren oder Personen im Bereich der Kommunalpolitik beeinflusst. Auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wurden dazu angehalten, relevante Informationen aus Strafverfahren zu beschaffen, um diese an Mitglieder der jeweiligen OK-Gruppierung weiterzugeben.“(s. S.24)

Insbesondere von der ‘ndrangheta ist bekannt, dass sie gezielt Kontakte in Politik und Verwaltung sucht, die sie für ihre kriminellen Geschäfte nutzen kann. Die gezielte Beeinflussung gefährdet somit die Funktionsfähigkeit demokratischer Prozesse und die Integrität staatlicher Strukturen. Das Lagebild hebt hervor, dass diese Einflussnahmen sowohl in Deutschland als auch im Ausland stattfinden und deutet auf ein erhebliches Dunkelfeld hin, was die tatsächliche Ausbreitung dieser Unterwanderung anbelangt: „Zu beachten ist, dass dabei nur polizeilich bekannt gewordene Handlungen dargestellt werden und auch hier von einem großen Dunkelfeld auszugehen ist.“ (s. S. 38)

Es ist gut und wichtig, dass diesem Thema erstmal mehr Platz eingeräumt und spezifische Daten erhoben werden. Korruption ist ein wichtiges Mittel für Mafia-Organisationen, um sich Einfluss und somit Macht zu erkaufen. Damit müssen wir uns in Deutschland ernsthaft auseinandersetzen. Statt Einflussnahme mit Begriffen wie „Vetternwirtschaft“ oder „Vitamin B“ zu verniedlichen, müssen wir sie so begreifen, wie sie ist: ungerecht und demokratieschädigend.

2. Geldwäsche ist einfach, Vermögensabschöpfung nicht

Die Höhe der Schäden durch OK-Gruppierungen wird im Lagebild mit rund 2,7 Milliarden Euro beziffert, was eine Verdopplung gegenüber dem Vorjahr darstellt[1]. Skandalös sind die lächerlich geringen Vermögenssicherungen – nur 83 Millionen Euro im gesamten Jahr, das entspricht 8% der festgestellten kriminellen Erträge und ist damit der zweitniedrigste Prozentsatz der letzten zehn Jahren. Kann es unserem Anspruch genügen, dass dem Staat 92% der kriminellen Erträge durch die Lappen gehen?

2024.09 Bka Schäden

Dabei wird deutlich, dass die bestehenden Mechanismen zur Verhinderung von Geldwäsche in Deutschland unzureichend sind. In 87 % der OK-Verfahren wurden zwar Finanzermittlungen durchgeführt, um kriminelle Vermögenswerte zu identifizieren, jedoch bleibt die Wirksamkeit dieser Maßnahmen fraglich. In nur 27 % der Verfahren kam es zu Vermögenssicherungen.

Effiziente Geldwäschebekämpfung und Vermögensabschöpfung müssen Grundpfeiler der deutschen Antimafia-Politik sein. Darauf pochen wir von mafianeindanke seit Jahren und haben auch einige konkrete Vorschläge gemacht, zum Beispiel in unserer Broschüre mit politischen Maßnahmen, und unserer kontinuierlichen kritischen Reflektion von Gesetzen und Gesetzesvorschlägen zur Bekämpfung der Finanzkriminalität, wie das FKBG.

3. Verfahren § 129 StGB: Mehr Strukturermittlungen nötig

Im Lagebild 2023 listet eine Tabelle die Verfahren wegen § 129 StGB „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ nach der dominierenden Staatsangehörigkeit[2] der Gruppierungen auf. Hier befindet sich die italienische Staatsangehörigkeit mit sechs Verfahren auf Platz 1 – genauso wie in vier der letzten fünf Jahre.

2024.09 Bka Kriminelle Vereinigung

Die Relevanz dieses Paragrafen für Strukturermittlungen gegen italienische Mafia-Organisationen ist erheblich. Im Gegensatz zu Verfahren wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, in denen beispielsweise ein einzelner Drogendeal mit den jeweils konkret Beteiligten verfolgt wird, erlaubt § 129 die Suche nach Hintermännern und Drahtzieherinnen und das Aufdecken von Strukturen. Das zeigt beispielsweise das Urteil des Amtsgerichts Konstanz gegen Domenico G. (mafianeindanke berichtete). Allerdings kommt der Paragraf in seiner jetzigen Form viel zu selten zum Einsatz. Mafianeindanke fordert deswegen eine Reform, um § 129 StGB besser und häufiger auf Mafia-Organisationen anwenden zu können (s. auch Veranstaltung „§129 StGB reformieren: Mehr Antimafia im Gesetz!“).

Wir brauchen viel mehr solcher Verfahren, die aufwändige Strukturermittlungen erlauben. Nur so können wir die Netzwerke von Mafia-Organisationen verstehen und gegen die Hauptverantwortlichen vorgehen und die kriminellen Systeme nachhaltig zurückdrängen.

Kann Strafverfolgung allein OK zurückdrängen?

Mafia-Organisationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur nach Profit, sondern auch nach Macht und Einfluss streben. Das macht sie gefährlicher als andere Formen der OK. Um diese Herausforderung zu meistern, brauchen wir neben der Strafverfolgung eine starke Zivilgesellschaft. Schließlich wirken Mafia-Organisationen durch Korruption, Einschüchterung und Gewalt tief in unsere Gesellschaft und unseren Rechtsstaat hinein. Um dagegen anzugehen, brauchen wir relevante OK-Forschung an Universitäten und Hochschulen, investigativen Journalismus, und eine unabhängige Beobachtungsstelle für Organisierte Kriminalität, die Daten, Expertise und Menschen aus verschiedenen Sektoren zusammenbringt. All das muss politisch gewollt und nachhaltig finanziert sein.


[1] Die stark gestiegenen Summen der Schäden und Erträge führt das BKA v.a. auf ein Verfahren im Hauptdeliktsbereich Cybercrime zurück. Schäden werden wie folgt definiert: „Der Schaden entspricht grundsätzlich dem Geldwert (Verkehrswert) des rechtswidrig erlangten Gutes. Bei Vermögensdelikten ist unter Schaden die Wertminderung des Vermögens zu verstehen. […] Mittelbare Schäden sind nicht erfasst.“, https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/OrganisierteKriminalitaet/BLB_OK_Erklaerungen_2023/BLB_OK_Erklaerungen_2023.html , zuletzt aufgerufen am 18.09.2024

[2] „Für die Feststellung der dominierenden Staatsangehörigkeit einer OK-Gruppierung ist die Staatsangehörigkeit der Person ausschlaggebend, die innerhalb einer OK-Gruppierung die Führungsfunktion einnimmt. Dabei muss nicht zwingend die Mehrheit innerhalb einer Gruppierung diese Staatsangehörigkeit besitzen.“ (s. S. 17)