mafianeindanke beim Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss

Europa

Am 10.03. 2021 fand eine virtuelle gehaltene Konferenz des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (European Economic and Social Commitee) statt. Die Konferenz beschäftigte sich mit der Frage, welche Effekte die Pandemie auf die Ausbreitung der Organisierten Kriminalität und der Geldwäsche hat. Die Konferenz kann unter diesem Link nachgesehen werden.

Mafianeindanke war mit einer Stellungsnahme unseres Vorsitzenden Sandro Mattioli vertreten, die im Folgenden zu lesen ist.

Guten Tag, meine Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung.

ich melde mich aus einem Land, das die einen als wichtigstes Land für die ’ndrangheta außerhalb Italiens überhaupt bezeichnen und für das andere genau 344 Mitglieder dieser kriminellen Organisation aus Kalabrien zählen, aus einem Land, dessen Regierung in einer Studie die Geldwäsche-Aktivitäten im Land auf eine Höhe von hundert Milliarden Euro pro Jahr schätzt und wo doch die Zentralstelle zur Bekämpfung der Geldwäsche, die Financial Intelligence Unit, ihrer Aufgabe seit Jahren nur unzureichend nachkommt. Obwohl es schon Vertragsverletzungsverfahren und Mahnungen durch die EU-Kommission gab.

Wir reden von Deutschland.

Meine Damen und Herren, mafianeindanke, der Verein, dessen Vorsitzender ich seit mehr als acht Jahren bin, will für die Gefahren der Organisierten Kriminalität in Deutschland sensibilisieren und er tut dies – schon von Anfang an – auch in einem Geiste der Kooperation zwischen Nicht-Regierungsorganisationen mit den Strafverfolgungsbehörden.

Sie können sich vorstellen, dass unsere Aufgabe keine leichte ist: Denn es fehlt in Deutschland an Daten, es fehlt an Forschung, es fehlt an Sensibilität auf breiter Ebene für die Gefahren, und es fehlt an Geld. Und alles bedingt sich irgendwie gegenseitig.

Wir sind der einzige Verein, der sich um diese Form der Kriminalprävention kümmert, wir leisten seit Jahren herausragende Arbeit, wir haben mit dazu beigetragen, dass in Deutschland die Gesetzeslage zu Beschlagnahme und Einzug von Vermögen verbessert wird, dass effektivere Maßnahmen gegen Geldwäsche getroffen worden sind, dass Ausstiegsprogramme für Betroffene von kriminellen Strukturen geschaffen werden, dass die deutsche Regierung sich regelmäßig nach parlamentarischen Anfragen mit dem Thema Mafia auseinandersetzen muss.

Und dennoch, wir bekommen keinerlei institutionelle Förderung und leben von Ehrenamt und Spenden.

Ich habe das etwas ausführlich dargestellt, weil auch diese Schilderung – anhand unseres eigenen Beispiels – ein Schlaglicht auf das Bewusstsein für Organisierte Kriminalität in Deutschland wirft: Sie wird allein als ein Problem der Sicherheitskräfte gesehen. Und folgerichtig auch allein als eine Aufgabe der Sicherheitskräfte.

Beides ist falsch. OK geht uns alle an.

Was ist mafianeindanke:

Wir sind ein Verein, mehr als hundert Mitglieder über ganz Deutschland verteilt, drei Ortsgruppen in Köln, München und Berlin.

Wir sind Mitglied der europaweiten Dachorganisation von Antimafia-Organisationen, CHANCE, Civil Hub against Organized Crime. In diesem Netzwerk sind Gruppen aus Großbritannien, Frankreich, Belgien, Rumänien, Albanien, der Schweiz etc. verknüpft und natürlich Italien. Wir von mafianeindanke glauben, dass der Kampf gegen Mafia und OK von Italien inspiriert sein kann, aber lokal angepasst werden muss. Es gibt keine Standardrezepte, man muss sie vor Ort entwickeln. Nur eines ist sicher: Ohne Zivilgesellschaft macht man gegen OK keinen Stich.

mafianeindanke geht von folgender Perspektive aus:

Wir wissen, dass die IOK in Italien eine sehr blutige Vergangenheit hat, weitreichende Strukturen ausgebildet hat und teilweise mit nichtkriminellen Sphären der Gesellschaft vereint ist. Die Clans haben immense Mengen an Geld angesammelt, erst mit illegalen, dann auch mit legalen Geschäften.

Wir wissen, dass speziell die ’ndrangheta Organisationsmodell und Strategie auch in Kontexte fern der Stammgebiete transplantiert.

Wir wissen, dass andere Formen der komplex organisierten Kriminalität, etwa die Russisch-Eurasische OK, noch viel weniger im Fokus stehen.

Eine ganzheitliche Sicht auf kriminelle Organisationen ist wichtig. Es genügt nicht, ihre kriminellen Aktivitäten allein in den Blick zu nehmen.

Italien hat zahlreiche Instrumente für den Kampf gegen die IOK, die im Ausland hilfreich sein können, aber wenig bekannt sind.

Was können wir tun, ganz konkret?

Ich möchte Ihnen das an einem konkreten Beispiel verdeutlichen. 

Die Warnungen: Covid und OK

Aus Italien ist bekannt, dass die Organisierte Kriminalität gesellschaftliche Krisen, Notlagen, für sich zu nutzen weiß.
Der Antimafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri warnt, dass sich Mafia-Organisationen ins Gesundheitswesen einschleichen.
Der Antimafia-Staatsanwalt Giuseppe Lombardo mahnt, dass die Mafia-Organisationen ein paralleles Bankensystem errichten könnten. Um in Not geratene Unternehmen Liquidität zur Verfügung zu stellen, auch der Schattenwirtschaft.
Zuletzt hat die Direzione Investigative Antimafia, die oberste Mafia-Ermittlungsbehörde in Italien, berichtet, die Organisierte Kriminalität könne verstärkt ins Gesundheitswesen investieren. Sie dekliniert die einzelnen Felder durch, bis hin zur Entsorgung von Klinikmüll.

Und wir in Deutschland? Was können wir tun?

Ich bin den Organisatorinnen und Organisatoren dankbar für das Thema der heutigen Veranstaltung. Denn sie werfen so Licht auf ein drängendes Problem.

Mafianeindanke hat an einer parlamentarischen Anfrage zum Thema Covid und Organisierte Kriminalität mitgearbeitet, um auf die Problematik hinzuweisen.
Das Ergebnis war zu erwarten. Einer der häufigsten Sätze: „Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.“ Dennoch ist es jedes Mal aufs Neue ein Ärgernis.

Wir haben schon im Frühjahr 2020 gewarnt, dass die IOK Notlagen von Unternehmen ausnützen könnte, um Kapital aus krimineller und nichtkrimineller Herkunft zu investieren und liquiditätsgefährdete Unternehmen zu unterstützen.

Wir als zivilgesellschaftliche Organisation haben nicht die Instrumente, die uns Einsicht über öffentliche Quellen hinaus geben, oder einen Hebel, der uns Einflussnahme gibt. Und es ist auch nicht Aufgabe der Zivilgesellschaft, eigene Ermittlungen anzustellen.
Und doch konnten wir feststellen: die ’ndrangheta hilft in Deutschland tatsächlich Unternehmen aus. Gerade vor dem Hintergrund, dass Hilfszahlungen für die Gastronomie schleppend angelaufen sind.
Und wenn sie das in Deutschland tut, tut sie es gewiss auch in anderen Mitgliedsstaaten, wo es womöglich kaum staatliche Hilfen gibt. 

Wir konnten Informationen bestätigen, dass Mitglieder der IOK Kredite anbieten, zu Konditionen von 5 – 10 Prozent über dem marktüblichen Zinssatz. Gerade auch wenn Banken aufgrund der Corona-Krise keine Kredite vergeben wollen. Die Angebote richteten sich vor allem an Unternehmen mit einem italienischen Hintergrund.

Die Gefahr dabei: Wenn die Unternehmen den Kredit nicht mehr begleichen können, geraten sie in Abhängigkeit vom mafiösen Kreditgeber. Dieser bietet als Lösung an, das Unternehmen zu übernehmen. Die Beschäftigten bleiben. Der Name ebenso.
Von außen ist die Veränderung also kaum zu erkennen. Doch der Mafia-Clan bekommt in Zukunft die Profite und kann das Unternehmen auch für Geldwäsche-Aktivitäten nutzen.

Wir veröffentlichen solche Informationen, um Handlungsdruck zu erzeugen. In unserem Newslettter-Verteiler sind auch Vertreter*innen von Sicherheitsbehörden.

In diesem Fall ist es so – und dies ist häufiger so – dass die Informationen den Behörden bekannt sind. Einer der großen Mythen, der sich hartnäckig hält, ist dass man die Mafia in Deutschland nicht kennt. Doch das stimmt nicht. Man kennt gewiss nicht alle Mitglieder. Aber die führenden Köpfe, zumindest des Teils, der in Italien als sichtbare ’ndrangheta bezeichnet wird, die sind bekannt. Man findet ihre Namen in Polizeiakten.

Aus unserer Sicht ist es Aufgabe der Politik, Organisierte Kriminalität sichtbar zu machen, um die Bürger vor ihr zu schützen. Nur was bekannt wird, kann bekämpft werden, dem kann vorgebeugt werden.

Dazu gehört, dass die Fakten belegbare Zugehörigkeit zu einer mafiösen Organisation in Veröffentlichungen benannt werden darf, unabhängig davon, ob ein Ermittlunsgverfahren anhängig ist. In Deutschland ist dies nur möglich, wenn eine Staatsanwaltschaft ermittelt, nur tun Staatsanwaltschaften das eben gerade in diesem Feld oft nicht.
Große Ermittlungsverfahren gegen Organisierte Kriminalität aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion sind selten. Und die großen Polizeiaktionen gegen die ’ndrangheta werden oft von italienischen Ermittlerinnen und Ermittlern vorangetrieben und entspringen nicht deutscher Initiative.

In anderen Ländern ist es nicht anders: Malta hat ein großes Mafia-Problem. Selbst der feige Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia hat nicht dazu geführt, dass mit eiserner Hand gegen die Organisierte Kriminalität im Land vorgegangen wird. In der Slowakei ist der Journalist Jan Kuciak mit seiner Verlobten Martina Kusnirova ermordet worden, dort setzten Bemühungen zur Aufklärung der Kontakte zwischen ’ndrangheta und Politik erst nach der Tat ein. Frankreich tut sich schwer, die Schweiz ebenso.
Wenn wir aber nur OK-Strukturen nur aufdecken, wenn Blut fließt, gehen wir aber den intelligenten kriminellen Organisationen auf den Leim.

Einige der Beispiele zeigen, wie wichtig die Zivilgesellschaft für die Sicherung der Rechtsstaatlichkeit ist: Wo es zu Protesten kommt, sind Verbesserungen die Folge.

Wir wurden gebeten, konkrete Handlungsvorschläge zu nennen.

Normal fallen dann Forderungen nach einer europaweit einheitlichen Definition von Mafia, eine andere Drogenpolitik, Verbesserungsvorschläge bei der Konfiskation von illegalem vermögen und Anti-Geldwäsche etc. Das ist alles richtig. Und es ist wichtig.

Ich möchte aber auf einen sehr komplexen Aspekt eingehen, der leicht ins Hintertreffen gerät, weil er nicht einfach mit Mitteln aus dem Instrumentenkasten der Politik abgehandelt werden kann.

Die Aufgabe lautet: Wir müssen die Zivilgesellschaft ertüchtigen, in einem so relevanten und zugleich schwierigen Feld wie Bekämpfung Organisierter Kriminalität ein Faktor zu sein.

Eine starke Zivilgesellschaft

Wir können hier leider gerade NICHT auf die italienischen Erfahrungen aufbauen. Denn dort basiert die Aktivierung von Bürger*innen ja auf direkten und indirekten, auch kollektiven Erfahrungen mit Organisierter Kriminalität.

Wir müssen die Grundlagen für die Aktivierung erst schaffen.

Die weit verbreitete und irrige Sicht auf Organisierte Kriminalität als victimless crime macht das nicht gerade einfacher. Diese Sicht beschreibt nur die Fassade Organisierter Kriminalität, nicht aber, was dahinter passiert, und genau darum geht es.

Als investigativer Journalist, der auch italienisch spricht, bin ich privilegiert und bekomme Zugang zu Informationen, die anderen verschlossen bleiben. Ich kann hinter diese Fassade blicken. Viele Mitglieder von mafianeindanke verfolgen, was in Italien über ’ndrangheta und Co berichtet wird, auch so kann man hinter die Fassade blicken. Und ich kann ihnen sagen, es motiviert zum Handeln ungemein, wenn sie lesen, wie Kokaindeals von Deutschland aus organisiert werden, die immense Gewinne bringen. Oder wenn sie sehen, in welcher Größenordnung Banken und Finanzinstitute Geldwäsche ermöglichen.

Nur wie können wir diese Motivation erreichen, wenn der Blick hinter die Fassade strukturell behindert wird? Es ist in Deutschland inzwischen beinahe unmöglich, über Kontakte zwischen Mafiosi und Politik im Detail zu berichten. Deutsche Gerichten werten dies trotz der Vorlage harter Fakten als Verleumdung. Außer, der entsprechende Mafioso ist in Italien als solcher verurteilt worden. Bei deutschen Mafiosi ist man also chancenlos. Denn die Zahl der Mafiosi, die in Deutschland als solche verurteilt worden sind, lässt sich an einer Hand abzählen. Der entsprechende Paragraph ist die Bildung einer kriminellen Vereinigung, diente fast nur zum Einleiten von Ermittlungen. Und der Komplexität von Organisationen wie der ’ndrangheta wird er auch nicht gerecht.

Wir haben in Deutschland allerdings eine Gesetzgebung, die, wenn nur genügend politischer Wille da ist, für einige Erfolge der Strafverfolgungsbehörden dienen kann.

Das Vorgehen gegen die so genannte Clan-Kriminalität zeigt dies – mit Clan-Kriminalität meint man in Deutschland ethnisch abgeschottete Familienstrukturen mit Wurzeln im arabischen Raum, ein schwieriger Begriff, weil er eine Gruppe an Menschen mit einem bestimmten Merkmal pauschal herausgreift und Angriffspunkte für Rassismus schafft.

Es wurden immense Ressourcen aufgewendet, diese Form der Organisierten Kriminalität zu bekämpfen. Warum? Weil man es wollte. Weil es politisch gewollt war, im Interesse des mutmaßlichen Wählerwillens. Es brauchte keine neuen Gesetze.

Viel hängt also von der Motivation ab. Sie muss wachsen.

Wie können wir erreichen, dass auch gegen die komplexen kriminellen Organisationen vorgegangen wird, die unauffällig agieren?

Unsere Erfahrung zeigt: konsequentes Agenda-Setting, einhergehend mit einer Vernetzung national wie international bewirkt eine Bewusstseinsveränderung. Das geht sehr langsam, aber der zugrundeliegende Mechanismus funktioniert.

Wie können EU-Institutionen das fördern?

Wir werden sicher in der weiteren Diskussion noch die Gelegenheit zum Austausch haben. Darauf freue ich mich. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.