Konfusion bei der Umsetzung von EU-Sanktionen gegen russische Oligarchen

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In Reaktion auf den völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine hat der Rat der Europäischen Union am 23. Februar 2022 ein umfangreiches Sanktionspaket beschlossen. Dieses wurde inzwischen mehrfach erweitert. Betroffen sind durch Wirtschaftssanktionen der russische Finanzsektor und sonstige Unternehmen. Adressaten der Individualsanktionen sind  mehr als 1000 Individuen und über 80 Organisationen in Russland und im Ausland, die den Krieg gegen die Ukraine nach Ansicht des Rats unterstützen. Die Individualsanktionen betreffen Staatspräsident Putin und Außenminister Lawrow, 351 Abgeordnete der russischen Staatsduma, weitere Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates, Kreml-Sprecher Peskow, Vertreter des Militärs, aber auch über 40 Oligarchen, wovon viele die Stahlindustrie in Russland kontrollieren bzw. den russischen Staat mit Militärgütern und Technologie versorgen.

Personen, die auf der EU-Sanktionsliste gelistet sind, dürfen nicht mehr in EU-Länder einreisen. Außerdem werden Vermögenswerte der sanktionierten Personen wie Immobilien, Jachten oder Kapitalanlagen sowie ihre Konten in der EU einer Verfügungsbeschränkung unterworfen. Das damit verfolgte Ziel soll es sein, nicht nur die Wirtschaft, sondern neben der politischen auch die wirtschaftliche Nomenklatura, soweit sie mit dem System Putin verflochten ist und den Krieg (wirtschaftlich) unterstützt, zu sanktionieren. Die EU-Staaten gehen dabei von der Annahme aus, dass die gelisteten Oligarchen mit ihren wirtschaftlichen Ressourcen fähig und willens sind, die russische Kriegsmaschinerie zu finanzieren. Der seit den 1990er Jahren aufgehäufte wirtschaftliche Reichtum dieser Oligarchen beruht auf ihren politischen Vernetzungen und auf intransparenten Auktionsverfahren von Industriebeteiligungen bei der Privatisierung von Staatsvermögen. Illegal war diese „Privatisierung nach Clanmanier“ in Russland aber grundsätzlich nicht. Diese Akkumulation von privatem Reichtum und wirtschaftlicher Macht durch Plünderung von Staatsvermögen hat damals auch in der Ukraine stattgefunden.  

Soweit die Ziele des Rates. Und die Zahlen sehen auf den ersten Blick beeindruckend aus. Russische Oligarchen hatten im Mai 2022 in der EU keine Verfügungsbefugnis mehr für Luxusjachten, Immobilien und andere Vermögensgegenstände mit einem Volumen von knapp 10 Milliarden Euro. Anfang April betrug dieses Volumen noch 6,7 Milliarden Euro. Hinzu kommen eingefrorene Gelder der russischen Zentralbank bei den Zentralbanken in der EU und sonstigen Kreditinstituten (Offizielle Zahlen werden hierzu nicht veröffentlicht. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) schätzte das Volumen vor der Invasion im September 2021 auf 300 MRD Euro, die EU-Kommission auf 20 MRD Euro). Am häufigsten wurden Oligarchengelder in europäische Immobilien investiert. So besitzen etwa Roman Abramowitsch und seine Familie allein 46 Immobilien in Frankreich, Österreich und Großbritannien. Zusammen mit ihrem Landbesitz, den Privatflugzeugen und den Firmenanteilen liegt das bisher aufgespürte Vermögen der Familie bei mehr als sieben Milliarden Euro.

Der Zweck der Sanktionen liegt nicht allein darin, wirtschaftlichen Druck zu erzeugen. Ihr Vollzug soll auch der Glaubwürdigkeit zukünftiger Sanktionen dienen und ihre Abschreckungswirkung steigern. Sanktionen eröffnen auch Verhandlungsspielräume. Sie können aufgehoben werden, wenn das sanktionierte Land, im konkreten Fall Russland, einem Waffensillstand oder einem Rückzug aus den okkupierten Gebieten, zustimmt. Anders als die meisten Wirtschaftssanktionen wie der Ausschluss Russlands vom internationalen Zahlungsverkehr oder Embargos bzw. Importverbote für Gas oder Erdöl, die sich für die sanktionierenden Staaten als zweischneidiges Schwert erweisen können bzw. bereits erweisen, sind Sanktionen gegen Oligarchen – so die Hoffnung des Rates – nicht mit zumindest kurzfristig hohen Kosten, Wohlfahrtsverlusten bei der Bevölkerung des sanktionierenden Landes und eben einem offenem Ausgang hinsichtlich der angestrebten Erfolge verbunden.

Defizite bei der Umsetzung der EU-Finanzsanktionen gegen Oligarchen im deutschen Rechtssystem

Deutschland hinkt bei der Umsetzung dieser Sanktionen im Vergleich zu anderen EU-Staaten deutlich hinterher. Ende Mai 2022 wurde Vermögen, das Oligarchen zuzuordnen ist, mit einem Volumen von 143 Millionen Euro eingefroren. Ende Februar waren dies gerade einmal 342 000 Euro. Dafür gibt es Gründe.

Der bestehende Rechtsrahmen der EU-Sanktionsverordnungen wird durch die deutschen Vollzugsregelungen nicht vollständig abgedeckt. Bis zum Inkrafttreten des im Hauruckverfahren verabschiedeten Sanktionsdurchsetzungsgesetz I durch den Bundestag im Mai 2022 gab es in Deutschland nicht einmal die notwendigen gesetzlichen Kompetenzen, Auskünfte von Personen im Rahmen der Ermittlung dieser einzufrierenden Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen zu verlangen und sich hierzu Unterlagen vorlegen zu lassen. Eine Lücke, die bei Finanzsanktionen in Deutschland, etwa bei UNO-Sanktionen im Gefolge des 11.9.2001, seit über 20 Jahren bestand, ohne dass diese von den einzelnen Bundesregierungen geschlossen worden wäre. Es gab bis Mai 2022 auch keine geeignete Rechtsgrundlage, dass von Brüssel sanktionierte Personen zur Offenlegung ihrer unter die Verfügungsbeschränkung fallenden Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen verpflichtet sind. Ein weiteres Defizit des status quo ist, dass zwar auf Konten befindliche Gelder durch das Einfrieren blockiert werden. Bei anderen Vermögensgegenständen wie Grundstücken oder Jachten ist dies in Deutschland – anders als in der Mehrzahl der EU-Staaten – nicht der Fall. Sie können zwar nicht veräußert, aber nach wie vor genutzt werden. Es gibt bisher im Übrigen keine zentrale Einheit auf Bundesebene, deren Aufgabe es als administrativ arbeitende Finanzpolizei u. a. ist, Vermögenswerte kriminellen Ursprungs wie bei der Geldwäsche ebenso wie Vermögenswerte mit Sanktionen belegter Personen und Unternehmen aufzuspüren. Stattdessen ist die Zuständigkeit auf mehrere Behörden des Bundes und der Länder verteilt und damit zersplittert, was die Zusammenarbeit mit anderen EU-Staaten und ein schnelles Handeln erheblich erschwert.

Die beiden Systemfehler des europäischen Sanktionsmechanismus

Sanktionen, die sich gezielt gegen Oligarchen richten, sind jedoch nicht nur in Deutschland, sondern in allen EU-Staaten, Großbritannien und den USA mit einem gravierenden Umsetzungshindernis konfrontiert: Die Vermögensverhältnisse der Oligarchen, ihre Finanzströme sowie die tatsächlichen Eigentumsstrukturen bei Kapitalanlagen, Wertpapieren oder Grundstücken und deren wirtschaftlich Berechtigte sind weitgehend intransparent. Das Interesse staatlicher Instanzen, dies zu ändern, war bis zur russischen Invasion im Februar gering. Dieses Problem und die verhaltenen staatlichen Gegenmaßnahmen sind vergleichbar mit der Intransparenz illegaler Kapitalakkumulation im organisierten Wirtschaftsverbrechen. Kapital, das aus Straftaten einschließlich der Steuerhinterziehung stammt und dann gewaschen wird. Oligarchen bedienen sich vergleichbarer Methoden, die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse durch Briefkastenfirmen in Offshore-Staaten, Stiftungen und Strohleuten zu verschleiern. In den Grundbüchern sind als Eigentümer der Grundstücke Gesellschaften, meistens mit Sitz in Steuerparadiesen, eingetragen, die allerdings von den Oligarchen faktisch kontrolliert werden und deshalb ihnen zuzuordnen sind.  Die Aufspürung von Oligarchengeldern und die Ermittlung des wirtschaftlich Berechtigten wird so zum Katz-und-Maus-Spiel.

Selbst der Rechtsrahmen der EU-Sanktionen steht auf tönernen Füßen. Auch Staaten wie Italien, die aufgrund ihres langen Kampfes gegen die Mafia gute Instrumente haben, die auch zur Aufspürung von Oligarchengeldern taugen, können deren Vermögenswerte nur einfrieren, aber nicht endgültig einziehen und diese verwerten. Zum Beispiel für den Wiederaufbau der Ukraine. Dies ist ausgeschlossen, weil die Oligarchen in ihren Verfügungen blockiert werden, aber Eigentümer dieser Vermögensgegenstände bleiben.

Die EU-Kommission will dies nun ändern, um das Vermögen der Oligarchen endgültig einzuziehen. Hierzu hat sie Ende Mai 2022 verschiedene Vorschläge unterbreitet. Kernelement ist, dass sie auf EU-Ebene die bewusste Umgehung von EU-Sanktionen zu einem Straftatbestand machen will. Dies würde ermöglichen, Verstöße dagegen in allen Mitgliedsstaaten gleichermaßen zu verfolgen, zu bestrafen, deren Vermögensgenstände einzuziehen und für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden. Die Reaktion der EU-Mitgliedstaaten war verhalten. Finanzminister Lindner (FDP) wies auf den Schutz des Eigentums – auch dem von Oligarchen hin – und erklärte, Deutschland sei zwar offen für eine Debatte darüber, beschlagnahmtes russisches Vermögen für den Wiederaufbau der Ukraine zu nutzen. Man müsse aber zwischen Mitteln des Staates – wie etwa der russischen Zentralbank – und privaten Mitteln unterscheiden. „In unserer Verfassung gibt es Garantien für Privatvermögen“, sagte Lindner.  Justizminister Buschmann, ebenfalls FDP, äußerte sich ähnlich. Allerdings hat der Bundestag im Mai 2022 im Sanktionsdurchsetzungsgesetz I bereits eine von Wirtschafts- und Finanzministerium erarbeitete und vom Justizministerium gebilligte Auskunftsverpflichtung beschlossen, die auf Oligarchen gemünzt ist. Diese müssen Auskunft darüber geben, welche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen in Deutschland den EU-Sanktionen unterliegen. Tun sie dies nicht, erfüllen sie einen Straftatbestand nach dem Außenwirtschaftsgesetz, der die Einziehung ihres Vermögens grundsätzlich zulässt. Dieses Gesetz nimmt somit im Ergebnis die Pläne der EU-Kommission vorweg. Es ist jedoch bei solchen Äußerungen des Finanzministers und Justizministers davon auszugehen, dass dieser Regelung in der Praxis keine oder allenfalls eine symbolische Wirkung zukommen soll.

Kanada und die USA präferieren andere Vorstellungen, die vermutlich auch in der EU mehrheitsfähig wären. Sie schlagen einen Deal vor, dass sich sanktionierte russische Oligarchen in einer Art Ablasshandel im rechtsfreien Raum freikaufen können. Das wäre eine win-win-Situation für beide Seiten. Die Ukraine erhält einen Teil der eingefrorenen Gelder, die Oligarchen werden von der Sanktionsliste gestrichen, bekommen ihr Luxusleben im Westen zurück und nicht nur die beiden Minister der FDP, sondern der ganze Westen ersparen sich eine in der Öffentlichkeit geführte Enteignungsdebatte, die von den als als bad guys gelabelten Oligarchen leicht auf andere Unternehmen überschwappen könnte, welche ihr Vermögen durch Steueroptimierungsmodelle, Verschiebung in Steueroasen oder in der Wirtschaftsgeschichte als Profiteure des deutschen Faschismus aufgehäuft haben.