„Der Krieg zwischen den montenegrinischen Clans hört nicht auf“. Der Fall Igor K. rüttelt die öffentliche Meinung in Deutschland auf

Mike Powell Tmitymykagc Unsplash Scaled E1582800680135

Am 7. Februar landete ein Privatjet in Deutschland und brachte einen schwerstverletzten Kriminellen aus Montenegro nach Hannover – von da an herrschte der Ausnahmezustand rund um die Medizinische Hochschule (MHH), wo der 35-jährige Igor K. fortan behandelt wurde. Ende Januar war er bei einem Anschlag auf ihn in der Nähe von Podgorica in Montenegro schwer verletzt worden. Mit seiner Verlegung erreichten die Auseinandersetzungen zwischen zweier verfeindeter Clans erneut Deutschland: Bereits im vergangenen Mai sorgte die Ermordung zweier Mitglieder des Škaljarski-Clans in Forst in Brandenburg für Aufruhr. Auch diese Tat stand in Zusammenhang mit dem Streit zwischen dem Škaljarski und dem Kavački Clan.  Die Nachricht von der Aufnahme Igor K.s in Deutschland erschien mit einigen Tagen Verspätung in den Medien und löste sofort eine Kontroverse aus.

Die Rekonstruktion der Fakten

Am 28. Januar wird Igor K. in seinem Auto von einem Kugelhagel getroffen. Er wird notfallmäßig in ein Krankenhaus transportiert, in das er mit sieben Schussverletzungen eingeliefert wird. Um eine bessere Behandlung zu erhalten, wurde er dann nach Hannover verlegt, wo seine Anwesenheit die Polizei mobilisiert – es ist von einer großen Zahl, sogar von bis zu 250 Polizisten die Rede, um die Sicherheit des Patienten, aber auch des Krankenhauspersonals und der übrigen Patienten Tag und Nacht zu gewährleisten.

Diese enge Überwachung hat die deutsche Öffentlichkeit alarmiert. Der Steuerzahlerbund protestierte gegen den Einsatz von Sicherheitskräften in großer Zahl und betonte, die Kosten sollten dem Privatpatienten und seiner Familie in Rechnung gestellt werden. Die Polizei in Hannover sagte, solche Vorkehrungen und Sicherheitsmaßnahmen seien für solche Fälle notwendig. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) stellte klar, dass die Ankunft von Igor K. von niemandem gewollt oder gewünscht wurde, sondern dass man mit einem Patienten in einem lebensbedrohlichen Zustand konfrontiert wurde, der behandelt werden musste, und dass bei dieser Behandlung die Sicherheit von allen gewährleistet werden musste. Das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur teilte mit, dass die Ärzte die Hilfe nicht verweigern konnten. Dirk Toepffer von der CDU nannte einem Bericht der BILD-Zeitung zufolge die Aufnahme eine unverantwortliche und gefährliche Handlung, die dem Steuerzahler einen finanziellen Schaden zugefügt und dem Image und der Glaubwürdigkeit des Landes geschadet habe. Im Chor schlossen sich Vertreter anderer politischer Parteien an: Marco Genthe von der FPD betonte, dass der Aufenthalt an der Medizinischen Hochschule in Hannover nicht für Geldwäsche genutzt werde.

Die Kosten für die Behandlung – rund 90.000 Euro – wurden von Igor K. getragen, wobei fraglich blieb, woher diese hohe Summer komme und ob sie auf illegalen Handel zurückzuführen sei. Der montenegrinische 35-Jährige war in seiner Heimat polizeibekannt. Im Jahr 2017 wurden nach einer Polizeiaktion, bei der er auch betroffen war, Mobiltelefone, Messer, eine Machete, zwei Autos und 182.450 Euro in bar beschlagnahmt. Es wird angenommen, dass Igor K. in Drogenhandel und Wucher verwickelt war.

Angesichts der Folgen und des entstandenen Medienrummels hat die Stadt Hannover im Einvernehmen mit dem Ministerium beschlossen, den montenegrinischen Kriminellen abzuschieben, weil „der Aufenthalt des Patienten in der MHH eine Bedrohung für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung darstellt“.  Igor K. erhielt daher einen Ausweisungsbefehl und war gezwungen, wieder umzuziehen. Nun wird er die Behandlung in Istanbul fortsetzen.

Der Hintergrund

Igor K. gilt als Mitglied des Škaljarski-Clans, der mit dem Clan Kavački seit einigen Jahren um die Kontrolle des lukrativen Drogenhandels streitet. Die beiden Clans bildeten ursprünglich in der Stadt Kotor einer einzige kriminelle Gruppe. Die Verhaftung des mächtigen Drogenhändlers Darko Šarić im Jahr 2014 hat jedoch im montenegrinischen kriminellen Untergrund ein Vakuum geschaffen, das es zu füllen galt, und hier begannen die internen Spannungen innerhalb der Gruppe von Kotor. Darko Šarić hatte eine sehr raffinierte und flexible kriminelle Gruppe von montenegrinischen Serben gegründet. Er stützte sich auf wichtige Verbindungen zu den Institutionen und Polizeikräften in der Region und wurde von den südamerikanischen Kartellen im Kokainhandel in Europa als effizienter und zuverlässiger Partner angesehen. Die Erlöse aus dem Drogenhandel wurden dann vom Drogenboss durch verschiedene legale Aktivitäten innerhalb der Balkanregion „gewaschen“, zum Beispiel mit dem Kauf von Bars, Restaurants und Grundstücken, die Bereitstellung von Krediten und dem Abschluss von fiktiven Verträgen. Seine Verhaftung und das Ende seiner kriminellen Herrschaft setzte Gruppen in Gang, die bereit sind, alles zu tun, um sich im Drogenhandel zu etablieren.

Der Auslöser war das Verschwinden von 200 kg Kokain der kriminellen Gruppe aus Kotor im Jahr 2014. Diese Episode in einer Wohnung in Valencia, Spanien löste eine blutige interne Fehde aus, die bis heute zum Tod von mehr als 40 Menschen geführt hat. Der Zusammenstoß hat dazu geführt, dass andere kriminelle Gruppen, die in Serbien und Montenegro aktiv sind, sich den sich bekämpfenden Fraktionen angeschlossen haben. Nach Angaben des investigativen Journalistenportals KRIK soll der Škaljarski-Clan von dem serbischen Kriminellen Luka Bojović unterstützt werden, dem Anführer des erneuerten Zemun-Clans, der derzeit in Spanien inhaftiert ist. Die Zügel der kriminellen Gruppe werden nun von seinem engen Mitarbeiter Filip Korać gehalten, der den meisten lange Zeit unbekannt war, aber kürzlich enorme Aufmerksamkeit erhielt, nachdem der serbische Präsident Aleksandar Vučić sich öffentlich zu Wort meldete und Korać als eine extrem gefährliche Person und eine echte Bedrohung für die serbische Bevölkerung bezeichnete. Andererseits kann der Kavački Clan in Serbien auf die Unterstützung krimineller Persönlichkeiten zählen, die mit der von Janjičari, einer Ultras-Gruppe des Belgrader Partizan, angeführt von Aleksandar Stanković, auch bekannt als Sale ‚Mutavi‘ (der Stumme), bis zu seiner Ermordung im Jahr 2016, in Verbindung stehen. Die Gruppe „Sale Mutavi“ wird von Teilen der Polizeikräfte und der Institutionen des Landes in großem Umfang gedeckt. Selbst der Sohn des serbischen Präsidenten Vučić steht in freundschaftlicher Beziehung zu einigen Mitgliedern der Gruppe Janjičari und wurde bei mehr als einer Gelegenheit in ihrer Gesellschaft fotografiert.

Nach den gewalttätigen Episoden, die sich auf serbischem Territorium im Zusammenhang mit diesem Krieg zwischen den Clans ereigneten, betonte die Regierung die Notwendigkeit, dieses kriminelle Phänomen in Serbien zu bekämpfen. Trotzdem kritisieren Beobachter das Vorgehen der Institutionen und Strafverfolgungsbehörden als einseitig, d.h. ausschließlich gegen die dem Škaljarski-Clan nahestehende Fraktion gerichtet.

Die Konfrontation zwischen diesen kriminellen Gruppen erreicht enorme Dimensionen. Dazu gehören auch Morde, die in anderen europäischen Ländern verübt werden. Der Škaljarski-Clan ist derzeit am Schlimmsten betroffen. Einige Mitglieder dieser Gruppe sind ins Ausland gezogen, sie werden aber auch da von ihren Gegnern gefunden. Der Konflikt bewegt sich inzwischen außerhalb jeden Reglements, das Endziel ist die Vernichtung des Gegners.

Betroffen sind auch die Familien der Kriminellen, ihre Dienstleister – wie zum Beispiel Anwälte – und die Angriffe werden zunehmend auch vor Ehefrauen, Kindern und in Gegenwart wehrloser Bürger durchgeführt. Es gibt auch unschuldige Opfer, Menschen, die versehentlich von den Kriminellen getroffen wurden, weil sie am Tisch neben dem zu eliminierenden Ziel saßen. Die rivalisierenden Gruppen sind besonders gewalttätig und brutal, wie der Angriff auf Igor K. zeigt; in diesem Krieg ohne Grenzen greifen die Clans sogar auf Sprengstoff und Autobomben zurück.

Statistiken zeigen, dass die Täter meist davonkommen. Im vergangenen November stellte uns die serbische KRIK-Journalistin Bojana Jovanović bei einer von mafianeindanke in Berlin organisierten Veranstaltung ihre Datenbank zu kriminellen und mafiösen Morden auf dem Gebiet von Serbien und Montenegro von 2012 bis heute vor. Von 163 Morden sind nur 13 (etwa 8%) aufgeklärt worden, während in 97 Fällen (fast 60%) die Täter unbekannt sind.

Jüngste Entwicklungen der kriminellen Konfrontation

Im vergangenen Mai veröffentlichten wir eine erste eingehende Analyse vor dem Hintergrund der Ereignisse in Forst (Brandenburg), bei denen zwei Mitglieder des Škaljarski-Clans, Darko M. und Nikola J., in einer Wohnung Stadt getötet und zwei weitere Kriminelle derselben Gruppe bei dem Überfall verletzt wurden.

Jüngste Entwicklungen zeigen, dass die Konfrontation neu entflammt ist.

Am 19. Januar wurde Igor Dedović, einer der Führer des Škaljarski-Clans, in einem Restaurant in Athen getötet. Zusammen mit ihm wurde auch Stevan Stamatović, sein enger Mitarbeiter, eliminiert. Die beiden wurden im Beisein ihrer Frauen, Kinder und zahlreicher Gäste des Restaurants getötet. Zu diesem Zeitpunkt scheint der Clan ohne einen Führer zu sein, da Jovan Vukotić, der Chef der kriminellen Gruppe, in Serbien im Gefängnis sitzt. Am 8. Februar wird der montenegrinische Kriminelle an Montenegro ausgeliefert, wo er wegen versuchten Mordes angeklagt wird. Gegen Vukotić wird auch in Griechenland wegen des Handels mit 135 kg Kokain ermittelt.

Am 28. Januar fand der Angriff auf Igor K. statt, der – laut der serbischen Zeitung Blic – enge Beziehungen zu Milić Minja Šaković unterhält, einem wichtigen Mitglied des Škaljarski-Clans, der wiederum mit Stevan Stamatović verbunden ist.

Etwa zehn Tage nach dem Angriff auf Igor K. wurden vier Männer, die demselben Clan nahestehen, drei montenegrinische Bürger und ein bosnischer Staatsbürger im Hotel Crowne Plaza in Belgrad verhaftet, die, wie die serbische Boulevardpresse berichtet, vermutlich dabei waren, schwere kriminelle Aktionen zu organisieren.

Die jüngste Gewalttat zeigt jedoch in eine andere Richtung. Am 13. Februar wurde in Herceg Novi (MNE) Šćepan Roganović getötet, eine Figur des Kavački-Clans und das dritte Mitglied der Familie Roganović, das in dieser Fehde eliminiert wurde. Der vorhergehende auf der Liste war sein Cousin Vladimir, der im Dezember 2018 vor einem Restaurant im Zentrum von Wien getötet wurde.

Die Situation bleibt angespannt. Die Behörden in der Region erzielen keine besonders wirksamen Ergebnisse bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Um den Bürgern mehr Schutz und Sicherheit zu bieten, müssen die Polizeikräfte und Institutionen der betroffenen Länder entschlossener gegen das kriminelle Phänomen vorgehen und vor allem alle Verbindungen und Formen der Komplizenschaft mit den sich bekriegenden kriminellen Gruppen beenden.

Montenegro auf der Route des kriminellen Handels

Montenegro ist ein wichtiger Knotenpunkt entlang des illegalen Handels in die Europäische Union. Die montenegrinischen Clans können sich in der Tat auf eine privilegierte geographische Lage stützen. Montenegro ist ein Küstenstaat, und seine Häfen – insbesondere der von Bar – haben immer eine Schlüsselrolle gespielt. Bereits in den 90er Jahren, während der Konflikte in Ex-Jugoslawien, waren die montenegrinischen kriminellen Gruppen Protagonisten des Zigarettenschmuggels nach Italien. Für diesen Schmuggel konnten sie sich auf die Zusammenarbeit mit Vertretern der Institutionen und Polizeikräfte Montenegros sowie mit wichtigen italienischen kriminellen Organisationen – Camorra und Sacra Corona Unita – und den Giganten der Tabakindustrie stützen. Wichtige politische Persönlichkeiten, wie der derzeitige Präsident Montenegros Milo Đukanović, waren ebenfalls in einen echten staatlichen Schmuggel verwickelt. Auch die Beziehungen zwischen Institutionen, organisierter Kriminalität und Sicherheitskräften wurden nach dem Krieg gefestigt und erleichterten die Einbeziehung montenegrinischer Krimineller in den Drogenhandel. Montenegro liegt entlang der Balkanroute, einer Schlüsselpassage im Opiathandel, der aus dem Mittleren Osten (Afghanistan) kommt und für die europäischen Länder bestimmt ist. Derzeit ist das Land vor allem eine wichtige Drehscheibe für den Kokainschmuggel aus Südamerika. Wie in einem kürzlich erschienenen Bericht der „Globalen Initiative gegen das organisierte Verbrechen“ hervorgehoben wird, spielen die montenegrinischen Häfen dank der guten Infrastruktur, der von den Polizeikräften gedeckten Aktivitäten und der großen Zahl von Arbeitskräften, die kriminellen Gruppen zur Verfügung stehen, eine wichtige Rolle in diesem Handel.

Besorgniserregend ist schließlich die innere Situation in Montenegro. Das Land ist von einem klientilistischen und korrupten System durchdrungen, das sich in den mehr als 20 Jahren der politischen Herrschaft von Đukanović konsolidiert hat. Das ist nicht das Beste für ein Land, das sich als Voraussetzung für die EU-Mitgliedschaft zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Korruption verpflichten muss. Das Land hat sich kürzlich öffentlich dazu verpflichtet.

Beobachtern zufolge sind die Anklagen gegen Kriminelle strenger und härter als beispielsweise in Serbien, was ein scheinbar größeres Engagement an dieser Front zeigt. Deshalb können wir die Entwicklungen in dieser Angelegenheit nur abwarten, ohne zu vergessen, dass die einzige Möglichkeit zur Bekämpfung des kriminellen Phänomens im Engagement aller Kräfte des Landes besteht, ohne Kompromisse mit und Legitimation der Präsenz dieser kriminellen Gruppen. Dies ist die Richtung, in die der Kampf vorangeführt werden muss. Es geht darum, die Menschen dort vor kriminellen Strukturen zu schützen.