Das schmutzige Geschäft mit goldenen Pässen

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Goldene EU-Pässe und Goldene Visa für die Superreichen – und für Wirtschaftskriminelle aus Drittstaaten

Im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise haben viele EU-Staaten für Investoren in ihre angeschlagenen Volkswirtschaften sog. Citizenship und Residency by Investment“-Programme aufgelegt. Für eine Investition einer bestimmten Summe im Immobilienmarkt, alternativ für öffentliche Kulturprojekte (Portugal) oder den Kauf von Staatsanleihen (Malta, Griechenland, Ungarn) erhielten die Investoren und deren Familienangehörige in Zypern, Malta oder Bulgarien die Staatsbürgerschaft und in 17 weiteren EU-Ländern (darunter Portugal, Griechenland, Österreich, Spanien, Luxemburg, Italien, Niederlande) eine Aufenthaltsberechtigung.

Kollision mit dem Europarecht

Mit dem Beschluss eines Mitgliedstaats, einer Person die Staatsangehörigkeit als Gegenleistung für Investitionen zu verleihen, besitzt diese Person automatisch Rechte als Unionsbürger in anderen Mitgliedstaaten, insbesondere das Recht auf Freizügigkeit, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunal- und Europawahlen, das Recht auf konsularischen Schutz und das Recht auf Zugang zum Binnenmarkt. Den Antragstellern geht es bei den Goldenen Pässen nur um die Freizügigkeit in der EU, ebenso wie den Investoren in anderen EU-Staaten bei der Aufenthaltsberechtigung. Ohne in dem Land gelebt oder eine besondere Bindung zum jeweiligen EU-Staat zu haben, erhalten die Investoren ihren Goldenen Pass gegen Cash.

Der Goldene Pass ist das Eintrittsticket für die gesamte EU. Und das Interesse der Staaten, die solche Programme auflegen, ist es, Gelder ins Land zu holen, egal, woher und aus welchen Quellen oder gar illegalen Aktivitäten die Gelder stammen. Während die Innenministerien in den EU-Staaten Europa zur Festung gegen Migration mit allen erdenklichen Mitteln ausbauen, machen sie die Staatsbürgerschaft zur Ware für diejenigen, die sich eine Staatsangehörigkeit leisten können. Vornehmlich für Superreiche aus der VR China, Russland und den Golfstaaten. Eine Verhöhnung von Demokratie und Rechtsstaat. Und Dritte im Interessenklüngel ist eine ganze Industrie von Anwälten, Notaren und Beratern, die etwa in Malta oder Zypern an diesen Geschäften kräftig mitverdienen. Nicht zu vergessen einzelne Politiker und Beamte, die sich wie in Zypern von den Antragstellern haben bestechen lassen.  

Die Ermöglichung der Staatsangehörigkeit für Einwanderer aufgrund national festgelegter Kriterien fällt ohne Zweifel in den Kernbereich der Zuständigkeit des jeweiligen Staats. Nationale Interessen können auch wirtschaftlichen oder kommerziellen Interessen entsprechen. Das Problem: Aus der völkerrechtlich und europarechtlich geforderten besonderen Verbindung der Staatsbürger zum Staat folgt auch, dass automatisch jede Person ohne Beschränkungen Unionsbürger ist. Für die EU sind dabei die Verfahren nicht transparent, welche Anforderungen an die Überprüfung der Zuverlässigkeit der Personen und der Herkunft der investierten Gelder tatsächlich gestellt werden und wie die Verwaltungspraxis dazu ausgestaltet ist.  Genau das ist der Punkt, wo die Europäische Kommission im Spannungsfeld zwischen der Union und den Mitgliedsstaaten einen Verstoß gegen EU-Recht und die Struktur der EU sieht (Art. 20 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).  Deshalb hat die EU-Kommission gegen Malta und Zypern im Oktober 2020 ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet und im Juni 2021 fortgesetzt, da beide Staaten die Bedenken der Kommission nicht ausräumen konnten.  Der Ausgang ist offen. Wieder einmal sind Zypern und Malta – mit Blick auf Geldwäsche, Korruption und Steuerhinterziehung ohnehin die Schmuddelkinder unter den EU-Staaten – im Visier der EU-Kommission.

Die Abwicklung des Investitionsprogramms in Zypern – Auf die Justiz kommt viel Arbeit zu

Für einen Goldenen Pass für Ehepartner und deren Kinder hatten die Antragssteller in Zypern mindestens 2,5 Millionen Euro zu investieren. Wer noch seine Eltern einbürgern lassen wollte, musste noch 500.000 Euro drauflegen. Seit 2007 beliefen sich nach Angaben des zypriotischen Präsidenten Nikos Anastasiades die Investitionen auf 9,7 Milliarden Euro, bis sie am 1.November 2020 jäh gestoppt wurden. Der TV-Sender Al Jazeera konnte den Präsidenten des Parlaments und einen Abgeordneten mit versteckter Kamera dabei überführen, wie er sich von einem fiktiven Interessenten mit fiktiver krimineller Vita kaufen ließ. Die beiden traten zurück und ein Untersuchungsausschuss wurde unter dem Druck von Nichtregierungsorganisationen einberufen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Ermittlungen u.a. wegen Korruption aufgenommen. Bereits vorher wurden Fälle bekannt, dass Zypern Staatsbürgerschaften an Kriminelle verkauft hat, gegen die wegen Steuerhinterziehung, Betrugs und Geldwäsche gefahndet wurde oder die bereits vorbestraft waren. So erhielt der Polizeichef von Kambodscha, Neth Savoeun, von Zypern einen Pass. Diesem werden schwerste Menschenrechtsverletzungen einschließlich Mord vorgeworfen. Auch der Öl- und Gasunternehmer Mykola Slotschewskyj, einst Minister unter dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, erhielt 2017 einen zypriotischen Pass. Zu diesem Zeitpunkt hatte ein Gericht in London sein Vermögen in Großbritannien bereits einfrieren lassen: Slotschewskyj soll sein Ministeramt für private Geschäfte missbraucht haben.

Der zypriotische Untersuchungsausschuss stellte nun im Juni 2021 als Zwischenergebnis fest, dass mehreren Tausend Antragstellern der Goldene Pass verliehen wurde – unter Verstoß gegen die ohnehin laxen nationalen Anforderungen über den Nachweis der Zuverlässigkeit der Antragsteller und der Herkunft der Gelder. Politiker, Rechtsanwälte, die orthodoxe Kirche und Beamte seien in den Skandal verwickelt, erklärte der Präsident des Untersuchungsausschusses, Myron Nikolatos. Insgesamt hätten 3.609 Menschen illegal die zypriotische Staatsbürgerschaft erhalten. Das seien „etwa 53 Prozent der insgesamt geprüften 6.779 Fälle“. Die Entziehung der Staatsangehörigkeit in diesen Fällen steht jedoch bisher nicht auf der Agenda der Regierung. Ebenso wenig wurden bereits anhängige Verfahren mit dem Auslaufen des Programms am 1. 11.2020 gestoppt. Das Investitionsprogramm soll vielmehr bald wieder aufgelegt werden; „in verbesserter Form“.

Goldene Pässe in Malta

Das Investitionsprogramm in Malta ist kein Deut transparenter oder EU-freundlicher als in Zypern. Rund 1,4 Milliarden Euro sind dadurch seit 2013 nach Malta geflossen.  Ungefähr 3.500 Menschen soll Malta seit 2014 eingebürgert haben. Die Anforderungen wurden seither mehrfach geändert; die Einbürgerungspraxis im Einzelfall bewegt sich im rechtsfreien Raum.  Malta verlangt grundsätzlich ein Investment in staatliche Fonds von mindestens 1.500.000 Euro oder den Kauf einer Immobilie im Wert von mindestens 350.000 Euro (Haltezeit: fünf Jahre). Es reicht aber auch die Miete einer Immobilie über 5 Jahre aus (bei einem Mietzins von 16.000 Euro im Jahr, also bei 80.000 Euro in fünf Jahren).

Von „Malta Today“ wurde aufgedeckt, dass seit dem 30. November 2020 die Einbürgerungen nicht mehr im Amtsblatt veröffentlicht werden müssen. Die offizielle Begründung: „Sicherheitsgründe“. Zuviel Transparenz über die Begünstigten bei der Passvergabe ist offensichtlich zu viel politischer Sprengstoff für die Regierung und deshalb sicherheitsrelevant.

Eine Untersuchung der „Daphne Caruana Galizia Stiftung“ (Daphne Galizia wurde 2017 von der maltesischen OK ermordet) hat im April 2021 beleuchtet, wie die Praxis der Passvergabe in Malta tatsächlich abläuft. Aus Tausenden geleakter E-Mails an und von der Kanzlei Henley&Partners, die monopolartig die Anträge auf einen Goldenen EU-Pass entgegennimmt und bearbeitet, ergibt sich eine konfuse Verwaltungspraxis. Im Mittelpunkt steht der Versuch von Staat und Antragstellern, die Bedenken der Europäischen Kommission aufgrund des fehlenden Bezugs der Antragsteller zu Malta im Einzelfall mit einer Art Punktesystem zu entkräften. Der Nachweis einer spezifischen Verbindung der Antragsteller zu Malta konnte dadurch erbracht werden, dass Spenden an lokale Vereine flossen. Die Eröffnung eines Kontos, die Mitgliedschaft in einem Verein oder einem Fitnessclub war ebenfalls wie das Abonnement einer maltesischen Zeitung, eines Vertrags über einen Mietwagen oder einer Yacht von Vorteil. Beim Nachweis eines tatsächlichen Aufenthalts waren Mietverträge für Apartments in Phantomhäusern oder noch im Bau befindlichen Gebäuden gängig. Kein Antragsteller musste im Durchschnitt länger als 9 Tage im Land bleiben, um den begehrten Pass zu erhalten.

Trotz dieser erdrückenden Belege akzeptiert Malta – ebenso wenig wie Zypern – die Rechtsposition der EU-Kommission: „Es gibt keine Rechtsgrundlage für das Vertragsverletzungsverfahren der EU. Malta entscheidet, wer ein Bürger Maltas wird“, erklärte Alex Muscat, der als Parlamentarischer Staatssekretär für die Einbürgerung in Malta zuständig ist.

Es ist keineswegs sicher, dass die beiden Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission die beiden Staaten im Ergebnis zu einer Änderung ihrer Verwaltungspraxis anhalten können. Das ist weniger rechtlichen als politischen Gründen geschuldet. 17 weitere EU-Länder haben in dieser Frage keine saubere Weste. Sie vergeben zwar keine EU-Pässe, sondern „nur“ langfristige Aufenthaltsberechtigungen, die aber, was die Freizügigkeit in der EU und im Schengen-Raum anbelangt, für die Antragsteller ähnliche Vorteile bieten. Griechenland will gegenwärtig sein Programm sogar erweitern. Wer mindestens 400.000 Euro in griechische Aktien oder Staatsanleihen investiert, kann derzeit das „Goldene Visum“ bekommen.   Portugal vergibt Aufenthaltsgenehmigungen für Investoren, die mindestens 250.000 Euro in Portugal investieren. Sie müssen dafür nicht im Land leben, sondern im ersten Jahr sieben Tage dort verbringen und in den zwei Jahren nach dem Erhalt der Aufenthaltsgenehmigung insgesamt vierzehn Tage. Die Investitionen in Immobilien, insbesondere in besonders begehrten Lagen wie Lissabon und Porto haben zu einer völligen Überhitzung des Wohnungsmarkts in den Zentren beigetragen.

Kein großes Interesse der EU-Staaten am Stopp dieser Programme

Seit Ende 2013 wird das Problem der Investitionsprogramme vom Europäischen Parlament angesprochen. In seiner Entschließung vom 16.1. 2014 äußerte das Europäische Parlament seine Besorgnis darüber, dass nationale Programme, die den „direkten oder unverhohlenen Verkauf“ der Unionsbürgerschaft mit sich bringen, die Idee der Unionsbürgerschaft untergraben. Geschehen ist seither wenig. Zwar wurde auf EU-Ebene inzwischen eine Expertengruppe von EU-Kommission und Rat eingerichtet, die seit 2019 gemeinsame Leitlinien der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Bekämpfung von Geldwäsche, Steuerflucht und Korruption sowie in Bezug auf die Abfrage von Sicherheitssystemen entwickelt. Die Mitgliedstaaten sollen durch eine verbesserte Überprüfung des Profils der Antragsteller sowie durch einen verbesserten Informationsaustausch und ein vermehrtes Abfragen von Datenbanken und Rastern Sicherheitsüberprüfungen der Antragsteller intensivieren. Die Expertengruppe hat 2020 kein einziges Mal getagt, obwohl dies trotz Corona online möglich gewesen wäre.  Die finalisierten Leitlinien und deren Umsetzung lassen also auf sich warten. Auch die Bundesregierung drängt im EU-Zusammenhang nicht auf schnelle Ergebnisse.

Die einzige Maßnahme von Belang, die bisher tatsächlich EU-weit ergriffen worden ist, betrifft die geldwäscherechtliche Überprüfung der Herkunft der Gelder und das „Profil“ der Investoren. In der letzten Änderungsrichtlinie zur EU-Geldwäscherichtlinie 2018/843 wurden Investitionen aus den Programmen als Hochrisikofaktor aufgenommen, der einer besonderen Überprüfung der Investitionen und der Herkunft der investierten Gelder bedarf. Ob und wie die betroffenen Länder und die Verpflichteten diese Vorgaben umgesetzt haben, ist jedoch nicht bekannt. Auch die entsprechenden Gremien auf EU-Ebene wie die EBA (Europäische Bankenaufsichtsbehörde) haben sich damit nicht beschäftigt. Grund genug, dass Nichtregierungsorganisationen europaweit Druck gegen diese Programme machen und deren Einstellung fordern.