Mafiöser Umsatzsteuerbetrug

Beschklagnahmte Luxusautos. Bild: Polizei

Viel war in den vergangenen Monaten die Rede von dubiosen Aktiendeals, bei denen es transnational agierenden Netzwerken unter Beteiligung von Banken und Großkanzleien unter dem Rubrum CumEx und CumCum über viele Jahre hinweg gelungen war, sich Kapitalertragsteuern erstatten zu lassen, die zuvor gar nicht gezahlt worden waren. Der dem Fiskus entstandene Schaden beläuft sich allein in Deutschland auf über 20 Mrd. Euro. Eine Polizeioperation Ende Oktober 2021 hat jetzt gezeigt, dass auch ein vom Schadensvolumen kleinerer, aber in der Tatausführung und der kriminellen Energie ähnlicher Steuerbetrug praktiziert wird, und zwar von Clans der italienischen ’ndrangheta.

Auch dabei agieren die Kriminellen über Ländergrenzen hinweg und lassen sich von den Finanzämtern Umsatzsteuer bezahlen, die sie nie entrichtet hatten. Bei der letzten Aktion der Polizei kam es jetzt zu Verhaftungen in Italien, Deutschland und Bulgarien, auch eine ganze Reihe an Luxusautos wurde beschlagnahmt: insgesamt wurden 42 KFZ sichergestellt, in Kösching im Landkreis Eichstätt waren es fünf Autos, darunter auch Sportwagen der Marke Lamborghini. Im Zentrum der Ermittlungen standen mehrere Vertreter der Familien Pelle, die in Deutschland leben.

Seit gut eineinhalb Jahren ermittelte die Ingolstädter Polizei in der Sache unter der Ägide des Münchner Außenbüros der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO). Die Behörde hatte erst zum ersten Juni dieses Jahres die Arbeit aufgenommen. Sie ist allerdings keine übergeordnete europäische Behörde, sondern kann nur in bestimmten Fällen tätig werden. Sie ist nämlich eingerichtet worden, um Straftaten ab meinem Schadensvolummen von 10 Mio. Euro zu verfolgen, die einen finanziellen Nachteil für die Europäische Union zur Folge haben. Bei Umsatzsteuerkarussellen ist das der Fall.

Das bayerische Ermittlungsverfahren führte zu Festnahmen in Bayern im Oktober, unter anderem wurden vier mutmaßliche Mitglieder der ’ndrangheta in Bayern von der Polizei abgeführt. Den Männern wird vorgeworfen, über fingierte Fahrzeugverkäufe zwischen Italien (Mailand) und Deutschland und damit verbundene Erstattungen von Umsatzsteuern, die angeblich bezahlt, in Wahrheit aber nie geflossen war, rund 13 Millionen Euro Gewinn erzielt zu haben. Autohändler in Eichstätt und Mailand organisierten die Deals. Die Gelder wurden dann ins Ausland transferiert.

Zu Hausdurchsuchungen kam es aber auch andernorts in Bayern, etwa in Oberbayern in den Landkreisen Eichstätt (fünf Durchsuchungen) und Ebersberg (vier) sowie in Ingolstadt, Pfaffenhofen an der Ilm, München, in Mittelfranken und in der Oberpfalz. Neben dem EPPO-Büro in München waren das Polizeipräsidium Oberbayern Nord sowie die Steuerfahndung Augsburg beteiligt. Italienische Veröffentlichungen sprechen von Autohäusern in Kösching, Eichstätt, Windsbach und Hohenlinden. Internationale Handelspartner sollen dem Durchsuchungsbeschluss zufolge ihren Sitz in Belgien, Frankreich, Bulgarien, Portugal und natürlich Italien haben.

Steuerbetrug und Drogenhandel

Medienberichten zufolge ergaben sich im Lauf der Ermittlungen zusätzliche Hinweise auf Drogenhandel. Genauere Angaben zu den Verhafteten machen italienische Medien: Sebastiano und Giuseppe Pelle (1991) von der gleichnamigen ’ndrangheta-Familien sollen in Deutschland gelebt haben und zu den Festgenommenen gehören. Sebastiano Pelle werden vor allem Umsatzsteuerbetrug vorgeworfen, Giuseppe Pelle dagegen gilt den italienischen Ermittlern als Lieferant von Haschisch für den Clan Barbaro-Papalia.

Die Familie Pelle erlangte in Deutschland traurige Bekanntheit aufgrund ihrer Beteiligung an der Faida von San Luca, einer Auseinandersetzung zwischen zwei verfeindeten Gruppen: auf der einen Seite die Familien Pelle-Vottari, auf der anderen Seite die Familien Nirta-Strangio. In Duisburg kam es im August 2007 zu einem Anschlag der Nirta-Strangio auf die Pelle-Vottari. Nach der Feier der Aufnahme eines jungen Mafioso in die Familie Pelle-Vottari im Restaurant Da Bruno in Duisburg in der Nähe des Hauptbahnhofs warteten vor dem Lokal Vertreter der gegnerischen Gruppierung und erschossen die sechs Teilnehmer des Mafia-Rituals.

Für die ’ndrangheta war das ein Wendepunkt, was ihre Auslands-Aktivitäten anging. Sie schuf Vorkehrungen, um künftig solch blutige Auseinandersetzungen im Ausland zu verhindern. So regelt ein Gremium mit Vertretern der wichtigsten Familien in Deutschland Streitigkeiten. Gewalttaten wie sie in Italien häufiger stattfinden, sollen im Ausland nicht passieren, um nicht das Interesse der Sicherheitsbehörden auf sich zu ziehen und weiterhin unauffällig Geschäfte tätigen zu können.

Mehrere Ermittlungsverfahren zeigen, dass die Italienische Organisierte Kriminalität Umsatzsteuerbetrug praktiziert. Erst im Januar 2020 dokumentierte ein Verfahren in Mailand einen Fall von Betrug im Telekommunikationssektor mit Voice over IP-Einheiten. Beteiligt war hier neben anderen der ’ndrangheta-Clan Bruzzaniti.

Bayern auch in einem weiteren Verfahren im Fokus

Ein weiteres Ermittlungsverfahren in Italien, in Reggio Emilia, verweist ebenfalls auf Bayern, nämlich auf Augsburg. Im Zentrum des 2018 mit Verhaftungen abgeschlossenen Verfahrens mit dem Titel Billions stand die Familie Innocenti, der Vorwurf lautete hier Falschrechnungen in Höhe von mehreren Millionen. Die Organisatoren hatten ein komplexes Netzwerk von Firmen mit Strohleuten aufgebaut, Ziel war hier aber nicht nur Steuerbetrug, sondern unter anderem auch Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Auffällig ist, dass die ’ndrangheta mehr und mehr in der Lage ist, grenzüberschreitend zu agieren und Profite über Kontinente hinweg zu verschieben.

Umsatzsteuerbetrug im Gastronomiebereich ist ein wiederkehrendes Phänomen. 2019 mussten sich zwei aus Hongkong stammende Deutsche vor dem Landgericht in Osnabrück verantworten, weil sie manipulierte Kassensysteme an Asia-Restaurants verkauft haben. Die Gastronomen konnten Umsätze aus dem elektronischen Kassenbuch löschen, ohne dass das Finanzamt etwas davon mitbekam. Steuerfahnder gingen aber Probeessen in dem Betrieb und stellten fest, dass ihre Bestellungen später nicht auftauchten. Insgesamt 2600 solcher Kassensysteme sollen die zwei Männer vertrieben haben.

Im Jahr 2021 flog ein ähnlicher Anbieter aus Italien auf, der 300 Gastwirten seine Kassenlösung verkauft haben soll. Auch hier „verschwanden“ wie von Zauberhand getätigte Umsätze, so dass die Betriebe weniger versteuern mussten. Europol hatte die Aktion koordiniert. Es gab 93 Hausdurchsuchungen, gegen 23 Personen wird ermittelt.