Fußball und Mafia: Der Fall Juventus kommt ans Licht

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Fußball ist in Europa mehr als ein Sport. Um das zu verstehen reicht es, einen Blick auf die Millionengagen der bekanntesten Spieler zu werfen, sich die Anzahl der Wetten im Umlauf bewusst zu machen, oder an die Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft zu denken, die die größten Fußballvereine leiten. Natürlich darf man dabei auch die organisierten Fanbewegungen nicht vergessen, die oft Urheber und Hauptdarsteller gewaltsamer Auseinandersetzungen in- und außerhalb des Stadions sind. Es ist kein Zufall, dass drastische Maßnahmen, wie das Zugangsverbot zu sportlichen Veranstaltungen für die größten Unruhestifter zur Notwendigkeit geworden sind.

Man kann sich leicht vorstellen, dass die extremsten Ultras Verbindungen zur Unterwelt pflegen, und das nicht nur im Süden Italiens. Gegenstand des letzten Skandals, der die Welt des Fußballs erschüttert, sind die mutmaßlichen Beziehungen zwischen Juventus Turin und Vertretern der ’ndrangheta. Die Worte des Richters Stefano Vitelli wiegen schwer für den Turiner Großklub: „Juventus hat unklare Beziehungen zur Ndrangheta unterhalten, um Ruhe und Frieden in den Fankurven aufrechtzuerhalten. Einige hohe Funktionäre scheinen sogar Gefolgschaft und Unterwürfigkeit erwiesen zu haben.“ Wenn man Vitelli glaubt, ist die Lage „besorgniserregend“: Hohe Vertreter eines Fußballvereins von nationalem und internationalem Niveau hätten (nach Vitelli) de facto einem weitverbreiteten und regelmäßigen Schwarzmarktgroßhandel mit einigen der Ultra-vertretern im Rahmen einer Übereinkunft zugestimmt. In einem Skandal, der schwierig zu rechtfertigen sein wird, wiegen die Anschuldigungen schwer und untergraben die Glaubwürdigkeit der gesamten Juventus-Führungsriege.

Vermutlich haben die Kontakte zwischen der Juve und der ’ndrangheta eine lange Vorgeschichte: Gianni N., der inzwischen in der Schweiz lebt und ein mutmaßlicher Mafioso ist, war vor vielen Jahren in einer leitenden Funktion für den Fußballverein tätig. In den aktuellen Entwicklungen geht es jedoch vor allem um die Fan-Szene.

Nach einer vom mobilen Einsatzkommando des Turiner Polizeipräsidiums durchgeführten Strafermittlung, die von dessen Chef Marco Martino und den stellvertretenden Staatsanwälten Monica Abbatecola und Paolo Toso geleitet wurde, waren schon im Juli 2016 16 Personen, die in Kontakt zur Fanorganisation der Bianco-Neri standen festgenommen worden.

Die Anklage lautete damals auf kriminelle Vereinigung mafiösen Charakters, Erpressung, Waffenbesitz und versuchten Mord. Unter den festgenommenen waren auch Rocco und Saverio Dominello, mutmaßlich wichtige Angehörige des Mafia-Klans Pesce-Bellocco aus Rosarno, die im Piemont (alto-Piemonte) aktiv waren und die Ultra-Gruppe „i Gobbi“ („die Buckligen“) gegründet haben, die seit Frühjahr 2013 im Stadion von Juventus ihren festen Platz hat. Man nimmt an sie seien die Kontaktpunkte zwischen Ndrangheta-Clans und Juventus-Management, das mit ihnen eine Abmachung getroffen haben soll, um den Frieden innerhalb der Fangemeinschaften aufrecht zu erhalten.

Aus den durch die ermittelnden Behörden angeordneten Abhöraktionen scheint sich zu ergeben, dass der Schwarzmarkthandel (bagarinaggio) eine wohlbekannte und inoffiziell geduldete Praxis war. Namentlich in einem Telefonat zwischen Dominello und dem Sicherheitschef von Juventus Allesandro D’Angelo, am 20.2. 2014, scheint letztgenannter dies bestätigt zu haben: „Ich will, dass ihr euch ruhig verhaltet, und dass wir ruhig sind und wir gemeinsam vorgehen. Wenn das also die Abmachung ist, ist das für mich in Ordnung. Wenn die Abmachungen gebrochen werden, geht jeder seiner eigenen Wege.“ Die Abmachun meint hier wohl den illegalen Handel mit Tickets.

Der Preis für die Ruhe auf den Rängen scheint also ein zugedrücktes Auge mit Blick auf den von den Dominellos betriebenen, offenkundigen und illegalen Ticketgroßhandel zu sein. Außerdem hat man ihnen wohl feste Plätze in der Südkurve des Stadions und exklusiven Zugang zu Juventus’ Vorstandsvorsitzenden Giuseppe Marotta zugestanden. Fälle von Schwarzmarkthandel, die besonders hervorstachen ereigneten sich vor Allem bei Champions-League-Spielen, wo die Ticketpreise sich bis um das sechsfache ihres ursprünglichen Preises erhöhten.

Die Dominellos sollen sich dem Vereinsmanagement über einen Ex-Ultra, Fabio Germani genähert haben. Dieser soll sie, um ein Schwarzmarktnetz aufzubauen, zunächst in die Sicherheitsabteilung und später in den Ticketverkauf von Juventus eingeführt haben. Am 15.2. 2014 soll Germani die Beziehungen zwischen Rocco und Saverio Dominello mit dem Funktionär Marotta initiiert haben, indem er ein Treffen zwischen beiden Parteien organisierte. In einer von der Polizei abgefangenen SMS ist zu lesen, wie Marotta sich von Germani die „größte Zurückhaltung“ über die Natur solcher Treffen ausbittet. Seit Juli 2016 sitzt Germani wegen Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung im Gefängnis.

Der Skandal scheint die gesamte Führungsriege von Juventus zu betreffen, den Präsident Agnelli eingeschlossen, der, wie aus den Abhörmaßnahmen hervorgeht, ebenfalls Kontakt zu Dominello gehabt hat. In Anhörung vor der Antimafia-Kommision verteidigte der Juventus-Anwalt Luigi Chiappero seine Partei, indem er behauptete, dass die Juve-Führung nichts über die zwielichtigen Tätigkeiten der Dominellos gewusst habe. Eine Behauptung, die von der Komissionspräsidentin Rosy Bindi allerdings angezweifelt wird.

Der Prozess mit dem Titel „alto Piemonte“ hat am 22. März dieses Jahres in Turin begonnen. Nicht nur Andrea Agnelli, sondern auch der Präsident der Figc (Federazione italiana Giuoco Calcio, der italienische Fußballverband) Carlo Cavecchio Tomassi wird als Vertreter des Verbandes italienischer Fußballer zusammen mit Präsidenten anderer fußballerischer Vereinigungen angehört werden. Das Ziel, bekräftigt Rosy Bindi, ist „herauszufinden, wie man aus einer unbestreitbaren Faktenlage herauskommen soll “. Und zwar aus dem immer enger werdenden Verbindungen zwischen Mafia und Fanvereinigungen.

Kontakte zwischen Fußballmannschaften und Mafia-Clans sind im Übrigen ein beunruhigendes Phänomen, das sich nicht nur in Turin beobachten lässt. Mafia-Clans investieren gezielt in Spieler, beispielsweise war der Spieler Salvatore Aronica, ein Spieler der Juve-Jugend, nach Aussagen eines Kronzeugen in Besitz des Clans Vrenna-Bonaventura. Der Verteidiger spielte unter anderem für den SSC Neapel in der Championsleague. Zuvor war er auch schon an den Erstligisten FC Crotone ausgeliehen, dessen Präsident Raffaele Vrenna Mafia-Verbindungen nachgesagt werden. Sein Cousin ist Luigi Bonaventura, ehemals Clanchef und Mafia-Aussteiger. Zuweilen werden die Mafia-Kontakte ganz offensichtlich. So gedachte etwa die Calcio Catania einem mehrfach vorbestraften Ultra mit eindeutigem Mafia-Bezug mit einer Schweigeminute. Inzwischen interessiert sich auch die Antimafia-Kommission des italienischen Parlaments für die Mafia-Kontakte der italienischen Fußballvereine.

Es ist zu vermuten, dass es solche Kontakte auch in Deutschland gibt. Zumindest ein Fall ist belegt: eines der Mitglieder der Singener ’ndrangheta-Zelle war in einem deutschen Sportverein aktiv, allerdings nicht allzu hochrangig.