Warum gibt es mafianeindanke?

Ist die italienische Mafia in Deutschland überhaupt ein Problem? Ist die sog. Clankriminalität nicht viel wichtiger? Italienische Experten sind sich einig: Die italienischen Mafia-Organisationen fühlen sich in Deutschland wie zuhause, und das seit Jahrzehnten. Der italienische Antimafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri, einer der größten Kenner der ‘ndrangheta, sagte 2023, dass Deutschland das zweitwichtigste Land nach Italien für die ‘ndrangheta sei. 2010 sagte Oberstaatsanwalt Roberto Scarpinato der Süddeutschen Zeitung: „Wäre ich Mafioso, würde ich in Deutschland investieren.“ Und der sizilianische Staatsanwalt Rosatino Livatino sagte schon vor Jahrzehnten: „Wer die neue Mafia verstehen wolle, muss nach Deutschland.“

Im Vergleich zu den aufsehenerregenden Coups der sog. Clankriminalität kommen die italienischen Mafia-Organisationen eher unauffällig daher. Sie erregen kein Aufsehen, sie schießen nicht (oder nur selten) auf offener Straße, sie fallen nicht mit protzigen Autos im Viertel auf. Sie agieren im Verborgenen. Die Strategie der Unauffälligkeit bewährt sich. Während die sog. Clankriminellen oder die sog. Mocro-Mafia immer wieder in den Medien und in der Politik diskutiert werden und die Scheinwerfer auf sie gerichtet sind, kann die italienische Mafia ungestört ihrem Business nachgehen. Verschiedenen Schätzungen zufolge macht die kalabrische ‘ndrangheta dabei einen weltweiten Jahresumsatz in zwei- bis dreistelliger Milliardenhöhe. Diese unfassbaren finanziellen Ressourcen machen sie zusammen mit strategisch gepflegten Verbindungen in Politik, Justiz und Wirtschaft zu einer Gefahr für den Rechtsstaat und die Demokratie.

Verschiedene Polizeioperationen, Kleine Anfragen in Bundestag und Landtagen und ein Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag zeigen: Wer sucht, der findet. Die italienischen Mafia-Organisationen sind eine ernstzunehmende Bedrohung für die Innere Sicherheit in Deutschland. Wir müssen sie kennen, analysieren und verstehen, um sie zu erkennen und präventiv gegen diese Gefahr vorzugehen. Die Zeit drängt: Der ehemalige Generalsekretär von Interpol, Jürgen Stock, mahnte im Oktober 2024, Europa drohe den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität zu verlieren und wies darauf hin, dass die Organisationen sogar das Potenzial hätten, Industrieländer zu destabilisieren. Deshalb fördert der gemeinnützige Verein Mafianeindanke das Wissen über Mafia und Co. auf breiter Ebene und sensibilisiert die Bürger:innen im Deutschland. Die folgenden fünf Kernbotschaften schaffen ein Grundverständnis für das System Mafia.

1. Die Mafia ist ein System der Ungerechtigkeit.

Bei ihr gilt das Gesetz des Stärkeren, alles wird dem Profit- und Machtstreben untergeordnet. Die Menschenwürde hat keinen Wert – Menschen werden ausgenutzt, eingeschüchtert, bedroht, beraubt, benutzt und weggeworfen, verleumdet, umgebracht. Es gibt keinen „Ehrenkodex“ in der Mafia. Unter ihren Opfern sind viele Unschuldige, auch Kinder. Personen in besonders verletzlichen Situationen, wie z.B. illegal Eingewanderte, werden gezielt ausgenutzt. Mögen Mafiosi in Deutschland auch aus strategischen Gründen gesetzestreu erscheinen und unauffällig agieren, sind sie doch ein integraler Teil einer brutalen kriminellen Organisation. Sie haben durch die Jahre nur gelernt, sich in der legalen Welt besser zu tarnen. Ihre Bindung an dieses Unrechtssystem, das unsere Gesellschaft und Demokratie durch Korruption und Ausbeutung bedroht, ist deswegen nicht geringer.

2. Mafia geht uns alle an.

Mafia bedeutet: Korruption, Umweltverschmutzung, Steuerhinterziehung. Von ungleichen Jobchancen und weniger gesunder Konkurrenz zwischen verschiedenen Anbieter:innen sind wir alle betroffen. Schwermüll, der unbehandelt im Boden vergraben wird, verpestet unser aller Wasser und Gemüse. Wenn dem Staat Steuern entgehen, bedeutet das für uns alle weniger Schulen, veraltete öffentliche Transportmittel oder Kürzungen bei der Gesundheitsversorgung. Geldwäsche über den An- und Verkauf von Immobilien erhöht die Immobilienpreise und verteuert die Mieten.

Die italienische Mafia verfolgt in Deutschland gezielt eine Strategie der Unsichtbarkeit, damit sie ungestört ihren Geschäften nachgehen kann. Duisburg hat die ‘ndrangheta gelehrt, in Deutschland unter dem Radar zu agieren. Gleichzeitig hat Duisburg den Deutschen gezeigt, dass die Mafia bei uns schon längst angekommen ist.

Die italienische Mafia agiert nicht allein, sondern ist weltweit mit anderen kriminellen Organisationen, z.B. lateinamerikanischen Drogenkartellen, vernetzt. Die Mafia-Organisationen bauen auf einem patriarchalen Gewaltsystem auf, beuten Menschen sowohl im globalen Süden als auch in Deutschland aus und zerstören dabei die Umwelt, beispielweise durch illegale Giftmüllentsorgung auf landwirtschaftlichen Flächen. Um diesem globalen Problem ganzheitlich entgegenzuwirken, muss Antimafia ein Teil der Antwort auf die Soziale Frage sein.

3. Nur weil die Mafia aus Italien kommt, sind wir in Deutschland nicht „immun“ gegen sie.

Die italienische organisierte Kriminalität zieht ihre Stärke aus der Kontrolle eines Territoriums und arbeitet gezielt darauf hin. Dabei folgt sie einem stufenweisen Verfahren; die Tatsache, dass in Deutschland noch keine derart weitreichende territoriale Dominanz wie in Kalabrien oder auch in Teilen Norditaliens zu beobachten ist, ist keine Entwarnung. Zur Erlangung dieser Dominanz nutzen die Mafia-Gruppierungen legale und illegale Mittel – egal wo: Drogen finden weltweit Abnehmer:innen, Unternehmer:innen in finanziellen Schwierigkeiten bekommen auch in Deutschland Angebote von Seiten der Organisierten Kriminalität und gelangen so unter mafiösen Einfluss. Ein Territorium ist auch dann unter Kontrolle, wenn beispielsweise ein wirtschaftliches Monopol entsteht (z.B. Müllentsorgung nur durch eine Firma). Für Deutschland gilt im Besonderen, dass Mafiosi keineswegs nur feindliche Übernahmen anstreben. Häufig setzen sie auch auf Kooperationen mit korrupten oder skrupellosen deutschen Unternehmer:innen, um ihr Ziel zu erreichen, mit dem Resultat einer langfristigen Gefährdung der freien und demokratischen Wirtschaftsordnung.

4. Auch Mafiosi, die in der legalen Wirtschaft unterwegs sind, gehören zu und unterstützen eine brutale Organisation.

Die Unterwanderung der legalen Wirtschaft ist keine neue Entwicklung, die Mafia war schon immer unternehmerisch – die sizilianische Mafia beispielsweise begann im 19. Jahrhundert mit der Ausnutzung von Landarbeiter:innen aus Profitgründen (zum Artikel „Geschichte der Mafia“). Professor Nando dalla Chiesa sagt als Ergebnis seiner Recherche über die ’ndrangheta in Norditalien: zuerst kommen die Moneten, dann die Methoden. Das sollte uns Mahnung sein. Was die Mafias heute so gefährlich macht, sind die immensen Gewinne aus Drogenhandel, weiteren illegalen Aktivitäten und inzwischen auch legalen Geschäften, die den Mafia-Organisationen völlig neue Möglichkeiten eröffnen. Wenn legal arbeitende Unternehmen von Unternehmen verdrängt werden, die auf Mafiagelder zum Beispiel aus Drogenhandel zurückgreifen können, wird der Wettbewerb verzerrt, am Ende hat der oder die Ehrliche das Nachsehen.

5. Wehret den Anfängen.

Die Aktivitäten der Mafia in Deutschland, die wir mitbekommen, sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Mafia ist eine komplexe Organisation und agiert bewusst unauffällig, deswegen müssen wir wachsam sein und aktiv hinschauen, um die Spuren der Mafia zu erkennen. Deshalb benötigen wir auch mehr engagierte, fähige und motivierte Ermittler:innen sowie entsprechende Strukturen, um Mafia-Gruppierungen und ihr Vermögen aufzuspüren und Gegenwehr zu leisten.

Doch die Bekämpfung von Mafia-Organisationen ist nicht allein Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden. Die wahre Macht der Mafia liegt außerhalb der Mafia selbst, in der sogenannten Grauzone: In einem weitreichenden Netz an stillen Beobachter:innen, die nichts von dem erzählen, was sie sehen. Unternehmer:innen, die schweigend Schutzgeld zahlen oder Geschäfte mit Mafiosi machen. Beamt:innen und Bankangestellte, die lieber die Augen schließen, Verantwortung ablehnen und ihre Werte unter den Teppich kehren. Bei Mafiosi essen gehen oder romantischen und irrigen Vorstellungen über Mafia-Organisationen anhängen. Politiker:innen, die das Problem verharmlosen oder ignorieren. Die Verteidigung unserer freien und demokratischen Gesellschaft fängt bei uns selbst an.