Der erste deutsche Mafia-Untersuchungsausschuss

Im Thüringer Landtag hat der Mafia-Untersuchungsausschuss die Arbeit aufgenommen, nachdem Medien über die BKA-Polizeioperation FIDO berichtet hatten

Es ist gut möglich, dass man in Italien besser über die massiven ’ndrangheta-Niederlassungen in Erfurt Bescheid weiß als in Deutschland. Dass die ’ndrangheta nach dem Fall der Mauer von der thüringischen Landeshauptstadt aus die damals neuen Bundesländer erschlossen hat, war Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Ermittlungen italienischer Strafverfolgungsbehörden rückten den Umstand ebenso in den Fokus: Erfurt gilt ihnen zudem als Drehscheibe für mafiöse Investments in mehreren europäischen Ländern. Und die Presse berichtet regelmäßig.

In Deutschland haben mehrere Journalistinnen und Journalisten sich bemüht, dieses Thema ebenso ans Licht zu bringen; Klagen der mutmaßlichen Erfurter Mafiosi folgten auf dem Fuß. Zuletzt beleuchtete eine Dokumentation vor wenigen Wochen die Geschehnisse in Erfurt. Journalistinnen und Journalisten von MDR und FAZ berichteten nicht nur, dass die Zelle in Erfurt Gegenstand von Ermittlungen des BKA war, sondern auch, dass es gelungen war, mindestens einen verdeckten Ermittler zu infiltrieren. Dieser sei dann zu einer Familienfeier nach Kalabrien eingeladen worden und trat die Reise aber nicht an, zu gefährlich. So die offizielle Erklärung. Die Ermittlungen wurden daraufhin abgebrochen. Und obwohl sehr detaillierte Erkenntnisse gewonnen werden konnten, kam es zu keinen Folgeaktionen.

Die besagten mutmaßlichen Mafia-Gastwirte und Mitarbeiter sind bis heute unbelangt geblieben. Gegen acht Personen liefen Maßnahmen wegen Drogenhandels und Geldwäsche. Eindeutig wird in Unterlagen auf einen Mafia-Bezug der Personen hingewiesen. Auch Kronzeugen wurden gehört, sie sprachen unter anderem davon, dass es sich um Mitglieder des Clans Romeo-Pelle handle. Mehr als ein Dutzend Restaurants und Lokale sind erwähnt. In den Unterlagen steht auch, dass der Clan aus San Luca in Deutschland Gelder aus dem Drogenhandel investiert.  Teil der Ermittlungen waren auch erfolgreiche Rechtshilfeersuchen zwischen der kalabrischen Antimafia-Staatsanwaltschaft in Reggio Calabria, die für die ’ndrangheta aus San Luca zuständig ist, und der Staatsanwaltschaft Gera, die auf deutscher Seite für die Ermittlungen zuständig war.

Fragen werfen sich auf

Damit werfen sich Fragen auf: wenn man solch detaillierte Erkenntnisse gewonnen hatte und bedeutende Straftaten im Raum stehen, warum wurden dann die Ermittlungen eingestellt? Reicht die Gefährdung eines verdeckten Ermittlers als Erklärung aus? Oder gab es eine Einflussnahme? Wurden gar Interessen von Personen berührt, die dann ihren Einfluss geltend machten?

Die Berichterstattung von MDR und FAZ hat nun dazu geführt, dass ein Untersuchungsausschuss eingesetzt worden ist. Er wurde beantragt von Abgeordneten der Regierungsfraktionen Linke, SPD und Grüne, und hat den folgenden Auftrag:
„Der Untersuchungsausschuss soll aufklären,

1. welche Gründe und Umstände zur Einstellung des von der Staatsanwaltschaft Gera unter der (polizeilichen) Bezeichnung „FIDO“ bis zum Jahr 2006 geführten Verfahrens wegen des Verdachtes auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, Drogenhandel und Geldwäsche führten;

2. ob in diesem Verfahren Anhaltspunkte auf mögliche Verbindungen von Beschuldigten des Verfahrens zu Politik, Verwaltung oder Justiz bekannt wurden, um welche Art von Verbindungen es sich handelte und ob beziehungsweise wie diesen nachgegangen wurde.“

Vor allem aber geht es zunächst darum, die noch vorhandenen Aktenbestände zu sichern und vor der Vernichtung zu retten. Es ist einem nach dem NSU-Skandal erlassenen Moratorium zu verdanken, dass einige Aktenbestände noch vorhanden sind. Die thüringische Landesregierung wird in dem Beschluss zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses explizit dazu aufgefordert, die Löschung von in Thüringen vorhandenen Akten zu unterbinden sowie beim BKA darauf zu drängen, das dort vorhandene Material ebenfalls zu sichern.

Dem Ausschuss bleibt wenig Zeit für seine Arbeit, denn es ist davon auszugehen, dass im September neben der Bundestagswahl auch eine Landtagswahl in Thüringen stattfinden wird. Mit den gesicherten Akten könnte dann aber in der neuen Legislaturperiode ein neuer Ausschuss installiert werden.

Ein Ausschuss ohne Vorbild

In Italien existieren selbst auf kommunaler Ebene Kommissionen und Ausschüsse, die das Thema Mafia-Infiltrationen behandeln. Sowohl der Senat als auch das Parlament sind am ständigen Untersuchungsausschuss zu Mafia-Aktivitäten beteiligt. Für Deutschland ist ein solcher Ausschuss ein Novum. Zwar gab es in Baden-Württemberg infolge von Abhörmaßnahmen gegen den Mafia-Gastwirt Mario L. ebenfalls einen Untersuchungsausschuss. Damals war infolge von Ermittlungen bekannt geworden, dass neben anderen auch der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Günther Oettinger enge Kontakte mit dem Kalabresen unterhielt. Mario L. erfreute sich großer Beliebtheit in der Stuttgarter Haute Volée. Er richtete unter anderem CDU-Parteifeste aus. Dass Politiker Kontakte mit mutmaßlichen Mafiosi unterhalten, war jedoch nicht Gegenstand des Untersuchungsausschusses. Es ging vielmehr darum, ob die Telefonabhörmaßnahmen rechtens waren. „Praxis der Telefonüberwachung“ war folgerichtig der Titel dieses Untersuchungsausschusses. Ein Unterthema war übrigens auch, ob „geheimhaltungsbedürftige Erkenntnisse“ an Journalisten weitergegeben worden waren. Es  ging also weniger um Aufklärung als mehr darum, die Aufklärer bei Medien und der Polizei in die Schranken zu weisen.

Nun, in Thüringen, geht es um den Kern der Sache: warum wird nicht weiter ermittelt, wenn doch glasklar scheint, dass man es mit kriminell aktiven Mafiosi zu tun hat?  Es ist ein wichtiger Untersuchungsausschuss, denn er spricht einen Makel der deutschen Sicherheitspolitik an: gegen komplex organisierte, aber unauffällig agierende kriminelle Organisationen geht der Repressionsapparat selten vor. Betrachtet man die aufsehenerregenden Antimafia-Operationen der vergangenen Jahre, nahmen sie fast alle ihren Ausgang in Italien (auch wenn die deutschen Staatsanwaltschaften und Polizeien die italienischen Bemühungen häufig natürlich unterstützt haben!). Hier, in Thüringen, scheint es eine deutsche Initiative gewesen zu sein – die man dann versanden ließ.

Noch ein weiterer Grund macht die zentrale Frage des Untersuchungsausschusses auch zu einer gesellschaftlich wichtigen: Eine juristische Aufarbeitung krimineller Organisationen ist (wie jede juristische Aufarbeitung von Straftaten) immer auch ein Stück gesellschaftliche Realitätsbeschreibung. Wenn in einem Gerichtsverfahren öffentlich verhandelt worden wäre, wie die Erfurter Zelle sich weiter in den damals noch neuen Bundesländern weiter ausbreitete, Drogenhandel organisiert, Gelder durch Europa transferiert und investiert und Geldwäsche betreibt, dann wäre damit auch präzisiert worden, wie Mafia-Clans vorgehen, gerade in der historischen Nachwende-Zeit. Auch diese Gelegenheit, Strukturen der Organisierten Kriminalität zu analysieren, ist versäumt worden.

Es bleibt nun nur zu hoffen, dass die Einstellung der Ermittlungen tatsächlich nur der Blauäugigkeit leitender Personen im Sicherheitsapparat anzukreiden ist. Sollte herauskommen, dass etwa ehemalige Minister ihr Netzwerk schützen wollten, würde sich zeigen, wie wenig Deutschland einer geschickt agierenden ’ndrangheta entgegenzusetzen hat und es stellten sich dann viel grundsätzlichere Fragen. Weitet man die Perspektive über Thüringen hinaus, ist durchaus festzustellen, dass Erfurt kein Einzelfall ist: auch von anderswo erreichen mafianeindanke Beschwerden, dass Ermittlungen eingestellt oder unterbunden werden, allzu engagierte Kollegen gebremst oder aus dem Amt entfernt werden. Erfurt kann möglicherweise also prototypisch ein Problem in der deutschen Sicherheitsarchitektur aufzeigen. Dazu muss man den Auftrag ernst nehmen, parteipolitische Spielchen verbieten sich. Möge der Ausschuss also erfolgreich sein!

Am Dienstag, 20. Juli, tagt der Ausschuss zum zweiten Mal und nimmt seine eigentliche Arbeit auf mit der Anhörung von Sachverständigen. Neben der Soziologin Zora Hauser von der Universität Oxford und Oliver Huth von der Abteilung für Organisierte Kriminalität des LKA Nordrhein-Westfalen ist auch der Journalist und Vorsitzende von mafianeindanke e.V., Sandro Mattioli zur Anhörung geladen worden.

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