Blind für die italienische Mafia in Berlin

Polizeihubschrauber Polizei Berlin Ec135 T2

Dankenswerterweise stellt der Angeordnete Tom Schreiber regelmäßig Anfragen an den Berliner Senat zum Thema Organisierte Kriminalität. Diesen Anfragen verdanken auch wir einen vertieften Einblick in die Machenschaften der verschiedenen Gruppen in Berlin. In seiner letzten Anfrage ging es um die Aktivitäten der Italienischen Organisierten Kriminalität, also der verschiedenen Mafia-Organisationen, aber auch um unseren Verein mafianeindanke. Der Berliner Tagesspiegel hat diese Anfrage jetzt aufgenommen.
Die vom Innensenat gegebenen Antworten lassen uns – vorsichtig formuliert – überrascht zurück.

Im Folgenden möchten wir dazu Stellung nehmen.

In der Antwort des Innensenats heißt es:
„Im Jahr 2007 wurde eine Sicherheitsvereinbarung zwischen der Polizei Berlin und der Initiative mafianeindanke unterzeichnet und dauert an. Aus der Vereinbarung sind bis heute weder belastbare Strukturerkenntnisse zur IOK in Berlin noch strukturrelevante Ermittlungsverfahren erwachsen.“

Die erwähnte Sicherheitsvereinbarung sieht vor, dass Gastwirten Schutzzusagen gegeben werden und sie sich gleichzeitig verpflichten, umfangreich Angaben zu Schutzgelderpressung zu machen. Sie war ursächlich dafür, dass es gelungen ist, eine Schutzgelderpressung im Jahr 2007 zu unterbinden. Diesen Erfolg verschweigt die Antwort. Dank der engen Kooperation zwischen der Berliner Polizei und mafianeindanke wurden im Dezember 2007 zwei Schutzgelderpresser verhaftet.

Vorausgegangen waren massive Drohungen seitens dieser Männer, zweier Mitglieder der neapolitanischen Camorra, gegen Gastwirte, die sich weigerten, der Geldforderung nachzukommen. Ein Sondereinsatzkommando verhaftete die Mafiosi schließlich.
Diese Aktion entfaltete eine erhebliche Signalwirkung, die weit über Berlin hinausreichte und selbstverständlich auch nach Italien reichte. Wenn also kaum Schutzgelderpressungen in Berlin zur Anzeige kommen, so mag das auch mafianeindanke zu verdanken sein.

Doch 2007 liegt weit zurück.

Polizeioperationen in anderen Bundesländern, vor allem die Operation Stige, haben inzwischen gezeigt, dass die Mafia von dieser Form der Schutzgelderpressung zusehends abrückt und stattdessen auf den aufgezwungenen Kauf von Lebensmitteln aller Art setzt. Die Clans bieten Olivenöl, Wein, Fertigteige etc. an. Sie verdienen so an der Produktion, aber auch am Handel. Häufig genügt ein Anruf der Bosse aus Kalabrien bei Gastronomen, die die häufig auch minderwertigen oder überteuerten Produkte nicht kaufen wollen, damit diese ihre Haltung ändern. Diese Form der Schutzgelderpressung ist rechtlich nur als Nötigung zu werten, was einen deutlich geringeren Strafrahmen mit sich bringt und zudem das Entdeckungsrisiko minimiert. Inwiefern es in Berlin zu solchen Akten gekommen ist, ist schwer zu sagen. mafianeindanke hat jedenfalls keine Kenntnis davon erlangt.

Berlin hat eine andere Einwanderungsgeschichte als die klassischen Gastarbeitergebiete in Deutschland mit ihrem starken Zuzug von Süditalienern. Dies hat entscheidende Auswirkung auf die Form der Mafiapräsenzen hier vor Ort. Die Strukturen sind weniger homogen. Während in Süddeutschland oftmals Personen nur aus einer eng begrenzten Gegend zuzogen und manche somit auch ihre Mafia-Verbindungen mitgebracht haben, ist die Lage in Berlin heterogener und somit auch schwieriger nachzuvollziehen. Strukturermittlungen gestalten sich auch wegen dieses Umstandes schwieriger, so man sie überhaupt, vor allem in Zeiten von ressourcengesteuerten Ermittlungen, in Angriff nimmt.

Die Erfahrung zeigt, dass gegen die stets unauffällig agierende italienische organisierte Kriminalität, vor allem die ’ndrangheta, Ermittlungserfolge, vor allem in Bezug auf Strukturermittlungen, nur dort erzielt werden, wo entweder vonseiten italienischer Antimafia-Staatsanwaltschaften Kooperationen angefordert werden oder einzelne engagierte deutsche Polizeibeamte involviert sind, die für das Thema sensibilisiert sind und dazu noch von ihren Vorgesetzten in ihrem Tun unterstützt werden. Und auch nur in einem solchen Setting kann zivilgesellschaftliches Engagement in Bezug auf polizeiliche Maßnahmen Früchte tragen. Wie hinlänglich bekannt ist, gibt es in Berlin keinen einzigen Polizisten und keine einzige Polizistin, die sich ausschließlich um die Italienische Organisierte Kriminalität kümmert. Dies soll keine Kritik an der entsprechenden Kolleg*in sein, wohl aber an den Verhältnissen. Die Kritik, dass aus der Kooperation zwischen mafianeindanke und dem LKA keine Strukturermittlungen entstanden sind, fällt letztlich auf die Polizeibehörde selbst zurück.

mafianeindanke verfolgte von Anfang an einen kooperativen Ansatz und tut es noch heute. Wir verstehen uns als konstruktive Kritikerinnen, ausgehend von den Erfahrungen aus Italien, die wir aufgrund unserer interkulturellen Kompetenz übermitteln können. Auch dort, vor allem in Norditalien, wurde die Präsenz der süditalienischen Mafia-Gruppen lange dramatisch fehleingeschätzt, mit drastischen Konsequenzen. So ist heute die Zahl der Gemeinderäte, die wegen Mafia-Infiltrationen aufgelöst werden, im Norden deutlich höher als in den Stammgebieten der Clans im Süden. Ganze Wirtschaftszweige sind kontaminiert und kaum mehr zu bereinigen. Der Soziologe Nando dalla Chiesa, einer der renommiertesten Experten zur Italienischen Organisierten Kriminalität, fasst die Aktivitäten der Mafiosi prägnant zusammen: „Erst kommt ihr Geld, dann folgen ihre Methoden.“ Diese Situation will mafianeindanke in Deutschland vermeiden, sehen wir hier doch strukturelle Gleichheiten zu der Situation in Italien vor zwei, drei Jahrzehnten. mafianeindanke ist gern bereit, seine Kompetenzen in einem Austausch mit den Sicherheitsbehörden zur Verfügung zu stellen.

Zu glauben, dass die italienische Mafia in Berlin nicht aktiv ist, ist blauäugig. Vielmehr sollte man hinterfragen, ob es angemessen ist, kein Personal bereitzustellen, das gegen eine der global bedeutendsten kriminellen Organisationen vorgehen kann. Die Berufung auf die polizeiliche Kriminalstatistik wird zum Zirkelschluss, wenn es keine Ermittler gibt, die Ermittlungen führen können. Dann landen eben auch keine Fälle in der Statistik. Ansatzpunkte für Ermittlungen gäbe es.

Die vorliegende Antwort legt nahe, dass mafianeindanke und die Staatsanwaltschaft im Austausch stehen. Dem ist jedoch nicht so. Es gibt vereinzelt Kontakte zu einzelnen Vertreterinnen der Staatsanwaltschaft, sei es, dass sie bei Veranstaltungen von mafianeindanke auf dem Podium Platz nehmen oder an wissenschaftlichen Studien teilnehmen. Dafür sind wir den entsprechenden Personen sehr dankbar. Eine Wissensweitergabe vonseiten mafianeindankes an Ermittlungsbehörden wurde aber nie angefragt und fand daher auch nie statt. Dies ist insofern bedauerlich, wie mafianeindanke immer wieder Informationen zu Mafia-Aktivitäten erhält.

So unterhielt zum Beispiel das Drogenhandelsnetzwerk, das sich derzeit noch in Konstanz vor Gericht verantworten muss und dem eindeutige Mafia-Bezüge nachgewiesen worden sind, eine Lokalität in Berlin-Mitte. Auch im Rahmen der Operation Pollino kam es zu Durchsuchungen eines Unternehmens in Berlin. Zudem erhalten wir immer wieder Schilderungen von Beobachtungen zu Aktivitäten der Organisierten Kriminalität – nicht alle sind werthaltig, viele aber schon. In Besprechungen mit Vertretern des LKA Berlin wurde uns nahegelegt, uns um Kriminalität bei Flüchtlingen zu kümmern. Wertschätzung für unsere Mafia-Kompetenz ist das nicht.

Das Wissen über die IOK dürfte im LKA aber zumindest in einer veralteten Form sehr wohl noch vorhanden sein. Nach unseren Informationen wurde im Jahr 2005 ein umfassender polizeiinterner Bericht erstellt über die Aktivitäten italienischer organisierter krimineller Gruppen in Berlin. Dieser Bericht ging dem Innensenat zu wie auch der Polizeiführung und er wurde mindestens bis ins Jahr 2012 jährlich fortgeschrieben. Warum dessen Existenz heute im Innensenat nicht bekannt ist, entzieht sich naturgemäß unserer Kenntnis. Aus unserer Sicht ist dieser Teil der Antwort ein weiterer Beleg dafür, dass eine umfassende Sicht auf Organisierte Kriminalität nicht vorhanden ist, sondern jeweils Teilaspekte des Problems in den Fokus genommen werden. Wir als mafianeindanke setzen uns für eine breite und vielfältige Strategie im Kampf gegen Organisierte Kriminalität jeder Art ein. Dazu gehört neben dem Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden eine Optimierung von Gesetze und nachgeordneten Durchführungsverordnungen, aber auch die Informierung und Sensibilisierung weiter Teile der Gesamtgesellschaft in ihren unterschiedlichen Ausprägungen sowie die Entwicklung neuartiger Ansätze.

mafianeindanke erarbeitet deshalb derzeit in enger Kooperation mit dem Bezirksamt Neukölln Vorschläge, wie die Loslösung von kriminellen Umgebungen gelingen kann. Dazu wurden unter anderem zahlreiche Gespräche mit involvierten Institutionen geführt. Leider kam es auch im Rahmen der von uns initiierten Arbeiten zu Loslösungsprogrammen für Angehörige und Betroffene von kriminellen Clan-Strukturen noch zu keinem Kontakt mit der Staatsanwaltschaft.

In der Antwort heißt es ferner:
Die IOK hat gemäß der in den vergangenen Jahren registrierten Straftaten und allgemeinpolizeilichen Erkenntnisse kaum Bedeutung in Berlin. Daher erfolgen bei der Polizei Berlin zur IOK weder eine Schwerpunktsetzung innerhalb der Kriminalitätsbekämpfung noch wurden hinsichtlich der IOK konkrete Maßnahmen eingebracht bzw. umgesetzt.

Diese Aussage ist insofern nicht überraschend, wie sich genau 0,0 Polizist*innen explizit um die italienische Organisierte Kriminalität kümmern. Wo man nicht hinschaut, da findet man auch nichts. Dabei sprechen Kronzeugen in Italien etwa von einem locale in Berlin, also einer Gruppierung der ’ndrangheta, und auch uns erreichten Hinweise auf die Existenz eines solchen. Um ein locale zu gründen, sind qua Reglement 50 Personen vonnöten, die Mitglied des entsprechenden ’ndrangheta-Clans sind. Dies bedeutet nicht, dass alle Mitglieder kriminelle Aktivitäten verfolgen, aber es bedeutet, dass sie die kriminellen Aktivitäten ihrer Kumpane unterstützen. Und es bedeutet vor allem, dass Berlin kein weißer Fleck auf der Landkarte ist.

Die ’ndrangheta hat aus dem Sechsfach-Mord in Duisburg 2007 gelernt und geht sehr rational vor. In Berlin wird sie also unauffällig agieren und die spezifischen Möglichkeiten der Stadt nutzen, was bedeutet, dass ihre Aktivitäten vor allem im Bereich Geldwäsche, Investitionen in die Legalwirtschaft, im Immobilienbereich und natürlich auch im abgeschotteten Drogen- und Waffenhandel liegen dürften. Eine zivilgesellschaftliche Organisation, die ehrenamtlich und ohne institutionelle Förderung agieren (muss) und deren Aktivitäten nicht von entsprechendem polizeilichen Vorgehen flankiert sind, wird hier nur schwer Einblick bekommen können. Dieser Aufgabe müssen die Sicherheitskräfte nachkommen.

In Berlin wie in Gesamtdeutschland fehlt es an Strategien im Vorgehen gegen Organisierte Kriminalität. Es werden meist die Erscheinungen bekämpft, die gerade am dringlichsten erscheinen. So beobachten wir dementsprechend Wellen, die sich aktuell gegen die Clan-Kriminalität richten wie zuvor schon gegen die vietnamesische Mafia oder Rocker. Dies ist verständlich, wichtig und dennoch falsch. Denn Ziel einer nachhaltigen Sicherheitspolitik sollte nicht sein, Strukturen der Organisierten Kriminalität dazu zu bringen, unauffällig zu agieren, sondern sie zu zerstören. Und dazu braucht es ein konstantes und konsequentes Vorgehen in der Breite. Organisierte Kriminalität muss im staatlichen Handeln allgemein häufiger mitgedacht werden. Mahnenden Stimmen wie etwa auch der von Tom Schreiber muss mehr Gehör geschenkt werden.

Wir beobachten jedoch, dass die Organisationen immer mehr interagieren. Russische und Italienische Organisierte Kriminalität arbeiten projektbezogen zusammen, Clan-Familien orientieren sich an Mafia-Familien, albanische Strukturen übernehmen Aufgaben von und für die italienische ’ndrangheta etc.. Diese Interoperabilität macht die vorhandenen Strukturen gefährlicher als in der Vergangenheit. Drastische kriminelle Akte bis hin zu Morden in aller Öffentlichkeit durch manche Gruppen sprechen eine deutliche Sprache. Berücksichtigt man dann noch, dass es zwischen Organisierter Kriminalität und terroristischen Umfeldern ebenfalls Kontakte gibt, wird das Gefahrenpotenzial offensichtlich. So gab es auch Kontakte zwischen Anis Amri und einer bekannten Großfamilie und es ist sehr naheliegend, dass diese Großfamilie die Drogen lieferte, mit denen der spätere Attentäter nachgewiesenermaßen handelte. Dass der Polizist, der die entsprechenden Ermittlungen leitete, privaten Kontakt mit einem Mitglied dieser Großfamilie unterhielt, der just Betreiber einer Bar war, die von Amri aufgesucht wurde und in der Drogen gelagert wurden, zeigt die extremen Risiken, die Gruppen der Organisierten Kriminalität mit sich bringen, wenn man nicht entschieden gegen sie vorgeht.

Angesichts der offensichtlich gewordenen Nichtfunktionalität der entwurzelten Financial Intelligence Unit, die jetzt beim Zoll angesiedelt ist und nicht in den Stand gesetzt worden ist, Geldwäsche effizient zu bekämpfen, zeichnet sich ein sehr düsteres Bild.

Auch deshalb ist es wichtig, die Zivilgesellschaft als Akteur im Kampf gegen Organisierte Kriminalität für sich zu gewinnen, sie zu stärken und zu unterstützen und für den Dialog zu gewinnen. mafianeindanke steht seit seiner Gründung dafür. Die vorliegende Antwort auch mit ihren inhaltlich falschen Aussagen ist leider wenig ermunternd.

Gezeichnet
Sandro Mattioli
Vorsitzender mafianeindanke e.V.