Schweizer Parlament verhindert Anpassung des Geldwäschereigesetzes an internationale Standards

Schweizer Fahne

Der Nationalrat, das sogenannte Große Haus des Schweizer Parlaments, hat am 2. März dieses Jahres neue Regelungen gegen Geldwäsche verhindert, die die Schweizer Bundesregierung (Bundesrat) bereits am 1. Juni 2018 vorgeschlagen hatte. Von dieser Abstimmung hat die internationale Medienöffentlichkeit bisher kaum Notiz genommen.

Die Sorgfaltspflichten im Geldwäschereigesetz sollten unter anderem auf Anwälte, Notare und weitere beratende Berufe wie Treuhänder oder Steuerberater ausgeweitet werden. Aktuell sind ausschließlich Banken und Finanzdienstleister Adressaten des Geldwäschereigesetzes. Hierunter fallen ausnahmsweise auch Anwälte, soweit sie in Einzelfällen Finanzdienstleistungen erbringen.

Bezweckt wurde mit dem Vorschlag zur Gesetzesänderung, es solle künftig auch auf reine Beratungstätigkeiten Anwendung finden. Dabei kann es sich etwa um Dienstleistungen zur Gründung, Führung oder Verwaltung von Gesellschaften im Ausland, Trusts oder Briefkastenfirmen in der Schweiz handeln.

Eine solche Erweiterung des Kreises der Pflichtigen im Anti-Geldwäscheregime entspricht dem aktuellen Standard der von den G7-Staaten gegründeten Financial Action Task Force On Money Laundering (FATF), deren Mitglied die Schweiz ist. Das Petitum der FATF wurde in den EU-Staaten bereits durch die 4. EU-Geldwäscherichtlinie vom 5. Juni 2015 umgesetzt. Die „Panama Papers“ waren für die Erweiterung dieser Standards von zentraler Bedeutung. Internationale Recherchenetzwerke hatten darin die Nutzung von Briefkastenfirmen in Offshore-Staaten zu Zwecken wie Geldwäsche und Steuerhinterziehung aufgedeckt und dadurch Ermittlungs- und Aufsichtsbehörden weltweit hellhörig gemacht. Als Mitglied der FATF hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, ihr nationales Recht entsprechend anzupassen.

Der Entscheidung gegen die Gesetzesinitiative fiel im Nationalrat mit 107 zu 89 Stimmen. Gegen ein verschärftes Geldwäschereigesetz stimmten mit Ausnahme einer Handvoll Abweichler die rechten Fraktionen der SVP (Schweizerische Volkspartei), der liberalen FDP und der CVP (Christdemokratischer Volkspartei). Die Befürworter, eine Allianz aus SP (Sozialdemokratische Partei), Grünen und Grünliberalen, konnten sich nicht durchsetzen.

Im nächsten Schritt entscheidet der Ständerat der Kantone (das sog. Kleine Haus des Parlaments) über die Vorlage. Fordert dieser keine Wiederaufnahme der Debatte, wovon gegenwärtig auszugehen ist, ist der Gesetzesentwurf endgültig versenkt.
Das, obwohl die Schweizer Sozialdemokraten und Grünen mehrfach darauf gepocht haben, die Gesetzeslücke in der Schweiz zu schließen. Spätestens seit den Enthüllungen der Panama Papers sei die Dringlichkeit der Sache bekannt. Tatsächlich ergaben die ausgewerteten Dokumente, dass Schweizer Anwälte und andere Berater im großen Stil bei der Gründung von problematischen Sitzgesellschaften (Briefkastenfirmen) in Panama beteiligt waren. Und es konnten mehrere Tausend Sitzgesellschaften ermittelt werden, die über die Vermittlung der Anwaltsfirma Mossack Fonseca in Panama von Schweizer Anwälten und Privatbanken gekauft und eingerichtet wurden. Häufig handelte es sich um verschachtelte Strohfirmen in Offshore-Ländern, die von Scheingeschäftsführern geführt wurden und ihre Anweisungen von Anwälten und Treuhändern aus Finanzzentren wie der Schweiz erhielten. Schweizer Anwälte und Treuhänder sind mithin das logistische Scharnier zwischen Offshore-Staaten und dem Kapitalanlageland Schweiz.

Die im Januar 2020 ebenfalls durch ein internationales Recherchekonsortium aufgedeckten „Luanda Leaks“ zeigen ein Netzwerk auf, das ähnlich funktionierte. Die Tochter des früheren angolesischen Präsidenten dos Santos. Isabel dos Santos, baute ein Geflecht von 400 Firmen in 41 Ländern auf, um sich systematisch öffentliche Gelder in Milliardenhöhe anzueignen. Internationale Banken, Rechtsanwälte und andere Consulting-Firmen haben dabei Schützenhilfe geleistet und beide Augen zugedrückt. Isabel dos Santos und der gesamte Familienclan konnten sich jahrelang auf Kosten des Staates und der Bevölkerung skrupellos bereichern. Schweizer Intermediäre haben dazu beigetragen, dass ein Teil dieser geplünderten Gelder in der Schweiz landete.

Diskurs der Gesetzesinitiative-Gegner: Ein Revival der EU-Debatte

Der Einfluss der Anwälte und beratenden Berufe im Schweizer Parlament ist besonders stark. Hier unterscheidet sich die Schweiz nicht wesentlich vom deutschen parlamentarischen System. Der Block der Gegner der Initiative betonte unter Federführung der Anwaltslobby den erheblichen Mehraufwand bei der Mandatsführung durch die Abklärung des Mandanten und etwaiger wirtschaftlich Berechtigter und warnte vor allem vor der „Aushöhlung des Anwaltsgeheimnisses“ und der anwaltlichen Funktion in der Rechtspflege. Die parlamentarische Mehrheit bediente sich somit des in der europäischen und deutschen Diskussion bereits totgerittenen Arguments, dass durch das Geldwäschereigesetz ein Klima des Misstrauens zwischen Anwalt und Mandant geschürt werde. Es führe letztendlich zu einem «totalitären Staat». Die Mitglieder der SVP-Fraktion in Zug schreckten nicht einmal davor zurück, ihre ablehnende Haltung mit krassen historischen Parallelen zu untermauern. Sie zitierten aus dem Buch des Berliner Historikers Jörg Baberowski «Verbrannte Erde – Stalins Herrschaft der Gewalt“: «Unter Stalin begannen die Mitglieder des Zentralkomitees, andere Parteimitglieder wider besseres Wissens als Verräter zu brandmarken, damit sie selber nicht in Verdacht gerieten.“

Die Sprecherin der SVP im Bundesrat, Barbara Steinemann, war in diesem ideologischen Nebel deutlicher. Sie sprach aus, worum es der Front der Nein-Sager letztendlich geht: Die Schweiz müsse unbedingt die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes erhalten. Genau dort liegt die große Befürchtung. Ohne das mit den Schweizer Banken verbundene Netzwerk der Anwälte und Treuhänder wäre das Schweizer Bankensystem mit seinen weltweit führenden Produktsparten Private Banking und Wealth Management für die Klientel weniger attraktiv. Auch für die Kriminellen in den Reihen der Mandanten und Kunden.

Wie verhält sich die Schweizer Regierung dazu?

Die besondere Pointe der Debatte ist, dass sich die Position des federführenden und in der Abstimmung unterlegenen Finanzministers Ueli Maurer kaum von der Position der Nein-Sager unterscheidet. Er ist führendes Mitglied der SVP und weicht lediglich in taktischen Fragen von der Position seiner Parteigenossen ab. Von Anfang an hat er darauf hingewiesen, dass ein Verzicht auf die Implementierung der FATF-Standards weltweit mit einem Reputationsproblem für den gesamten Finanzplatz Schweiz verbunden wäre. Es läge nicht im Interesse der Schweiz, sich auf eine offene Konfrontation mit internationalen Gremien einzulassen. Die FATF prüft regelmäßig, ob die Gesetze ihrer Mitgliedstaaten ihren Empfehlungen entsprechen. Die nächste Länderprüfung der Schweiz steht 2021 an. Maurers Argumente wurden aktiv von der Schweizer Banken- und Versicherungslobby unterstützt, die sich ebenfalls für eine Annahme der Gesetzesinitiative ausgesprochen hat.

Vergeblich warb der Finanzminister damit, dass die Suppe nicht so warm gegessen wird, wie sie gekocht wird. Entscheidend ist schließlich die tatsächliche Implementierung einer Rechtsnorm und nicht, wie sie in das Schaufenster eines Bundesgesetz- oder Amtsblatts gestellt wird. Er wies darauf hin, dass das Anwaltsgeheimnis auch mit der Gesetzesrevision gewahrt werde. Anwälte seien nur zur Meldung verpflichtet, wenn es das Berufsgeheimnis nicht verletze. Und dieses bietet in der Schweiz grundsätzlich eine feste Burg, um Meldepflichten gar nicht erst entstehen zu lassen.

Ist die deutsche Rechtspraxis der Schweiz einen Schritt voraus?

Es gibt für Deutschland keinen Grund, in dieser Debatte mit dem Finger auf den Sünder Schweiz zu zeigen. Die Bundesregierung hat Ende 2019 das Ziel proklamiert, im Rahmen der Umsetzung der 5. Geldwäscherichtlinie im Umsetzungsgesetz dafür zu sorgen, dass Rechtsanwälte und andere Freie Berufe wie Notare ihre Verdachtsmeldepflichten erfüllen. Bisher bewegten sich diese jährlichen Verdachtsmeldungen der Freie Berufe lediglich im einstelligen Bereich.

Die Ankündigung der Bundesregierung hat jedoch im Ergebnis keinen signifikanten Niederschlag im Geldwäschegesetz und erst recht nicht in der Überwachung der Umsetzung dieses Gesetzes durch die Freien Berufe gefunden. Diese sind – ähnlich wie in der Schweiz – nach wie vor nicht zur Meldung verpflichtet, wenn sich der meldepflichtige Sachverhalt auf Informationen bezieht, die sie im Rahmen der Rechtsberatung oder Prozessvertretung erhalten haben. Die Meldepflicht besteht ausnahmsweise nur dann, wenn der Verpflichtete bereits weiß, dass der Vertragspartner die Rechtsberatung oder Prozessvertretung zum Zweck der Geldwäsche, der Terrorismusfinanzierung oder einer anderen Straftat genutzt hat. Mit dieser Regelung kann die deutsche Anwaltslobby gut leben, wenn sie bei der Verdachtsmeldung in Bezug auf einen Mandanten das sichere Wissen des Anwalts voraussetzt, dass es sich um Geldwäsche handelt. Im Einzelfall ist dies einem Anwalt kaum nachweisbar. Im Ergebnis unterscheidet sich die defizitäre deutsche Rechtspraxis nicht von dem, was der SVP-Finanzminister aus taktischen Gründen in der Schweiz mit seinem Gesetz erreichen wollte.