Mathilde Schwabeneder hat sich durch Aktenstapel gekämpft, hat Gespräche mit Inhaftierten geführt, um herauszufinden, was die Rolle von Frauen in der Mafia heute ist. Ihre Recherchen sind in dem spannenden Buch mit dem Titel „Die Stunde der Patinnen“ nachzulesen. Auf Einladung von mafianeindanke e.V. hat sie es zum Weltfrauentag in Berlin vorgestellt. Wir haben mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.
Frau Schwabeneder, es hat sich viel geändert in der ’ndrangheta, aber Frauen dürfen noch immer nicht formal Mitglied werden. Wie wichtig sind die Frauen dennoch für die Clans?
Sehr wichtig, vor allen Dingen waren sie es immer schon. Wenn man sagt, Frauen hatten früher keine Rolle, dann ist das falsch. Sie haben nicht nur die zukünftigen Mafiosi erzogen, sie waren immer schon Mitwisserinnen, in sehr vielen Fällen im Hintergrund tätig. Das hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren insofern geändert wie die Frauen jetzt sichtbarer sind.
Inzwischen werden auch mehr Frauen verhaftet.
Früher gab es keine Anklagen gegen Frauen, inzwischen werden Frauen auch verurteilt. Sehr oft rücken sie nach, wenn an der Spitze des Clans der Boss abhandenkommt. In den vergangenen zwei Wochen sind in Caserta zwei Frauen verhaftet worden, deren Männer im Gefängnis sind. Sie haben statt ihrer Männer den Clan befehligt, Schutzgeld eingetrieben, den Drogenhandel organisiert. Ohne Frauen würde die Mafia gar nicht bestehen.
Werden solche Frauen von den Männern auch automatisch akzeptiert?
Ich glaube nicht, dass Frauen automatisch anerkannt werden. Die Frauen, die ich kennengelernt habe, zeichnen sich durch ein bestimmtes Persönlichkeitsprofil aus, die müssen Durchschlagskraft haben, eine gewisse Härte zeigen, diese so genannten mafiösen Werte absolut mittragen. Wenn sie vom Bruder eingesetzt werden, wie es oft der Fall ist, dann haben sie auch den Respekt der Clanmitglieder, vielleicht auch der anderen Clans, sonst ist das schwierig.
Und trotzdem finden sich Aussteigerinnen?
Wenn Frauen beschließen auszusteigen, tun sie dies mit größerer Konsequenz als Männer. Wahrscheinlich auch, um die eigenen Kinder, die sie dann oft mitnehmen, zu schützen, in meinen Fällen sehr kleine Kinder. Mir haben Ermittler auch gesagt, dass sie sehr auf weibliche Kronzeuginnen hoffen, dann könne man vielleicht der Mafia Herr werden. In letzter Zeit nehmen die Zahlen der Frauen, die aussteigen, zu, aber auch die Zahlen der Männer.
Wie empfanden Sie eigentlich die Begegnungen mit den Frauen?
Für mich war das wahnsinnig spannend, weil diesen Begegnungen sehr akkurate Studien vorausgingen. Ich habe viel über diese Frauen gelesen, ich habe Abhörprotokolle und Akten gelesen. Man bildet sich also ein Bild von diesen Personen. Wenn man ihnen dann direkt gegenübersitzt, ist das schon verblüffend. Im konkreten Fall: wenn man dann eine junge Frau vor sich hat, die aussieht, wie die Frauen in diesem Alter, die man sonst auch auf der Straße sieht. Würde man die im freien Feld sehen, käme man nie auf die Idee, welche Geschichte diese Frauen haben, was sie schon alles erlebt und oft auch getan haben. Die Gemeinsamkeit der Frauen war ein unglaublich starker Charakter, im Sinne von: Ich ziehe mein Ding durch.
Lange Zeit herrschte das Bild vor, dass die Frauen nur die Aufgabe haben, den Kindern Mafiawerte anzuerziehen. Wie erziehen die Frau ihre Kinder?
Die Frauen erziehen ihre Kinder so, wie sie selbst erzogen wurden sind. Das war für mich, obwohl ich Italien gut kenne, trotzdem eine Überraschung. Denn ich saß plötzlich Frauen gegenüber beziehungsweise beschäftigte mich mit ihnen, die in den 1970er oder 1980er Jahren geboren worden sind. Das sind junge Frauen, die haben aber trotzdem eine Erziehung genossen, die man bei uns mit allem Respekt eher als mittelalterlich bezeichnen würde. Ein Frauenbild, wo die Mädchen behütet, um nicht zu sagen bewacht werden, wo es eigentlich darum geht, die Jungfräulichkeit zu behüten.
Gibt es die arrangierten Ehen noch?
In dem Augenblick, wo irgendein junger Mann am Horizont auftaucht, ist das eine fixe Verbindung. Die Mädchen sind dann 14, 15 Jahre alt und das mündet tatsächlich sehr schnell in eine Ehe. Die Kronzeugin Giusy Pesce zum Beispiel war blutjung. Du sitzt einer jungen Frau Anfang 30 gegenüber und die hat schon eine fast 20-jährige Tochter und zwei andere kleine Kinder. Diese Frauen haben überhaupt keine Möglichkeit, selber sich ein Weltbild zu konstruieren. Und daher besteht die Gefahr, dass sie ihre Kinder genauso erziehen. Man muss aber auch bedenken, dass die Mafien sehr veränderungsfähig sind. Sie passen sich sehr schnell an, wenn neue Geschäftsfelder entstehen. Und das bringt auch mit sich, dass sich in einer gewissen Form das Frauenbild ändert. In einer Zeit, wo wir Internet haben, wo es Smartphones gibt, da kann man Frauen nicht mehr so abschotten wie früher.
Gibt es Beispiele dafür, dass Mafiafrauen via Smartphone und Internet einen Ausweg suchen?
Eine Geschichte, die ich auch in meinem Buch wiedergebe, ist die einer jungen Frau, für die das zum Todesurteil wurde. Sie hat zu dieser Welt einen Ausgang gesucht aus ihrer furchtbaren erdrückenden Realität und hat – platonisch, glaube ich – eine Beziehung zu einem Mann begonnen. Über diese Beziehung, über diesen virtuellen Kontakt hat sie erfahren und begriffen, wie eng und verquer ihre Welt ist. Sie hat dann versucht auszusteigen. Es endete damit, dass ihre eigenen Eltern sie auf brutale Art und Weise ermordet haben. Der Fall ist noch nicht ganz abgeschlossen, aber man hat ihr Salzsäure zu trinken gegeben. Diese Beziehung und dieser Blick nach außen haben auch bewirkt, dass sie als Justizkollaborateurin aussteigen wollte, um ihrem Leben und dem ihrer Kinder eine bessere Zukunft zu geben. Das Internet hat oft viele Auswirkungen. In dem Fall befreit es aber auch Frauen.
Was ist mit diesen Kindern in diesem Fall passiert?
Sie sind in der Familie geblieben.
Es gibt auch ein Modell, Kinder prophylaktisch aus mafiösen Familien zu nehmen, oft auch auf Bitten der Frauen. Haben Frauen mit Ihnen über dieses Modell gesprochen?
Die, mit denen ich sprach, sind selber ausgestiegen. Aber im Fall von Carmela Iucolano war es tatsächlich so, dass ihre Kinder, zwei Mädchen im Alter von zehn und zwölf Jahren, ausschlaggebend waren für diesen Schritt. Den Kindern eine andere Zukunft zu geben ist ein ganz großer Motor. Dass nicht alle den Mut dazu haben, verstehe ich, denn es ist eine absolut radikale Lebensentscheidung, die alles ändert. Du kannst nie mehr zurück, du bist Flüchtling im eigenen Land, du weißt ganz genau, dass du von deiner Familie, deinem Clan, wahrscheinlich ein Leben lang gesucht wirst. Gleichzeitig musst du deine Kinder beschützen und in einem anderen Umfeld großzuziehen. Ich habe auch von einem Fall gelesen, wo sich eine Frau an die Medien gewandt hat, weil der älteste Sohn wieder zurückwollte. Es sind unglaublich schwierige Entscheidungen. Auch wenn diese Frauen sich natürlich Schuld auf die Schultern geladen haben, trotzdem: Hut ab davor, wenn sie es wirklich durchziehen können und vor allem wenn es ihnen gelingt, ihre Kinder so zu erziehen, dass sie fernab dieses Milieus leben können.
Welche Gegenbeispiele gibt es?
Eine Frau aus der älteren Generation ging bewusst ins Gefängnis, obwohl die bedeutete, dass sie ihre Kinder nicht sehen würde. Die jüngeren Frauen sind aber anders, weil ihr Weltbild durch das Fernsehen, durch soziale Medien aufbricht. Sie sind nicht mehr bereit, wie Gefangene im eigenen Haus zu leben. In der Generation der Mütter oder sogar der Großmütter gab es Frauen, die härter waren als die Männer, die sogar in Kauf genommen haben, dass ihr Sohn ermordet wird, nur damit er nicht aussteigt. Da spielen die Mütter eine ganz üble Rolle – nur, damit die Welt der Mafia undurchdringlich bleibt.
Haben Sie diese anderen Frauenbilder überrascht?
Wie schwer es ist, gewisse Bilder zu durchbrechen, war mir am Anfang nicht klar. Das sind so tradierte Vorstellungen, das ist wie eine Gehirnwäsche, die da betrieben wird. Der Ausstieg ist daher denkbar schwierig. Auch bei den jungen Frauen ist das Mutterbild ein ganz wichtiges. In mehreren Fällen habe ich gesehen, dass Mütter ihre eigenen Töchter mit den Enkeln erpressen, damit sie wieder zurückgehen. Das ist etwas vom Allerperversesten, wenn die eigene Mutter dich so im Stich lässt und dich ausliefert, und das, indem sie deine Kinder gegen dich in Geiselhaft nimmt.
Also doch die Kinder wegnehmen? Oder haben Sie andere Ideen?
Man muss den Kindern jedenfalls die Möglichkeit geben, dass sie etwas anderes kennenlernen können. Auch Ganztagesschulen wären eine gute Lösung. Der Glaube und damit die Priester spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Dieser Papst verurteilt ja jede mafiöse Handhabung aufs Schärfste, die Leute sind automatisch exkommuniziert. Es gibt ganz tolle Menschen in der Kirche, die ihr Leben riskieren und gegen die Mafia stehen. Es gibt aber auch immer noch Leute, die sich nicht genügend distanzieren. Das macht es doppelt schwer.
Frau Schwabeneder, vielen Dank für dieses Gespräch.
Das Buch von Mathilde Schwabeneder, „Die Stunde der Patinnen – Frauen an der Spitze der Mafiaclans“, ist bei Styria Premium erschienen, im Buchhandel bestellbar und kostet 24,99 Euro.