Im Juni 2024 hat das italienische Antimafia-Kriminalamt Direzione Investigativa Antimafia (DIA) seinen Bericht über das erste Halbjahr 2023 veröffentlicht. Darin beschreibt und analysiert es seine Ermittlungen und deren Ergebnisse im Berichtszeitraum. Neben umfangreichen Kapiteln über die Aktivitäten der einzelnen Mafia-Organisationen in den italienischen Regionen gibt es auch Kapitel über deren Tätigkeiten im Ausland. Um die Informationen des DIA-Berichts der deutschsprachigen Öffentlichkeit zugänglich zu machen, übersetzen wir seit Anfang 2023 die Kapitel über Deutschland sowie Österreich und die Schweiz und veröffentlichen sie auf unserer Webseite – alle weiteren Übersetzungen finden Sie hier. Dieses Mal kommt noch die Beschreibung der internationalen Großoperation Eureka dazu. Der 376 Seiten starke Originalbericht auf Italienisch ist auf der Webseite der DIA erhältlich.
Die Länge der Kapitel über das europäische Ausland hat allgemein abgenommen – während Deutschland ein Jahr zuvor noch drei volle Seiten gewidmet waren, ist es dieses Jahr nur eine. Zu beachten ist dabei, dass die Beschreibung der Großoperation Eureka separat behandelt wurde, deshalb taucht sie im Länderkapitel nicht auf.
„Die ‘ndrangheta stellt zunehmend eine besondere Bedrohung für die wirtschaftliche & demokratische Ordnung dar“, unterstreicht die Antimafia-Behörde DIA. Sie sei bestens ausgestattet, modern, vielseitig.
Deutschland im DIA-Report 01/2023
„Deutschland ist dank seiner florierenden Wirtschaft ein Anziehungspunkt für italienische Mafia-Organisationen, die vor allem im Westen und Süden des Landes aktiv sind, insbesondere in wohlhabenderen Regionen wie Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen.
Die italienischen Gruppierungen haben im Lauf der Jahre versucht, zusätzlich zu ihren traditionellen illegalen Aktivitäten wie dem Drogenhandel schrittweise in die legale Wirtschaft einzudringen, indem sie Gastronomiebetriebe und Pizzerien erwarben, die als „Tarnung“ illegaler Geschäfte verschiedener Art dienen sollten. Darüber hinaus zeigten die jüngsten Ermittlungen, die gemeinsam mit den deutschen Behörden durchgeführt wurden, dass kommerzielle Aktivitäten, die von mit der italienischen Kriminalität in Verbindung stehenden Personen geleitet wurden, auch als logistische Basis für deren sog. „Gipfeltreffen“ und für die konkrete Durchführung ihrer illegalen Aktivitäten genutzt wurden.
Die Konsolidierung der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit mit den deutschen Ermittlungsbehörden hat es jedoch ermöglicht, zu einer präzisen phänomenologischen Analyse der in Deutschland vorhandenen kriminellen Organisationen zu gelangen und eine wirksame repressive Maßnahme durchzuführen.
Hier verweisen wir auf die Ergebnisse der Operationen “Eureka” und “Aspromonte Emiliano“, die weiter oben bereits ausführlich dargestellt wurden.
Darüber hinaus wurde am 27. Juni 2023 im Rahmen der Operation “Glicine Akeronte” eine ‘ndrangheta-Struktur identifiziert, die bekannt ist als „locale von Papanice“, ein Ortsteil der Gemeinde Crotone. Sie hat laut Ermittlungsakten kriminelle Interessen auch in Deutschland, wo die Staatsanwaltschaft Catanzaro ihre Ermittlungen in Abstimmung mit der örtlichen Staatsanwaltschaft Stuttgart durchführte.
Maßnahmen der Beschlagnahme: Am 29. Mai 2023 wurde die vom Gericht von Reggio Calabria angeordnete präventive Maßnahme der Vermögensbeschlagnahme gegen drei Unternehmer durchgeführt. Diese drei Personen tauchten im Rahmen der Operation „Andrea Doria“ auf, als die Ermittler ein ausgeklügeltes System von Steuerhinterziehung im Bereich des Handels mit Erdölprodukten aufdeckten, das auf fiktiven Unternehmensdrehkreuzen beruhte, die darauf abzielten, die Abgabe von Mehrwert- und Mineralölsteuer zu umgehen.
Der Gerichtsbeschluss mit einem Gesamtwert von mehr als 80 Mio. EUR richtete sich gegen insgesamt 20 Unternehmen, davon drei mit Sitz in Deutschland, die hauptsächlich im Güterverkehr, im Handel mit Erdölprodukten sowie in der Behandlung und Entsorgung ungefährlicher Abfälle tätig sind. In jüngster Zeit scheint es, dass auch die ‘ndrangheta aus Crotone und Cosenza sich im reichen Deutschland eingenistet hat, um auch in diesen Wirtschaftssektor eindringen zu können.
Diesbezüglich verweisen wir darauf, dass am 5. Juni 2023 im Rahmen der Operation „Gentleman 2“ des Antimafia-Bezirkskriminalamts von Catanzaro festgestellt wurde, dass die ‘Ndrangheta-Gruppen FORASTEFANO-ABBRUZZESE, die im Hinterland der Provinz Alto Jonio Cosentino tätig sind, auch in Deutschland mittels Leuten aus Corigliano aktiv waren, die sich vor Ort niedergelassen hatten. Diese Personen waren vollständig in das Netzwerk des internationalen Drogenhandels eingebunden. Vor allem einer von ihnen, der Inhaber einer Pizzeria in Frankfurt, garantierte den Mafia-Mitgliedern logistische Unterstützung, wenn sie nach Deutschland kamen, um persönlich über ihre illegalen Geschäfte zu sprechen.“
Foto: Direzione Investigativa Antimafia