Keine Partei spricht über die Mafia

Italienisches Parlament

In fast allen Parteiprogrammen zur anstehenden Parlamentswahl fehlen Aussagen zur besseren Bekämpfung der Organisierten Kriminalität

Am 25. September 2022 finden in Italien Parlamentswahlen statt. Die ehemalige Regierung Mario Draghis, die mit Ausnahme der Fratelli d’Italia von allen Parteien mitgetragen wurde, ist im Juli zerbrochen. Nun erklären sich alle Parteien bereit, sich an einer neuen Regierung zu beteiligen. Wir wollen die kandidierenden Parteien bzw. deren Wahlprogramme nicht analysieren und bewerten. Wir beschränken uns darauf, die Wahlaussagen darauf abzuklopfen, welchen Stellenwert der Kampf gegen die Mafia und die Organisierte Kriminalität hat : Der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität – eine der Schicksalsfragen Italiens – spielt jedoch mit einer Ausnahme keine Rolle.

Die politischen Parteien und ihre Wahlprogramme

„Die Mafia ist ein Berg voll Scheiße“, meinte Peppino Impastato, ein Journalist, der sich in Sizilien gegen die Cosa Nostra positionierte und deswegen ermordet wurde. Mit diesem Zitat fängt der Absatz in dem Wahlprogramm von „Sinistra Italiana + Verdi“ („Italienische Linke und Grüne“) an, der sich dem Kampf gegen die Organisierte Kriminalität widmet [1].

„Wir betrachten jeden als unseren Feind, der direkt oder indirekt mit dem Organisierten Verbrechen zusammenarbeitet, einschließlich der Unterstützung in der Administration und bei der Geldwäsche, die für den Fortbestand der Mafiaunternehmen unerlässlich ist“, wird im Wahlprogramm festgestellt.

In der Folge finden sich unter anderem Aussagen  zum Zusammenhang zwischen der Bekämpfung der Umweltkriminalität und dem ökologischen Wandel sowie zur Notwendigkeit der Verabschiedung von Gesetzen gegen die Agromafia und die Forderung nach Einrichtung von Untersuchungsausschüssen gegen die Ökomafia und gegen  Umweltverbrechen in jeder Region. Auf nationaler Ebene sollen Kommissionen für Umwelt, Ökomafia und Mafiabekämpfung  koordiniert und ertüchtigt werden. Die Aktivierung eines GPS-Verfolgungssystems für Abfälle und eine Erhöhung der Transparenz bei staatlichen Ausschreibungen sind auch erwähnt.

Das scheint ein guter Anfang zu sein. Das Problem ist leider nur, dass dieser potentielle Koalitionspartner der Einzige ist, der in seinem Wahlprogramm konkrete Schritte für den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität vorgeschlagen hat. Aber Sinistra Italiana hat zusammen mit den Grünen derzeit einen geringen Stimmenanteil (3,1%)[2].

Die Frage stellt sich also: Warum klammern die anderen politischen Parteien dieses Thema aus? Wollen sie nicht oder ist das Thema „Mafia“ nicht mehr so wichtig für Italien?

Schon bei den letzten Parlamentswahlen fehlte das Thema in den Wahlprogrammen. 2018 deutete Rosy Bindi, Präsidentin der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission an, dass es sich dabei nicht um ein zufälliges Versehen handeln könnte. „Es kommt der Zweifel auf“, sagte sie, „dass jemand glaubt, dass die Störung der Mafia im Wahlkampf (negative) Auswirkungen  auf das Wahlergebnis der Parteien haben könnte. Die Frage ist: Wollen sie [die Parteien] einen Konsens des Landes oder sind sie auch bereit, in irgendeiner Weise, vielleicht nur mit Schweigen, ohne Absprachen, auch die Stimmen der Mafia zu erhalten? Das ist eine entscheidende Frage, der wir uns unbedingt stellen müssen„.

Dass der Einfluss der Mafia zurückgegangen sein könnte, bezweifelt hingegen niemand. Anhand der Untersuchungen des Vereins „Antonino Caponnetto“ hat es jeden Tag im Jahr 2021 eine Verhaftung, eine Untersuchung oder einen Hinweis im Zusammenhang mit Mafia-Handlungen gegeben, die zeigen, wie tentakelartig die Macht der Organisierten Kriminalität in Italien ist. Mithin ist die Kriminalität in Italien gar nicht verschwunden, sondern sie hat nur ihr Vorgehen geändert. Heutzutage begeht die Mafia Finanzverbrechen,  Gewalt als Mittel wird etwas reduzierter eingesetzt, und verschiedene Mafia-Clans haben sich im Bereich Geldwäsche spezialisiert. Derartige Veränderungen bergen das Risiko, dass die Mafia als weniger präsent oder gefährlich wahrgenommen wird.

Dieses Risiko ergibt sich aus der falschen, aber sehr verbreiteten Annahme, der „Mafioso“ sei ein Typ wie Vito Corleone in „Der Pate“ oder wie Toto Riina: eine Bestie, die Terror in ganz Italien durchführt. Wenige denken dabei an die sogenannten „colletti bianchi“ – Mafiosi, die ihr Geld auch in der legalen Wirtschaft verdienen.

Was passiert, wenn die rechten Parteien gewinnen sollten?

Für die Partei des ultrarechten Blocks  hat der Kampf gegen die Mafia zumindest in ihrem Wahlprogramm keine Bedeutung. Dies vor dem Hintergrund, dass einer der engsten Vertrauten Berlusconis, Marcello Dell’Utri,  enge Kontakte zu Cosa Nostra pflegte und deshalb rechtskräftig wegen Beihilfe zu einer mafiösen Vereinigung verurteilt wurde. Das später bestätigte Urteil des Berufungsgerichts zum sog. „Dell‘Utri-Prozess“[3] erwähnt Berlusconi im Tatbestand des Urteils als „den Mailänder Unternehmer, der sämtliche Möglichkeiten ignoriert hat, sich auf dem institutionellen Weg Schutz zu holen. Er ist unter den mafiösen Schutzschirm getreten, indem er Vittorio Mangano eingestellt hat und sich [in der Folge] nie der Pflicht widersetzt hat, im Gegenzug für den Schutz [n.d.A.: es wird vermutet, dieser Schutz habe sich besonders auf die allgegenwärtigen Entführungen und Lösegelderpressungen der Mafia in den 1970er und 1980er Jahren bezogen] gewaltige Summen an die Mafia zu zahlen. Vittorio Mangano, der sog. „Stallbursche von Arcore”, hat bei Silvio Berlusconi in dessen Villa in Arcore „gearbeitet“. Mangano wurde nach 11 Jahren Haft wegen Mafia-Zugehörigkeit (Spatola-Prozess) und Drogenhandel (Maxi-Prozess) in 1999 wegen dreier Morde erneut verhaftet und zu zwei lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Berlusconi selbst konnte auch durch politische Maßnahmen verhindern, rechtskräftig wegen eines Delikts mit Mafiabezug verurteilt zu werden.

Eine Regierung mit Beteiligung einer Figur wie der von Berlusconi ist schwierig zu akzeptieren für diejenigen, die sich täglich gegen das Organisierte Verbrechen einsetzen. Man darf dennoch nicht automatisch davon ausgehen, dass die wahrscheinlichste Koalition unter der Neofaschistin Meloni dem Kampf gegen die Organisierte Kriminalität weniger Bedeutung einräumen wird . Ebenso darf man nicht den Fehler machen, eine Partei oder ein Parteienbündnis wegen einer Person über einen Leisten zu schlagen. Fast jede politische Partei in Italien hat Wortführer gehabt, die im Verdacht stehen, Verbindungen zur Mafia zu unterhalten . Gleichwohl haben viele Parteien auch Vertreter*innen in ihren Reihen gehabt, die die OK entschlossen bekämpft haben.

Es gibt genug Politiker*innen, die sich gegen die Kriminalität einsetzen. Es ist daher wichtig, dass solch Persönlichkeiten unterstützt werden. Leider nimmt das Thema kaum Raum in der öffentlichen Debatte ein. Zudem müssen sich manchmal Persönlichkeiten, die sich gegen die OK einsetzen, vor denselben politischen Kräften verteidigen: Roberto Saviano wurde mehrmals von Salvini angekündigt, er werde seine Eskorte verlieren, die ihn seit dem Erscheinen seines Beststellers „Gomorrha“ begleitet. Ähnlich ging es Nicola Gratteri, der wie Saviano immer wieder durch Kritik gegenüber der Regierung auffällt.

Schlussfolgerungen

Das Gesamtbild vor den Parlamentswahlen in Italien gibt insgesamt wenig Anlass zur Hoffnung, dass die Mafia zukünftig entschieden bekämpft wird. Das gilt für beide Wahlbündnisse.

Was die Wahlprogramme angeht, spricht für sich, dass das Thema Mafia darin nicht explizit behandelt wird, auch wenn das programmatisch keine neue Entwicklung bei Parlamentswahlen ist. Dies wäre jedoch äußerst wichtig: Verschwindet nämlich die Mafia aus dem politischen Diskurs, droht dasselbe für den gesellschaftlichen Diskurs. Vor allem heute ist das ein Problem, wo das ohnehin wirtschaftlich schwache Italien auf eine schwierige, von Inflation und Zukunftssorgen gebeutelte Zukunft zusteuert. Und genau von solchen Krisen hat die Mafia immer sehr stark profitiert.

Daher ist es zu begrüßen, dass zivilgesellschaftliche Vereine aktiv werden und auf die Problematik hinweisen. Der Verein Wikimafia hat eine Kampagne ins Leben gerufen, die sich in Anlehnung an ein Zitat Paolo Borsellinos „Parlate di Mafia“ (Redet über die Mafia!) nennt und Politiker*innen auffordert, an der Kampagne teilzunehmen und das Thema Mafia in ihrem Wahlkampf zu behandeln, wozu Wikimafia eine 10-Punkte-Liste vorschlägt. Die Politik hat für Wikimafia die Aufgabe, die Gesellschaft der Zukunft zu erschaffen. Und der Kampf gegen die OK ist für sie ein Schlüsselfaktor für die Entstehung einer gerechten und demokratischen Gesellschaft.


[1] https://dait.interno.gov.it/documenti/trasparenza/POLITICHE_20220925/Documenti/65/(65_progr_2_)-programma_di_alleanza_verdi_e_sinistra_in_pdfa.pdf, Seite 35.

[2] Laut Emg Acqua erreicht SINISTRA ITALIANA – VERDI nur 3,1% der Wählerstimmen. Quelle: https://www.ilsussidiario.net/news/sondaggi-politici-elezioni-2022-pd-3-da-fdi-lega-123-su-calenda-77-e-m5s-12/2401905/

[3] Urteil des Berufungsgerichts zum Dell’Utri-Prozess, Seite 310, vom Kassationsgericht bestätigt